Chemie und Energiepolitik: Bangen um die Braunkohlenutzung 28.12.04 www.ne-na.de
Verfasser: Edgar Gärtner, Wissenschaftsjournalist
Frankfurt - Durch die Modernisierung von Braunkohle-Kraftwerken lässt sich die Senkung der CO2-Emissionen sehr viel kostengünstiger erreichen als durch die Nutzung von Windrädern und anderer "erneuerbarer" Energiequellen. Dennoch wird die von der EU beschlossene "Dekarbonisierung" der Energieversorgung bislang nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
Für die chemische Industrie als stromintensivste Branche ist der Strompreis ein Standortfaktor ersten Ranges. Zum Beispiel würde die Erzeugung der "Zukunftsenergie" Wasserstoff mithilfe der Elektrolyse nach Ansicht von Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart erst bei einem Strompreis von 1,5 Cent je Kilowattstunde rentabel. Nach Berechnungen von Prof. Dr. -Ing. H. Alt liegen die Stromerzeugungskosten beim derzeitigen deutschen Primärenergie-Mix bei insgesamt 15 Milliarden EUR oder durchschnittlich 3 Cent/kWh. Nach der Umsetzung der von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen "Energiewende" (Senkung des Atom- bzw. Braunkohlestromanteils von derzeit 30 bzw. 28 auf Null Prozent, Halbierung des Steinkohleanteils auf 12 Prozent, Steigerung des Erdgasanteils von 9 auf 15 Prozent, Steigerung des Anteils der "erneuerbaren" Energiequellen Wasser, Wind, Sonne, Abfall bzw. Biomasse auf insgesamt 45 Prozent lägen die Gesamtkosten der Stromerzeugung in Deutschland jedoch bei 45 Milliarden EUR oder 9 Cent je Kilowattstunde. Dabei entfielen die Löwenanteile auf Wind- und Sonnenenergie, die mithilfe von Abnahmegarantien zu überhöhten Preisen (9,1 bzw. 50 Cent/kWh) von allen Stromverbrauchern zwangsweise subventioniert werden. Und zwar verschlänge die Windenergie nicht weniger als 10 und die Sonnenenergie sogar 24 Millionen EUR im Jahr.
Der derzeitige durchschnittliche Erzeugerpreis von 3 Cent/kWh wird in Deutschland nur dank des hohen Anteils von Atom- und Braunkohlestrom erreicht, deren Produktionskosten jeweils bei 2 Cent je Kilowattstunde liegen. Danach kommen Erdgas und Abfall bzw. Biomasse mit 3 Cent/kWh. Nach dem beschlossenen Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie-Nutzung können also nur Braunkohle-Kraftwerke vergleichbar preiswerten Strom erzeugen. Der in Deutschland mithilfe von Steuervorteilen (Abschreibungsmodellen) massiv geförderte Bau von inzwischen bereits über 12.000 Windkraftanlagen (WKA), die im Schnitt nur an 70 Tagen im Jahr Strom produzieren - und zwar zu Kosten von 9,1 Cent/kWh, läuft demgegenüber auf die Substitution bezahlbarer Energie durch Ideologie hinaus. Dennoch stellt die Bundesregierung das Ende Februar 2000 auf dem EU-Gipfel in Lissabon festegelegte Ziel einer völligen "Dekarbonisierung" der Energieproduktion (vgl. CR Nr. 24/21.12.2001) nicht grundsätzlich in Frage, auch wenn die Subventionierung der unwirtschaftlichen heimischen Steinkohle auf Druck der Gewerkschaften fürs erste weiter geführt wird.
Dabei käme es viel billiger, der schon unter Helmut Kohl eingegangenen einseitigen Selbstverpflichtung einer Reduktion der CO2-Emissionen um 25 Prozent bis zum Jahre 2005 durch die Modernisierung beziehungsweise Ertüchtigung vorhandener und auf den Bau neuer Braunkohle-Kraftwerke nachzukommen. So ging im September 2002 am Kraftwerks-Standort Niederaußern zwischen Köln und Aachen ein neuer Braunkohleblock mit optimierter Anlagentechnik (BoA) in Betrieb, den ALSTOM Deutschland (nach der Übernahme von ABB ALSTOM Power der einzige Komplettanbieter von Kraftwerken) für den Stromkonzern RWE errichtet hat. Dieser bislang grösste Braunkohle-Block der Welt mit einer elektrischen Leistung von fast 1000 Megawatt erreicht einen elektrischen Wirkungsgrad von über 43 Prozent und spart gegenüber herkömmlichen Braunkohlekraftwerken vergleichbarer Leistung, deren elektrischer Wirkungsgrad im Schnitt bei nur 31 Prozent liegt, im Jahr 2,5 Millionen Tonnen CO2 ein. Die spezifischen Emissionen von Staub, SO2 und NOx gehen um rund 30 Prozent zurück.
Während in Deutschland zur Zeit wegen der politisch bedingten Investitionsunsicherheit keine vergleichbaren Neubau- oder Modernisierungs-Projekte anstehen, hat dieser Weg, die strengen europäischen Umweltauflagen zu erfüllen, im EU-Beitrittsland Polen einen zentralen Stellenwert erlangt. Polen verfügt über grosse Vorkommen schwefelarmer Braunkohle. Zur Zeit haben Braunkohlekraftwerke, die überwiegend älter als 20 Jahre sind, dort einen Anteil von 36 Prozent an der Stromerzeugung. Steinkohlekraftwerke haben sogar einen Anteil von 59 Prozent. Die gesamte in Polen installierte Kraftwerksleistung von 34,5 Gigawatt entspricht immerhin einem Drittel der deutschen. Die polnische Regierung und die Privatwirtschaft (einschliesslich westlicher Investoren) haben sich das Ziel gesetzt, den Anteil der Braunkohlekraftwerke durch die Stilllegung der letzten Schwerölkraftwerke, die Modernisierung alter und den Zubau neuer Braunkohle-Blöcke zu vergrößern.
ALSTOM hat bereits die Kraftwerke Turow, Jaworzno, Opole und Lagisza ertüchtigt beziehungsweise mit neuen Dampfturbinen, Dampferzeugern oder Entschwefelungsanlagen ausgerüstet. Zur Zeit ist u.a. die Umrüstung des Kraftwerkes Patnow im Gange. Darüber hinaus stehen Neubauten in den Kraftwerken Lagisza und Belchatow II an. Beim Kraftwerk Patnow erwarten die Ingenieure, mithilfe der Umstellung des Brennstoffs von schwerem Heizöl auf Braunkohle, durch den Einbau eines überkritischen Dampferzeugers (des ersten in Polen) und einer neuen Dampfturbine eine Verbesserung des Gesamtwirkungsgrades von 33 auf 41, 9 Prozent erzielen und gleichzeitig die EU-Normen für NOx- und SO2-Emisionen einhalten zu können.
Von den Beschlüssen von Lissabon lassen sich die Polen offenbar nicht beeindrucken. Die deutsche Bundesregierung hingegen hat sich in den Kopf gesetzt, trotz (oder wegen) ihrer wirtschaftspolitischen Bremserrolle Deutschland zum Vorreiter der "Energiewende" und des "Klimaschutzes" zu machen und versucht (wie auf dem Gipfel von Johannesburg) der ganzen Welt Lektionen in Sachen "erneuerbare Energien" zu erteilen. In der im April 2002 beschlossenen nationalen Nachhaltigkeitsstrategie "Perspektiven für Deutschland" hat sich die Berliner Regierung das Ziel gesetzt, den Anteil "erneuerbarer" Energien am Stromverbrauch bis zum Jahre 2010 auf 12,5 und bis 2050 auf 50 Prozent zu steigern.
Dabei hat in Deutschland die immer massivere Einspeisung des räumlich und zeitlich sehr unregelmässig anfallenden Windstroms schon jetzt die Preise für zuverlässige "Regelenergie" aus konventionellen Kraftwerken und Pumpspeicherwerken für den Ausgleich regionaler Spannungsabfälle in die Höhe schnellen lassen – und zwar seit Anfang 2001 um fast 200 Prozent. Weitere Preiserhöhungen zum Beginn des nächsten Jahres sind bereits angekündigt. Schon wirft der VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (Essen), der Interessenverband der industriellen Stromkunden, den Stromkonzernen E.ON und RWE vor, ihre marktbeherrschende Stellung auszunutzen, und hat ein Verfahren beim Bundeskartellamt angestrengt. Die angesprochenen Stromriesen verweisen jedoch auf ihre gesetzliche Verpflichtung, Windstrom, der an der Strombörse wegen seiner Unregelmässigkeit kaum 2 Cent/kWh wert wäre, für über 9 Cent abnehmen zu müssen.
Obwohl auf dem deutschen Strommarkt derzeit noch Überkapazitäten bestehen, müssen in den nächsten Jahren wegen des beschlossenen Atomausstiegs nach Schätzung des Oldenburger Volkswirtes Prof. Wolfgang Pfaffenberger neue Kapazitäten mit einem Gesamtvolumen in der Größenordnung von 50 Gigawatt errichtet werden. Das könne man zwar auch durch den Bau von Gasturbinen erreichen, die heute Strom für 3 Cent/kWh liefern, dieses Preisniveau wegen der starken Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen jedoch nicht garantieren könnten. Auf den Beitrag der Kohle dürfe deshalb nicht verzichtet werden, zumal die politisch gewünschte CO2-Reduktion mithilfe der Modernisierung von Kohlekraftwerken erheblich billiger zu haben sei als mithilfe des massiven Ausbaus subventionierter Windkraft- und Solaranlagen. "Bei einem Kraftwerkswirkungsgrad von 35 Prozent und einem Kohlepreis von 50 EUR/Tonne kostet die Vermeidung einer Tonne CO2 durch den Einsatz von Windkraftwerken anstelle von Kohlekraftwerken die Volkswirtschaft 48 EUR/t CO2. Gegenüber modernsten Kohlekraftwerken mit einem Wirkungsgrad um 50 Prozent steigen die Vermeidungskosten auf etwa 75 EUR/t an. Muss die Windenergie auch zusätzliche Netzkosten tragen, wie das bei weiterem Ausbau wahrscheinlich wird, so erhöhen sich die CO2-Vermeidungskosten noch weiter", rechnet Prof. Pfaffenberger vor.
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