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http://www.wirtschaftsblatt.at/archiv/...izt-sich-auf-476722/index.do 15.06.2011 | 00:46
Debatte um Sinn und Gefahr der Atomkraft heizt sich auf
Mit der Ankündigung der deutschen Regierung, aus der Atomkraft aussteigen zu wollen, erhält die Debatte um die Gefahren dieser Form der Energiegewinnung neuen Zündstoff. Während sich Österreich nun damit brüsten kann, immer schon gegen Kernenergie gewesen zu sein, sind in Ländern wie den USA oder China die Atomgegner noch in der Unterzahl. Selbst das Beispiel Fukushima hat hier keine Auswirkungen gezeigt -was auch mit der (wirtschaftlichen) Macht der starken Atomlobby in den jeweiligen Weltregionen zu tun hat.
...CHINA. Im Reich der Mitte verursacht der Wirtschaftsboom auch einen entsprechenden Energiehunger -daher will China weiterhin in Atomkraft investieren. Xu Yuming, der stellvertretende Generalsekretär des Verbands der Nuklearenergie (CNEA), gibt der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge an, China wolle jedes Jahr rund 80 Milliarden Yuan (8,69 Milliarden €) in Atomenergie investieren. Derzeit seien in China 13 Reaktoren am Netz, 28 weitere im Bau -das macht 46 Prozent der weltweit laufenden Projekte aus. Bis 2015 wird China die Kapazitäten von 10,8 auf 40 Gigawatt (GW) erhöhen; bis 2020 seien 80 GW möglich. Den Ausbau der zivilen Nutzung von Atomenergie verteidigt Xu mit der Aussage, die chinesische Regierung habe alle bestehenden und im Bau befindlichen Anlagen auf ihre Sicherheit überprüft.
Atom-Kooperation. Um die Sicherheit bei der zivilen Nutzung von Atomenergie zu erhöhen, wollen die asiatischen Staaten China, Südkorea und Japan in Zukunft jedenfalls enger kooperieren; die enge Zusammenarbeit soll auch zu einem zügigen Wiederaufbau Japans beitragen. Bei einem bilateralen Treffen mit Japan hatte Chinas Premier Wen Jiabao gesagt, China werde das Importverbot für Produkte aus den Provinzen Yamagata und Yamanashi aufheben; damit gelten die Importbeschränkungen nur noch für zehn japanische Provinzen. Bei einem Besuch der Katastrophenregion hatten Jiabao und der südkoreansiche Präsident Lee Myung-bak demonstrativ und öffentlichkeitswirksam Kirschen und andere lokale Agrarerzeugnisse gegessen -Japan ist bemüht, das wegen der Atomkatastrophe weltweit erschütterte Vertrauen in seine Produkte zurückzugewinnen.
USA Zuletzt zeigten sich Angela Merkel und Barack Obama anlässlich der Verleihung der amerikanischen Freiheitsmedaille an die deutsche Bundeskanzlerin in harmonischer Eintracht. Beim Thema Atomkraft liegen die beiden Nationen dagegen denkbar weit auseinander. In den USA ist -trotz Fukushima -immer noch ein großer Teil der Bevölkerung für die Nutzung der Atomkraft. Einer Umfrage der Tageszeitung USA Today zufolge sind 44 Prozent der US-Bürger sogar für den Ausbau der Atomkraft -dabei wurde die betreffende Befragung nur zwei Wochen nach dem Reaktorunfall in Japan durchgeführt. Nur etwas mehr, nämlich 47 Prozent, sind gegen den weiteren Ausbau. Prinzipiell nahm die Skepsis gegenüber Atomkraft allerdings zu.
Weniger skeptisch als die Bevölkerung scheinen US-Präsident Obama und sein Energieminister Steven Chu zu sein. Sie halten am Ausbau der Atomkraft fest, und das, obwohl seit Mitte der 1970er-Jahre keine neuen Atomkraftwerke in den USA mehr gebaut wurden und in diese Zeit Unfälle wie jener von Sellafield, Three Mile, Tschernobyl und natürlich Fukushima fallen. Der Bau von bis zu acht neuen Reaktoren bis 2020 wird kolportiert. Derzeit sind in den Vereinigten Staaten 104 Reaktoren in 65 Kraftwerken am Netz, die 20 Prozent des Strombedarfs der USA abdecken. Damit ist das Land der weltweit größte Atomenergieproduzent. Die Ereignisse in Fukushima völlig zu ignorieren, war aber dennoch nicht möglich. So bat die Regierung die US-Atomaufsichtsbehörde NRC, sämtliche amerikanische Atomreaktoren zu überprüfen. In vier Monaten soll die Behörde einen Abschlussbericht inklusive Empfehlungen vorlegen.
DEUTSCHLAND
Am Ende ging alles ganz schnell -Deutschland steht vor einem radikalen Umbau seines Energiesystems: Bis 2022 sollen Atomkraftwerke Geschichte sein. Die meisten der insgesamt 17 Meiler gehen bis 2021 vom Netz; drei AKW -Stichwort Sicherheitspuffer -sollen bei Bedarf noch ein weiteres Jahr Strom liefern. Acht Meiler, es sind die ältesten in Deutschland, werden sofort abgeschaltet. Die verbleibenden neun AKW bekommen ein Enddatum zugeord net. Der Atomausstieg kommt die deutschen Energieriesen teuer zu stehen. Allein E .ON und RWE kostet das Aus laut einer Studie bis zu 22 Milliarden €.
ÖSTERREICH hat es immer schon gewusst -darauf können die heimischen Politiker und Zeitungen jetzt besonders stolz hinweisen. Umweltminister Niki Berlakovich lässt auch keine Gelegenheit aus, anderen Regierungen zu ihrem Anti-Atom-Kurs zu gratulieren. Angesichts des Schweizer Ausstiegs ließ er beispielsweise in einer Aussendung verlautbaren, der "Glaube an eine Zukunft mit sicherer, nachhaltiger Energie kann im besten Sinne des Wortes auch Schweizer Berge versetzen". Berlakovich ist auch einer der Initiatoren einer Wiener "Anti-Atom-Allianz". Ob das Vorbild Österreich auch einer der Gründe für den deutschen Ausstieg war, ist allerdings fraglich -eventuell hat ja die mediale Breitseite gegen die Atomkraft Wirkung gezeigt: Mitte März hatten die Kronen Zeitung -spätestens seit Hainburg selbsternanntes Zentralorgan auch der Naturbewegung -und die Vorarlberger Nachrichten eine Unterschriftenaktion gegen die Nutzung der Kernenergie gestartet. Allerdings ist Österreich selbst nicht ganz atomkraftfrei: Laut dem oberösterreichischen Umweltlandesrat Rudi Anschober befänden sich noch immer sechs Prozent Atomstrom im heimischen Leitungsnetz; Österreich solle alle entsprechenden Importe verhindern. Auch FPÖ-Energiesprecher Norbert Hofer drängte auf ein "gutes Ökostromgesetz", um vor dem Hintergrund dieser Atomstromimporte die Planung möglich zu machen. Indes haben zwei Nachbarländer bereits angekündigt, keinesfalls mit Atomkraft Schluss zu machen: Slowenien und die Slowakei wollen ihre AKW nicht schließen. Sehr wohl soll aber über den Ausbau anderer Energieträger -etwa Gas -nachgedacht werden.