SPIEGEL ONLINE - 02. Januar 2007, 19:44 URL: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,457465,00.html FRANKFURTER KINDERMÖRDER Gäfgen, der Anwalt und die Stiftungs-Show
Von Simone Kaiser, Frankfurt am Main
Also doch: Die von Kindermörder Magnus Gäfgen geplante Stiftung steht erneut vor der Genehmigung. Die Stiftung habe nichts mehr mit Gäfgen zu tun, heißt es im Antrag bei der zuständigen Behörde. Doch auf der Homepage des neuen Gründers, seinem Anwalt, liest sich das etwas anders.
Frankfurt am Main - Pokern liegt derzeit im Trend. Die Zocker tragen dazu schwarzen Zwirn, parken in schicken Autos vor dem Kasino und trinken Martinis. Doch das Wichtigste bei diesem Glücksspiel ist es, im entscheidenden Moment die Nerven zu bewahren und sich niemals in die Karten blicken zu lassen. Letzteres beherrscht Rechtsanwalt Michael Heuchemer, juristischer Beistand des Kindermörders Magnus Gäfgen, schon ziemlich gut. Auch das berühmte Poker-Face übt der Nachwuchs-Advokat fleißig, auch wenn er es meist nur in seiner Kanzlei in einem Reihenhaus in Bendorf nahe Koblenz zeigen kann, wo seine Mutter ihn im Büro unterstützt.
Magnus Gäfgen beim Prozess (Archivbild von 2003) AP
Magnus Gäfgen beim Prozess (Archivbild von 2003) Das passende Outfit und Gefährt für die Karriere hat sich der 30-Jährige auf jeden Fall schon einmal zugelegt. Auf seiner Homepage präsentiert sich der Schlipsträger zukünftigen Klienten als Freund großer Weine, "insbesondere deutscher und österreichischer Hochprädikatsweine und der Premiers Crus aus Burgund und dem Bordelais", und stolzer Besitzer eins Rolls-Royce, Baujahr 1973, Oxfordgreen-metallic. Heuchemers bisherige Strategie ist es jedoch, den wunden Punkt seiner Gegner zu suchen und dann die richtige Karte zu spielen.
Momentan sitzt er mit der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier an einem (Spiel)-Tisch. Die Partie dauert schon etwas länger, doch jetzt müssen die Karten wohl noch einmal neu gemischt werden. Heuchemer hatte im August 2006 bei der ADD die Genehmigung einer "Magnus-Gäfgen-Stiftung" zugunsten von Jugendlichen, die Opfer eines Verbrechens wurden, beantragt. Perfide in den Augen aller Opfer, fanden entsprechende Verbände - perfekt für die "gesellschaftlich gewünschte Resozialisierung" Gäfgens, der im Jahr 2000 einen elfjährigen Millionärssohn entführt und ermordet hatte, findet sein Anwalt.
Neuer Name, alte Stiftung
Die Aktion wurde schnell wegen "Verstoßes gegen die guten Sitten" von der zuständigen Behörde vereitelt und die Stiftungsgründung untersagt, "da diese untrennbar mit der Person des wegen Kindermordes rechtskräftig zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Magnus Gäfgen verbunden ist". Der Stiftung sollte unter anderem auch der Erlös des Gäfgen-Buchs "Allein mit Gott" zu Gute kommen, um dessen Vertrieb er sich persönlich kümmert und eigens eine Gäfgen-Homepage eingerichtet hat. "Der Gedanke dieses Engagements ist es allein, ein kleines Gegensymbol zu dem geschehenen Unrecht aus dem Jahr 2002 zu setzen", verkündete er damals.
Heuchemer wäre jedoch kein wahrer Spieler, würde er die Partie so schnell verloren geben. So hat er nochmals sein Blatt genauer betrachtet, die Karten des Gegners abgeschätzt und just Widerspruch eingelegt: Gäfgens Anwalt hat einmal die Satzung der Stiftung komplett überarbeitet und ihr einen neuen Namen verpasst: "Stiftung zugunsten jugendlicher Verbrechensopfer". Stirnrunzelnde Mitspieler fragen sich ob der schnelle Parade, wie der Anwalt neben seiner Tätigkeit für Gäfgen eigentlich überhaupt noch die Zeit findet, sich ernsthaft um andere spektakuläre Einzelfälle kümmern, wie zum Beispiel der auf seiner Homepage gepriesene "Supersportwagenfall", nach Selbstauskunft eines seiner juristischen "Highlights 2006". Aber irgendwo muss das Geld ja herkommen, wo das laufende Spiel so schlechten moralischen Gewinn abwirft.
Nun liegt der ADD also ein neuer Entwurf vor, "bei der auf jegliche Verbindung mit der Person Magnus Gäfgen - nicht nur bei der Namensgebung - verzichtet" wird, so die Zuständigen. "Zudem konnte die Stiftungsbehörde erreichen, dass durch Regelungen in der Stiftungssatzung eine Außenvertretung der Stiftung im Vertretungsfall durch Magnus Gäfgen ausgeschlossen ist." Daher sei festzuhalten, dass "dieser neuen Stiftung keine Bedenken entgegenstehen", so ADD-Sprecherin Eveline Dziendziol.
Entschieden ist noch gar nichts - und doch kochen die Emotionen schon wieder hoch. "Die vorgesehene Stiftung offenbart den widerlichen Zynismus eines brutalen Mörders", erklärt der rechtspolitische Sprecher der hessischen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Andreas Jürgens. "Den Opfern von schweren Gewaltverbrechen auch nur anzusinnen, Geld bei einer Stiftung zu beantragen, bei der einer der fürchterlichsten Verbrecher der neueren Zeit als Vorstandsmitglied über die Verwendung der Mittel mitentscheidet, verhöhnt die Opfer zusätzlich."
Gäfgen stellt sich als Opfer dar
Denn so ganz ohne Gäfgens Mitsprache, wie sich das wohl die Behörde und manch andere erhoffen, wird es nicht laufen. Und daraus macht Heuchemer keinen Hehl. So feiert der Anwalt unter der Überschrift "Stiftung wird gegründet!" schon einmal vorauseilend den vermeintlichen Sieg auf seiner Homepage: "Es wird unsere Stiftung mit dem von Anfang an konzipierten Stiftungszweck geben. Ich bin designierter Vorstandsvorsitzender der Stiftung und Stifter. Herr Magnus Gäfgen wird ihr im Vorstand als einer von zwei stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden oder als Beisitzer im Stiftungsvorstand angehören, was der genehmigenden Behörde mitgeteilt und bekannt ist."
Axel Wilke, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz und seit langem ohnmächtiger Betrachter des Geschehens, fordert, "bestehende Lücken im Stiftungsrecht zu schließen". Denn wen Heuchemer nach der Genehmigung der Stiftung in den Vorstand befördert, ist weitgehend dessen persönlichem Gutdünken überlassen. Wilke wünscht sich daher, dass die Landesregierung über den Bundesrat eine Initiative anstößt, die einen Missbrauch des Stiftungsrechts verhindert: "Wenn es einem verurteilten Kindsmörder gelingt, auf Umwegen eine solche Stiftung auf den Weg zu bringen, liegt ein Systemfehler vor. Seit seiner Verurteilung stellt sich Gäfgen selbst als Opfer dar und wird sich bald wohl auch noch 'Wohltäter' nennen."
Den Zocker Heuchemer lassen diese Äußerungen kalt - eine persönliche Stellungnahme will er nicht abgeben. Wenn er jedoch auf seiner Homepage "spricht", löst sich das harte Poker-Face langsam in Wohlgefallen auf - und es dringt nach außen, was der Anwalt und auch sein Mandant wohl im Innersten gerade wirklich fühlen dürften: "Wir drücken insbesondere unsere Freude und Genugtuung darüber aus, dass es uns möglich ist, dieses Ziel auch gegen erhebliche Widerstände von interessierter politischer und publizistischer Seite aus durchzusetzen (...). Herzlich laden wir Interessenten zur Mitwirkung ein."
Man wird den Eindruck nicht los, Michael Heuchemer hat noch viele Karten im Ärmel stecken.
__________________________________________________ Aucun homme n'est assez riche pour acheter son passé Oscar Wilde |