Der Chef der libyschen Übergangsregierung hat offiziell bestätigt, dass Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi tot ist. Im letzten Moment vor dem Fall seiner Heimatstadt Sirte versuchte Gaddafi, in einem Konvoi aus der Stadt zu flüchten. Dabei wurde er tödlich verwundet. Die Nachricht vom Tod des Langzeitmachthabers löste Freudenfeiern im ganzen Land aus. In zahlreichen Medien tauchten Fotos und Videos auf, die laut Übergangsrat den toten Gaddafi abbilden. Zum Nachweis zeigt auch ORF.at eines der Bilder (Warnung: drastische Darstellung).
Zwei Monate untergetaucht
Die mehr als vier Jahrzehnte währende Herrschaft von Libyens Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi ist endgültig vorbei: Zwei Monate nach seinem Sturz ist der 69-Jährige nach Angaben des Übergangsrates getötet worden. Der Chef der Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, bestätigte den Tod des Diktators Donnerstagnachmittag, von dem seit dem 27. August jede Spur fehlte.
Zuvor hatte bereits Informationsminister Mahmud Schammam betont: „Alle Hinweise, die wir haben, besagen, dass Oberst Gaddafi Geschichte ist.“ Gaddafi sei während der Gefechte in seiner Heimatstadt Sirte von Milizionären getötet worden. Der Übergangsrat wollte sich noch am Donnerstag äußern. Das US-Außenministerium wollte Gaddafis Tod vorerst nicht bestätigen. Auch die NATO prüft die Berichte noch. Der britische Premierminister David Cameron bestätigte die Berichte jedoch indirekt: Nach dem Tod Gaddafis habe das libysche Volk eine „größere Chance“ auf eine demokratische Zukunft.
Die genauen Umstände des Todes waren am Donnerstag noch unklar. Nach widersprüchlichen Berichten soll Gaddafi entweder während der Flucht aus einem Haus, in einem Autokonvoi, in einem Erdloch oder aber versteckt hinter großen Betonröhren getötet worden sein. Unterdessen soll laut Agenturberichten ein Amateurvideo beweisen, dass Gadaffi lebend gefangen genommen wurde. Goldener Revolver als Trophäe
In Sirte sagte ein Kämpfer der Truppen der neuen Führung, er sei bei der Festnahme dabei gewesen. Er habe dem gestürzten Machthaber seine Waffe, einen goldenen Revolver, abgenommen, sagte Mohammed Lahuaib Shaban, einer AFP-Reporterin. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie ein Kämpfer eine goldene Pistole in die Luft reckte und den Tod des ehemaligen Diktators feierte. Ein Kämpfer der libyschen Übergangsregierung hält eine goldene Pistole in die Luft.APA/EPA/Guillem ValleEin goldener Revolver wird als Kriegstrophäe präsentiert Jubelfeiern in Libyen
Die Nachricht von Gaddafis Tod löste Jubel im ganzen Land aus. Menschen strömten in Tripolis, in Bengasi und in anderen Städten Libyens auf die Straßen und Plätze. „Es stimmt wirklich, ja, er ist tot, es stimmt wirklich, alle sind auf der Straße, alle feiern“, jubelte Mohammed al-Ghannai, ein Mitglied des Kommandos der Revolutionsarmee in Westtripolis.
Neben dem Diktator soll auch dessen Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi getötet worden sein. Außerdem soll sich der verletzte Gaddafi-Sohn Mutassim in den Händen der Milizionäre befinden, berichtete al-Jazeera. Zudem wurde Gaddafis Militärchef Abu Bakr Yunus Jabr getötet. Al-Jazeera zeigte Bilder einer Leiche, bei der es sich um Jabr handeln soll. Die Leiche Gaddafis wurde dem Sender al-Arabija zufolge nach Misrata gebracht.
Erste Fotos und Videos
Unterdessen sind Fotos und erste verwackelte Videos aufgetaucht, die laut Übergangsrat den getöteten ehemaligen Diktator zeigen. Auf einem Bild ist ein Mann zu sehen, bei dem es sich demnach um Gaddafi handelt. Er liegt blutend und umringt von Milizionären des Übergangsrates auf dem Boden. Am Nachmittag stellte der Sender al-Jazeera auf seiner Website ein Video online, das den toten Gaddafi zeigt (Warnung: drastische Darstellung). Der arabische Fernsehsender al-Arabija wiederum will die Erlaubnis haben, die Leiche Gaddafis zu filmen.
Leiche von Muammar al-GaddafiAP/Al JazeeraFoto Gaddafis von einem Video auf al-Jazeera
Sollten sich die Berichte über den Tod Gaddafis und den Fall seiner Heimatstadt Sirte bestätigen, wäre der Weg frei für den Aufbau eines neuen Libyens. Der Übergangsrat kündigte an, eine neue provisorische Regierung zu bilden und demokratische Wahlen abzuhalten.
Betonröhre als letzter Fluchtort?
Der Nachrichtensender al-Arabija zeigte am Donnerstag Bilder von dem Ort in Sirte, an dem die Kämpfer Gaddafi angeblich gefunden hatten. Zu sehen sind zwei große Betonröhren, darüber hat jemand auf eine Betonwand gesprüht: „Das ist der Platz der verfluchten Ratte Al-Gaddafi - Gott ist groß.“ Vor den Betonröhren liegen zwei Leichen auf dem Boden.
Ein Kämpfer der libyschen Übergangsregierung kriecht in eine Tunnelröhre.AP/David SperryGaddafis mutmaßlich letzter Fluchtort
Nach anderen Berichten starb der Ex-Diktator während eines Angriffs auf einen Fahrzeugkonvoi. Wie ein Reporter der britischen Tageszeitung „Guardian“ berichtete, wurde der Konvoi Donnerstagfrüh von NATO-Flugzeugen angegriffen, als er gerade Sirte verlassen wollte. Die NATO bestätigte am Donnerstag lediglich einen Angriff auf einen Konvoi.
Al-Jazeera meldete unter Berufung auf Milizionäre, dass Gaddafi - ähnlich dem irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein, in einem Erdloch gefasst worden war. Der britische Sender BBC zitierte einen Milizionär, wonach Gaddafi gebettelt haben soll: „Nicht schießen, nicht schießen.“ Gaddafis Leichnam wurde nach Misrata an einen geheimen Ort gebracht.
Überraschender Fluchtort
Dass sich Gaddafi in Sirte versteckt hatte, ist für viele Beobachter überraschend. Der seit zwei Monaten Flüchtige war in einer Oase im Süden des Landes vermutet worden. Allerdings erklärt sich jetzt, warum in Sirte Gaddafi-Getreue über Wochen hinweg erbitterten Widerstand gegen die Truppen des Übergangsrates geleistet hatten. TV-Hinweis
Ein „Runder Tisch“ befasst sich ab 22.30 Uhr in ORF2 mit dem Tod Gaddafis und den Folgen.
Gaddafis Heimatstadt war am Donnerstag als letzte Bastion des Widerstands gegen die neuen Herrscher gefallen. Mit der Eroberung Sirtes und dem Tod Gaddafis schließt sich für die Übergangsregierung ein Kreis, der seinen Ausgangspunkt im Februar in der Erhebung gegen den Diktator hatte. Während des Kampfes um die Macht wurde die einstige Rebellenbewegung von der NATO aus der Luft unterstützt, was erheblich zu deren Erfolg beitrug. Als offizielles Datum der Absetzung Gaddafis gilt der 22. August, an dem die Rebellen die Eroberung der Hauptstadt Tripolis meldeten.
NATO: Libyen-Einsatz wird beendet
Bereits am Freitag könnte nach Angaben der NATO nun der Militäreinsatz in Libyen als beendet erklärt werden. Die NATO hatte seit 31. März mehr als 26.000 Einsätze über Libyen geflogen, davon gut 9.600 Kampfeinsätze. Zudem hatte das Bündnis eine Seeblockade verhängt. Eine NATO-Sprecherin hatte bereits am Dienstag gesagt, die Beendigung des Einsatzes sei „sehr nah“. Sie werde erfolgen, wenn keine Gefahr mehr durch Gaddafi-treue Truppen für die Zivilbevölkerung bestehe.
Links:
Libyscher Übergangsrat Al-Jazeera BBC NATO-Mission in Libyen
Publiziert am 20.10.2011
http://orf.at/stories/2085364/2085360/ |