Angriff auf die Ukraine Deutschlands strategische Defizite
© dpa Die Pipeline Nord Stream 2 hätte eigentlich einst mehr russisches Gas nach Deutschland bringen sollen – sie war schon vor dem Angriff auf die Ukraine indes hoch umstritten.
Der Leitungsbau kommt nicht voran
Aber auch eine erfolgreiche Sanktionspolitik ersparte es Deutschland nicht, seine Interessen nicht länger durch eine primär situative Politik zu verfolgen, sondern in einem stärkeren Maße – und Hand in Hand mit seinen Partnern – strategisch zu denken und zu handeln. Deutschlands Energiepolitik wird schon seit vielen Jahren von nicht wenigen Partnern jedoch nur noch mit deutlich vernehmbarem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. Die Reihenfolge des Ausstiegs aus der Kernenergie und der Kohle bezeichnen selbst manche Gegner der Kernenergie mit Blick auf die Versorgungssicherheit heute als unglücklich.
Mit diesen Entscheidungen verbunden war die Absicht, den Anteil regenerativer Energien rasch zu steigern. Aber der Leitungsbau, mit dem Ökostrom vom Norden in den Süden Deutschlands gebracht werden soll, kommt unter anderem wegen ökologischer Bedenken nicht voran. Diese Politik erzeugt auf lange Sicht eine Abhängigkeit von Gaslieferungen, für die Russland bereitwillig eine bedeutende Rolle eingeräumt wurde.
Anders als beim Öl, wo nach der Krise von 1973 nicht nur eine größere Diversifikation unter den Lieferanten angestrebt, sondern auch eine nationale Reserve angelegt wurde, existieren für Gas zwar Zwischenlager, aber nichts, was den Begriff strategische Reserve verdiente. Verzichtet wurde darauf unter anderem aus ökologischen Gründen.
Es wird einer Herkulesaufgabe gleichen, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums den Anteil regenerativer Energien deutlich zu steigern, in eine leistungsfähige Wasserstoffwirtschaft einzusteigen, eine von Russland weniger abhängige Gasversorgung zu organisieren und gleichzeitig endlich international wettbewerbsfähige Strompreise zuzulassen. Selbst eine im europäischen Vergleich sehr leistungsfähige Volkswirtschaft wie die deutsche kann sich an einer solchen Aufgabe verheben.
Zumal Deutschland endlich auch in seiner Verteidigungspolitik strategischer denken muss. Wer sich Streitkräfte leistet, muss auch für eine moderne Ausrüstung sorgen. Was sich Deutschland in dieser Hinsicht seit vielen Jahren leistet, gleicht einer Beleidigung für seine Soldaten und einem Offenbarungseid gegenüber seinen NATO-Partnern. Es wird viel Geld, viel Mühe und viel Zeit kosten, die Versäumnisse der Vergangenheit zu korrigieren. Am besten geschähe dies wohl durch industrielle Kooperationen mit Partnerländern.
Die Herausforderungen sind gewaltig, aber der Schock der russischen Aggression dürfte eine große Mehrheit der Bevölkerung wie der im Bundestag vertretenen Parteien für eine strategischere, fest im Westen verankerte Politik Deutschlands eintreten lassen. Der aus den trüben Tümpeln der extremen Linken und der extremem Rechten zu vernehmende, nicht selten aus tumbem Antiamerikanismus sich ableitende Beifall für das Russland Putins verbleibt als armseliger Ausdruck von Realitätsfremdheit und Verantwortungslosigkeit. Quelle: F.A.Z. |