Gierig auf den wilden Osten

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Gierig auf den wilden Osten

08.07.2007 Ausgabe 27/07
Die Staaten Osteuropas machen durch Korruption und Politskandale von sich reden. Die Börsen der Zukunftsmärkte boomen dennoch. Warum sich das so schnell auch nicht ändern wird
von Peter Gewalt und Jörg Billina

Beschimpfungen unzufriedener Fans gehören für Präsidenten eines Fußballklubs in Deutschland zum Alltag. Als Boss eines bulgarischen Erstligavereins muss man dagegen rechnen, mit einer Kugel im Kopf zu enden. Insgesamt 15 bulgarische Klubchefs sind in den vergangenen zwölf Jahren Attentaten zum Opfer gefallen. Besonders gefährlich ist das Präsidentenamt bei Lokomotive Plovdiv: Die letzten drei Präsidenten des Schwarzmeer-Klubs aus dem Osten Bulgariens sind seit 2005 hingerichtet worden. Zuletzt erwischte es am 18. Mai 2007 Alexander Tasev, der am helllichten Tag in Sofia erschossen wurde.

Vermutungen zufolge wurde Talsev von Killern aus dem Mafiamilieu ermordet. Tasevs Verbindungen zur Unterwelt sollen ebenso eng gewesen sein wie die seiner Vorgänger Nikolai Popov und Georgi Iliev. Für die Geldwäsche gelten bulgarische Ballsportvereine als idealer Ort. Und auch künftig dürfen sich die Präsidenten bulgarischer Fußballvereine nicht allzu sicher fühlen: Wie auch bei der Mehrzahl der anderen 150 Auftragsmorde der vergangenen Jahre landete bisher kein einziger der Präsidentenattentäter vor einem Richter, geschweige denn in einem Gefängnis.

Diese magere Bilanz in der Verbrechensbekämpfung kommt nicht überraschend. Bulgarische Ermittlungsbehörden gelten bei Untersuchungen im Umfeld des organisierten Verbrechens als notorisch erfolglos. Entscheidende Verbesserungen beim Kampf gegen die Kriminalität und beim Aufbau eines effizienten Rechtssystems gehörten im Vorfeld des EU-Beitritts des Landes im Januar 2007 daher zu den wichtigsten Forderungen Brüssels gegenüber ­Sofia. Zwar wurden inzwischen Gesetze geändert, und der Mafia wurde offiziell der Kampf angesagt. Doch trotz einiger Fortschritte weise der Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität noch „erhebliche Defizite“ auf, so die EU-Kommission vor wenigen Tagen. Ähnlich unzufrieden ist man mit Bulgariens Nachbarn Rumänien, ebenfalls seit Jahresanfang EU-Mitglied. Vergangene Woche erst forderte Deutschlands Präsident Horst Köhler bei seinem Staatsbesuch in Rumänen, die Korruption im Land effektiver zu bekämpfen.

Doch schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht: Die Verbindungen der rumänischen und bulgarischen Mafia, die sich auch aus ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern und Parteigenossen zusammensetzt, reichen bis in die obersten Regierungskreise. „Die Mafia in Bulgarien ist nicht Teil des Staats, sondern der Staat Teil der Mafia“, beschreibt der bulgarischstämmige Schriftsteller Ilja Trojanow die Situation. Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International bestätigt das Bild: Bulgarien landet in dem Index der korruptionsanfälligsten Staaten auf Rang 57, knapp vor Ländern wie Kolumbien und Jamaika.

Dagegen stehen die Börsen in Bukarest und Sofia nun schon seit einiger Zeit ganz weit oben auf der Rangliste der gewinnträchtigsten Börsen weltweit. So hat sich in den vergangenen zwei Jahren Rumäniens Auswahlindex BET mehr als verdoppelt. Auf der Suche nach Mehrrendite sind die Investoren gierig auf Aktien aus dem wilden Osten – organisierte Kriminalität und politische Krisen lassen die meisten Anleger kalt. Spanien, Irland oder Griechenland haben schließlich vorgemacht, welche überdurchschnittliche Renditen die Börsen vor und nach dem Beitritt zur Europäischen Union abwerfen.

Und wie bei den ersten großen Gewinnern der EU-Erweiterung hat auch die Staaten Osteuropas ein breiter Wirtschaftsaufschwung erfasst. Milliarden aus dem Ausland werden in neue Fabriken gesteckt, die Exporte boomen, Einkommen und Konsum steigen. Und dank Strukturbeihilfen aus Brüssel werden Straßen, Häfen und Eisenbahnstrecken auf Vordermann gebracht. Bis 2013 fließen rund 180 Milliarden Euro an Subventionen in die neuen EU-Mitgliedsländer. „Die Länder Osteuropas haben einen beeindruckenden Aufholprozess gestartet, der die Börsenkurse treibt“, schwärmt Ralph Luther, Fondsmanager des Berenberg-Balkan-Baltikum-Fonds.

Skandale haben der Euphorie bisher kaum geschadet. Denn ob in der Slowakei, in Polen, Ungarn oder der Ukraine: Polit- und Bestechungsaffären gehören im ehemaligen Ostblock derzeit zum Alltag. Länder wie die Ukraine haben gleich an mehreren Fronten zu kämpfen. So klagt der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko offen über die ungewöhnlich große politische Flexibilität ukrainischer Abgeordneter. In der vergangenen Legislaturperiode wechselten 450 Abgeordneten des Parlaments in der Hauptstadt Kiew insgesamt 460 Mal ihre Fraktionszugehörigkeit – häufig aufgrund eines Handgelds oder anderer Vergünstigungen. Politische Stabilität ist im zweitgrößten Land Europas, im Ranking der korruptesten Staaten 40 Plätze hinter Bulgarien zu finden, daher nicht zu erwarten. In schöner Regelmäßigkeit kommt es in Kiew zu schweren Regierungskrisen. Noch bis vor einem Monat tobte ein Machtkampf zwischen Parlament und Präsident, bis man sich nach zähem Ringen auf Neuwahlen im September einigen konnte.

Von der monatelang dauernden Lähmung des politischen Lebens unbeeindruckt, gewann der ukrainische Auswahlindex PFTS seit Januar rund 100 Prozent hinzu. Kein andere Börse hat in diesem Jahr besser abgeschnitten. Roman Zakharov von der ukraini­schen Investmentfirma Foyil hat für dieses Phänomen eine Erklärung. „Investoren haben es aufgegeben, politische Ereignisse in der Ukraine nach westlichen Mustern zu beurteilen“, sagt Zakharov. „Zwischen dem politischem Lärm und der Entwicklung der Unternehmensergebnisse besteht ein sehr geringer Zusammenhang.“ Denn trotz widriger Rahmenbedingungen weisen Firmen in der Ukraine zweistellige Gewinnsprünge auf.

Leidtragende des Chaos gibt es dennoch. Es sind die Länder, die noch Anschluss an Europa suchen. Beitrittszusagen im Voraus und ohne Vorbedingungen wie zuletzt im Fall von Rumänien und Bulgarien wird es wohl nicht mehr geben. Erst Reformen, dann die lukrative Mitgliedschaft, so wird der Deal in Zukunft lauten. Pech für Kroatien, das 2010 zur EU hinzustoßen will und wohl mit härteren Auflagen als die Vorgänger rechnen muss. Auch Serbien, Mazedonien, Albanien, Bosnien, Montenegro und die Türkei gehören zu den Verlierern. Angesichts der Probleme in Südosteuropa gibt es wenig Rückenwind für eine schnelle Aufnahme neuer EU-Mitglieder, die mit politischen oder wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben.

Wetten auf die Erweiterung zahlen sich aber trotz möglicher Verzögerungen aus. So gehört die Börse in Serbien mit einem Plus von über 60 Prozent zu den heißesten Börsenpflastern des Jahres. Auf der Liste der korruptesten Staaten liegt Serbien dagegen weit abgeschlagen auf Platz 90 – aber noch neun Plätze vor der Ukraine.  

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