Die Rally der Nebenwerte dauert nun schon 18 Monate. Die vielfach prophezeite Korrektur blieb bisher aus. Die Small Caps dürften auch in den kommenden Monaten den DAX hinter sich lassen
von K. Schachinger und J. Spiering
Der Mann fühlt sich erst jenseits der 200 wohl. Klaus Dieter Frers liebt das Tempo. Vier Siege hat der Hobby-Rennfahrer vergangenes Jahr errungen, das kann sich sehen lassen. Fast hätte es auch beim Langstreckenrennen für Tourenwagen und Porsche GT auf dem Hockenheim-Ring geklappt. \" Zuerst lag ich in Führung, aber dann hat mich einer gerammt. Als ich wieder aus der Box fuhr, lag ich auf Platz 15\" , ärgert sich der 51jährige. Das Rennen beendete der Oldtimer-Freak schließlich doch noch auf Platz 2.
Eigentlich spricht Frers gar nicht so gern über sein Hobby. \" Ich will das nicht an die große Glocke hängen\" , sagt er. Eine Rolle spielt dabei auch der Flurschaden, den der einstige Infineon-Chef und Porsche-Pilot Ulrich Schumacher hinterlassen hat. Und dann schwärmt Frers doch wieder. Von seinem Porsche 904/6, dem Werkswagen, mit dem Herbert Linge und Peter Nöcker 1965 beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans als Sieger durchs Ziel fuhren: \" Es gibt Leute, die würden den Wagen als Museumsstück bestaunen, ich fahre lieber Rennen damit.\"
Auch in seinem Hauptberuf als Unternehmer hat Frers viel mit Herstellern schneller Autos wie Porsche, BMW oder Mercedes zu tun. Seine Firma Paragon, 1988 zusammen mit seiner Frau gegründet, macht heute zwei Drittel von 66 Millionen Euro Umsatz mit Sensortechnik. Die Bauteile stecken zum Großteil in Klimaanlagen für Oberklasse-Autos.
Die Firma aus Delbrück in Nordrhein-Westfalen ist hier Weltmarktführer. Ihre Sensoren sorgen für eine möglichst geringe Schadstoffbelastung der Luft im Inneren der Fahrzeuge. Beispielsweise wird bei einer Fahrt durch einen Tunnel die Zufuhr von Außenluft unterbrochen, wenn die eine erhöhte Abgaskonzentration aufweist. Das Know-how als Automobilzulieferer nutzt Paragon inzwischen auch für Sensoren in Gebäuden. Werden voreingestellte Grenzwerte überschritten, schlägt das System Alarm. Dieser neue Bereich trägt noch wenig zu Umsatz und Gewinn bei. Er soll durch Firmenkäufe ausgebaut werden.
Paragon ist klein, stark und an der Börse wenig bekannt. 2004 hat die Firma ihren Umsatz aus eigener Kraft deutlich gesteigert. Zusätzlich wurden zwei mittelständische Firmen übernommen, sodaß Paragon insgesamt auf 50 Prozent Wachstum kam. Die genauen Zahlen werden am 16. März vorgelegt.
\" Wir liegen im grünen Bereich\" , kommentiert Frers. Mehr sagt er noch nicht. Vom Stuttgarter Bosch-Konzern kaufte er im vergangenen Jahr eine Tochter, die Gas-Sensoren entwickelt. Dazu kam die Andreas Haller GmbH aus dem Schwarzwald, ein Spezialist für Feinmechanik, der Anzeigeninstrumente für Auto-Cockpits fertigt. Frers hofft, daß sich seine Sensorsysteme mit gefälliger Optik noch besser verkaufen. Stolz zeigt er auf die Uhr, die neuerdings das Armaturenbrett in den 911er- und Boxster-Modellen von Porsche ziert: \" Damit fallen wir stärker auf.\"
2005 setzt Frers auf eine größere Übernahme im Bereich Lüftungssensoren für Autos. Geld ist vorhanden. Eingesammelt wird es auf eine innovative Art: via Genußschein mit sechs Prozent Mindestverzinsung. Die Zeichnungsfrist für die zweite Tranche läuft bis Ende des Jahres. Insgesamt sollen 14,5 Millionen Euro in Paragons Kassen fließen. Vorteil für Scheininhaber: Steigt die Profitabilität, also die Marge beim Gewinn vor Steuern und Abschreibungen (Ebitda) auf mehr als 14 Prozent, gibt es sieben Prozent Zinsen. Ab 16 Prozent Marge acht, bei 18 Prozent sogar neun. Die Aktionäre profitieren davon. Seit dem Tief im März 2004 hat sich der Kurs mehr als verdoppelt. Und es spricht viel dafür, daß die Rally damit noch nicht zu Ende ist. Paragon bietet die Story, die jetzt gefragt ist.
Fondsmanager suchen europaweit nach kleinen Unternehmen. \" Viele dieser Firmen sind in ihren Nischen Weltmarktführer\" , sagt DIT-Fondsmanager Frank Hansen. Die Aktien von Nebenwerten wurden von institutionellen Anlegern lange Zeit vernachlässigt, weiß er: \" In den Portfolios wurde indexorientiert angelegt. Anteilsscheine von Unternehmen, die nicht in einem der großen Aktienindizes vertreten waren, wurden dagegen verkauft.\"
Aber seit einigen Jahren ist ein breiterer Anlagehorizont gefragt. Daß die neue Sicht weniger Risiko und eine höhere Rendite bringt, ist wissenschaftlich belegt. Professor Martin Weber, Leiter der Behavioral Finance Group, also der Anlegerpsychologie, an der Universität in Mannheim, hat alle europäischen Aktienindizes über einen Zeitraum von zehn Jahren untersucht. Sein Fazit: \" Aktien aus der zweiten und dritten Reihe vermindern das Risiko und erhöhen bei einer Gleichgewichtung mit Standardwerten die Rendite des Portfolios.\"
\" Die gezielte Auswahl einzelner Werte, vor allem mittlerer und kleiner, hat auch 2005 Vorrang\" , so Hansen. Die Entwicklung der Kleinwerte- Indizes spricht für sich. Während der DAX 2004 um 7,3 Prozent zugelegt hat, schafften MDAX und SDAX über 20 Prozent und erreichten neue Allzeithochs. Die Vorliebe der Fondsmanager für solide, kleine und mittlere Unternehmen wird dadurch jedoch nicht geschmälert.
Und auch nicht die der Anleger. Allein im Januar flossen den Managern der DIT-Nebenwertefonds 6,5 Millionen Euro frisches Kapital zu. \" Im Vergleich zu den auf Standardwerte spezialisierten Fonds ist das sehr viel\" , weiß DIT-Sprecher Heinrich Durstewitz. Im gesamten Vorjahr war das verfügbare Geld um 30 Milllionen auf 150 Millionen Euro gestiegen. Der erfolgreiche Trend aus 2004 setzt sich bei der Fondstochter der Dresdner Bank fort.
Auch bei Deutschlands größter Fondsgesellschaft DWS, einer Tochter der Deutschen Bank, rechnen die Nebenwerte-Profis mit einer Fortsetzung der Kursrally in der kleinen und mittleren Börsenliga. Bei Paragon zum Beispiel ist die DWS mit einem Anteil von mehr als sechs Prozent größter institutioneller Investor.
Niedrige Zinsen und steigende Firmengewinne sprechen langfristig für den Kauf von Aktien. \" Aber anders als Ende der 90er Jahre, als die großen Indizes gut liefen, gibt es keine globalen Trends, die die Standardwerte auf breiter Front beflügeln\" , sagt DIT-Experte Hansen. Stock-Picking ist also angesagt, die gezielte Suche nach profitablen Unternehmen mit einem funktionierenden und ausgereiften Geschäftsmodell – und das zu einem fairen Preis. Anlageprofis achten bei der Auswahl dabei besonders auf Kontinuität bei der Dividendenauszahlung und hohe Einnahmen aus dem Tagesgeschäft (Cash-Flow). Maßstäbe, die indexorientierte Fondsmanager lange Zeit nur Dickschiffen zutrauten.
Inzwischen ist man offener: \" Der Ausfall der Dividende bei der HypoVereinsbank zeigt, daß das heute nicht mehr gilt\" , sagt Stephan Thomas, Fondsmanager bei Frankfurt Trust. \" Der Hunger der Investoren auf kleine Werte ist groß\" , glaubt auch er. Die Folge: Nebenwerte sind nicht mehr billig. Der Bewertungsabschlag der Aktien, lange Zeit das wichtigste Kaufargument der Fondsprofis, ist mittlerweile Geschichte. Gemessen am Kurs/Gewinn-Verhältnis sind MDAX und SDax inzwischen höher bewertet als der DAX. Nach Berechnung von HSBC Trinkaus & Burkhardt liegt das KGV des MDax für 2005 bei 14 und damit über dem des Dax (12). Beim SDax, dem Index der kleineren Werte, ist der Aufschlag bei einem KGV von 16,5 sogar noch ambitionierter.
Anleger sollten sich davon nicht irritieren lassen. \" Die Prämie ist zumindest beim MDax gerechtfertigt\" , sagt Volker Borkhoff, Aktienstratege bei HSBC Trinkaus & Burkardt. Denn während die Gewinne im Dax nach Schätzungen der HSBC-Analysten 2005 um ein Prozent zurückgehen werden, rechnen sie bei MDAX-Firmen mit einem durchschnittlichen Anstieg von 20 bis 30 Prozent. Borkhoffs Fazit: \" Der MDAX wird auch 2005 um zehn bis 15 Prozent besser laufen als der DAX.\"
Einzelne Kandidaten aus dem Segment der mittelgroßen Unternehmen wie der Baukonzern Bilfinger Berger, der Rückversicherer Hannover Rück, die auf Immobilien spezialisierte Hypo Real Estate oder der Automobilzulieferer Leoni werden in diesem Jahr wegen der niedrigeren Gewinnbasis aus dem Vorjahr mit hohen zweistelligen Wachstumsraten glänzen. Diese Aktien sind eine Wette wert. Dennoch sollten Anleger sorgfältig auswählen, einige SDAX-Aktien sind heißgelaufen. \" Seit Anfang 2004 wurden die Gewinnschätzungen für das laufende Jahr um zehn Prozent nach unten korrigiert\" , warnt Borkhoff. Derzeit gebe es jedoch keine anderen Einflußfaktoren, wie zum Beispiel Übernahmespekulationen, die eine höhere Bewertung gegenüber dem MDax langfristig stützten. Weil Anleger jedoch im allgemein schwachen Marktumfeld weiter vielversprechende Small Caps suchen und die Alternativen derzeit fehlen, werde die Indexrally in den kommenden Wochen weitergehen, so Borkhoff. Allerdings nehme die Rückschlagsgefahr auf dem erhöhten Kursniveau zu.
Zu den Favoriten aus dem SDAX, die von der EURO-Redaktion regelmäßig beobachtet werden und denen wir mittelfristig weiteres Kurspotential zutrauen, zählen unter anderen der Druckereibetreiber Schlott, die Indus Holding, eine Beteiligungsfirma, die Anteile an deutschen Mittelständlern hält, sowie Holzverarbeiter Pfleiderer. Schlott (KGV: 9,5) gehört zusammen mit der Indus Holding (KGV 8,x) zu den günstigsten Aktien aus dem Kleinwerte-Segment. Holzverarbeiter Pfleiderer belegte am vergangenen Donnerstag mit der Jahresbilanz, daß der Konzernumbau gelungen ist. Mit 31,6 Millionen Euro Vorsteuergewinn schrieb Pfleiderer 2004 erstmals wieder schwarze Zahlen. Für Phantasie sorgt zudem das kräftige Wachstum in Osteuropa.
Mit Nebenwerten haben Anleger im Gegensatz zu den global aufgestellten DAX-Titeln die Zusatzchance, auf länderspezifische Börsenthemen zu setzen. Dazu gehört das Reit-Gesetz, das derzeit im Bundesfinanzministerium entworfen wird. Reits sind Immobiliengesellschaften, die von der Körperschaftssteuer befreit werden. Die Besteuerung findet stattdessen auf Aktionärsebene statt. Voraussetzung ist, daß die Gesellschaften einen hohen Anteil ihres erwirtschafteten Gewinns als Dividende ausschütten. Für die Börse entscheidend ist die Streichung der Körperschaftssteuer. \" Das wird die Kursphantasie von Unternehmen wie IVG und Deutsche Euroshop beflügeln\" , sagt Mid- und Small-Cap-Experte Hansen.
Dagegen gilt: Finger weg von gefallenen Börsenstars wie Puppenhersteller Zapf, die jetzt nur noch mit hoher Dividendenrendite locken oder von Werten, deren Kurspotential mittlerweile erschöpft scheint.
Nachdem viele SDAX- und MDAX-Werte mittlerweile hoch bewertet sind, begeben sich die Anleger zunehmend in der vierten Reihe auf die Suche nach günstigen Alternativen. Die kleineren Werte werden in der Regel von Bankanalysten und Fondsmanagern wenig beachtet und bieten zum Teil noch günstige Einstiegs-Chancen (siehe Kästen unten). Auch bei Aktien außerhalb der Börsenindizes sind fundamentale Kennzahlen wie Gewinnentwicklung, Cash-Flow, Kontinuität der Dividendenzahlung und Verschuldung bei der Auswahl entscheidend. Solide geführte Unternehmen – das zeigt Paragon – haben große Chancen, auf der Einkaufsliste institutioneller Investoren zu landen .
Dann kann es schon mal passieren, daß auch vermeintliche Langweiler zu Kursraketen werden, wie die bayerische Rational. Die Aktie des Herstellers für professionelle Küchengeräte hat seit Juni 2003 über 150 Prozent zugelegt, dürfte aber nach einer Verschnaufpause erneut durchstarten. Es müssen nicht immer Rennwägen sein.
|