Zur Ad-hoc-Publikationspflicht Steinhoff 14.11.2019
Da die Aktionäre von Steinhoff überwiegend die Klagen geschädigter Aktionäre (Mitgesellschafter) gegen die Gesellschaft wegen der Ad-hoc-Pflichtverletzung für den derzeitigen Aktienkurs mitverantwortlich machen, hier ein paar Ausführungen, wie komplex und unsicher eine rechtliche Würdigung der Schadensersatzansprüche für die befassten Gerichte sein dürfte.
Ganz allgemein:
Neben den periodischen Publizitätspflichten des Emittenten besteht die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität,2 vgl. § 15 WpHG, welche der Schnell-lebigkeit der Märkte Rechnung trägt. Auch ein gut informierter und sachkundiger Anleger kann nicht aufgrund eines Informationsvor-sprungs eine höhere Rendite als ein „Unwissender“ erzielen, denn so-bald eine relevante Tatsache bekannt wird, fließt sie in die Kursbildung ein, der oder unter Wert abgestoßen wird. Andernfalls würde der Markt schnell zusammenbrechen, da es zu einer Übervorteilung der „Unwis-senden“ kommen würde und diese somit ihr Kapital alsbald abziehen würden (informationelle Chancengleichheit). Dieser Mechanismus wird als Market Efficiency Hypothesis (MEH) bezeichnet. Es liegt auf der Hand, dass es einen solch „vollkommen Markt“ nicht geben kann. Für einen funktionierenden Kapitalmarkt ist hierbei entscheidend, dass der Wissensvorsprung der Unternehmensinternen möglichst rasch aufge-hoben wird bzw. derweil ein Verwendungs- bzw. Handelsverbot be-steht und dass die betreffende Information mit möglichst großer Brei-tenwirkung zeitgleich veröffentlicht wird. Dies soll durch die Regelung der Ad-hoc-Publizitätspflicht sichergestellt werden. Mit Einführung des WpHG wurde die Ad-hoc-Publizität in § 15 WpHG neu geregelt.
Inlandsemittent
Der Begriff des Inlandsemittenten ist in § 2 Abs. 7 WpHG definiert. Die Norm stellt auf das Herkunftsstaatsprinzip ab und somit in erster Linie auf den Sitz des Emittenten und erst nachrangig auf den Börsenplatz. Diese Regelung gewährleistet, dass ein Emittent es im Regelfall in-nerhalb der EU/EWR nur mit einer Rechtsordnung bzw. Aufsichtsbe-hörde zu tun hat. Aus der Verwendung des Begriffs des Inlandsemit-tenten in § 15 WpHG ergibt sich, dass die Finanzinstrumente an einem organisierten Markt i. S. d. § 2 Abs. 5 WpHG gehandelt werden müs-sen. Der Qualifizierung der zu veröffentlichenden Informationen kommt zentrale Bedeutung in der Abwägung zwischen dem Informa-tionsinteresse des Marktes und dem Geheimhaltungsinteresse des Emittenten zu. Umstände die ebenfalls im Rahmen der Regelpublizität, insbesondere im Jahresabschluss und Zwischenberichten, zu veröf-fentlichen sind, unterliegen gleichwohl der Ad-hoc-Publizitätspflicht so-fern und sobald es sich um den Emittenten unmittelbar betreffende Insiderinformationen handelt.
Insiderinformation
Eine Insiderinformation ist, der Definition in § 13 Abs. 1 S. 1 WpHG folgend, eine konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Um-stände in Bezug auf den Emittenten, die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Marktpreis der jeweiligen Marktin-strumente erheblich zu beeinflussen. Festhalten muss man an dieser Stelle, dass das im Gesetz geforderte Kriterium der unmittelbaren Be-troffenheit nahezu keine eigenständige Bedeutung hat, da die Wer-tungen bereits in den Tatbestandselementen der Insiderinformation sowie deren Eintritt im Tätigkeitsbereich des Emittenten enthalten sind. Im verbleibenden äußerst schmalen Relevanzbereich (Insiderinforma-tionen, die nicht im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten sind) ist völlig unklar, wann eine „unmittelbare Betroffenheit“ des Emittenten vorliegen soll. Unmittelbar ist etwas, wenn es nicht mittelbar, nicht durch etwas Drittes, nicht durch einen Dritten vermittelt, also direkt ist. Das Tatbestandselement der unmittelbaren Betroffenheit i. V. m. § 15 Abs. 1 S. 3 WpHG soll, bei systematischer Betrachtung der Norm, da-zu dienen, den (allerdings sehr kleinen) Bereich der nicht im Tätig-keitsbereich des Emittenten eintretenden Insiderinformationen hin-sichtlich der Publizitätspflicht zu beschränken, da der Emittent nicht verpflichtet sein kann, jegliche Insiderinformationen außerhalb seines Tätigkeitsbereiches, etwa auch in Bezug auf andere Emittenten, im Wege der Adhoc-Publizität zu veröffentlichen. Bei den publizitätspflich-tigen Emittenten handelt es sich überwiegend um Kapitalgesellschaf-ten mit einem mehrstufigen internen Entscheidungsprozess bezüglich ausgewählter Sachverhalte, vgl. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG. Dies wirft die Frage auf, wann eine Ad-hoc-Publizitätspflicht besteht. Nach der Än-derung des Insiderbegriffes in § 13 Abs. 1 WpHG und des § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG durch das AnSVG besteht in der Literatur hinsichtlich des Ergebnisses, dass die Veröffentlichung im Ergebnis regelmäßig bis zur Entscheidung des Aufsichtsrates unterbleiben kann, weitgehend Einigkeit. Wann die Schwelle zur Insiderinformation überschritten wird, ist also jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Der BGH geht zutreffend von einem „in hohem Maße einzelfalldeterminierten Begriff“ aus. Das Tat-bestandsmerkmal sei aber „jedenfalls dann erfüllt, wenn eine überwie-gende Wahrscheinlichkeit, d. h. eine Eintrittswahrscheinlichkeit von über 50% besteht.“ Von besonderer Bedeutung ist daher:
§ 15 Abs. 3 S. 1 WpHG, Befreiung von der Veröffentlichungspflicht
Die Regelung bietet die Möglichkeit, die Veröffentlichung einer Insider-information aufzuschieben, sofern der Aufschub zum Schutz berech-tigter Interessen des Emittenten erforderlich ist, es nicht zu befürchten ist, dass der Aufschub zu einer Irreführung der Öffentlichkeit führt und ferner der Emittent in der Lage ist, die Vertraulichkeit der Insiderinfor-mation zu gewährleisten. Sie stellt somit ein bedeutendes Korrektiv zu der sehr weitgehenden Veröffentlichungspflicht nach § 15 Abs. 1 WpHG dar. Der Widerstreit zwischen dem Interesse des Emittenten an ungestörten internen Prozessen und dem Interesse der Marktöffentlichkeit an so-fortiger Kenntnisnahme erheblicher Tatsachen, als zentraler Konflikt innerhalb der Ad-hoc-Publizitätspflicht, wird hier zum Ausgleich ge-bracht. Durch § 6 S. 1 WpAIV hat das Kriterium des berechtigten Interesses i. S. d. § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG eine Konkretisierung dahingehend erfah-ren, dass von einem berechtigten Interesse auszugehen ist, sofern das Interesse des Emittenten an der Geheimhaltung dasjenige des Marktes an einer vollständigen und unverzüglichen Veröffentlichung überwiegt. Dieser Grundsatz wird durch zwei Beispiele in § 6 S. 2 Nr. 1 und 2 WpAIV ergänzt. Ausweislich des Wortlautes („insbesondere“) handelt es sich hierbei um Regelbeispiele, die weitere Interessen des Emittenten, wel-che einer Abwägung mit den Interessen des Marktes zugänglich sind und somit zu einer Befreiung von der Veröffentlichungspflicht führen können, nicht ausschließen. Eine Rechtsansicht ist überzeugend, wo-nach ein berechtigtes Interesse dann anzunehmen sei, „wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Veröffentlichung einerseits den Erfolg, den Eintritt oder die Durchführbarkeit des Ereignisses, auf das sich die Insiderinformation bezieht, gefährden oder andererseits den Eintritt eines für den Emittenten negativen Ereignisses herbeiführen würde und dem Emittenten daraus ein nicht unerheblicher Nachteil entstehen würde.“ Die Verantwortung und damit das Haftungsrisiko für die in jedem Fall erforderliche Einzelfallbeurteilung verbleibt somit beim Emittenten.
Ein berechtigtes Interesse ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die zu veröffentlichenden Informationen allein für den Bör-senkurs der Finanzprodukte negativ wären.
Sowohl die Pflicht zur Veröffentlichung nach S. 4 der Norm als auch nach S. 5 derselben entfällt, wenn derjenige, der von der Insiderinfor-mation Kenntnis erlangt, rechtlich zur Vertraulichkeit verpflichtet ist. Hierunter fällt unstreitig sowohl die vertraglich als auch die gesetzlich begründete Verschwiegenheitspflicht. Die vertragliche Verschwiegen-heitspflicht muss dabei keineswegs eine ausdrücklich vereinbarte sein, einer konkludent vereinbarten Verschwiegenheitspflicht kommt nicht weniger Bindungswirkung zu. Zentrale, eine gesetzliche Ver-schwiegenheitspflicht begründende, Norm ist § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. Die Veröffentlichung publizitätspflichtiger Insiderinformation im Rah-men des § 15 Abs. 1 S. 1, 4, 5 WpHG als auch des § 15 Abs. 2 S. 2 WpHG hat unverzüglich zu erfolgen. Hierbei ist auf die Definition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB zurückzugreifen. (unverzüglich bedeutet: ohne schuldhaftes Verzögern). Allerdings ist dem Emittenten für die Prü-fung, ob eine Veröffentlichungspflicht besteht, in Abhängigkeit von der Komplexität des Sachverhalts, ein angemessener Prüfungszeitraum zuzugestehen, welcher auch die Heranziehung externer Berater noch decken kann. Das WpHG enthält mit den §§ 37b Abs. 1, 37c Abs. 1 WpHG eigene Anspruchsgrundlagen. Zudem kommt eine Haftung nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen in Betracht, vgl. § 15 Abs. 6 S. 2 WpHG. § 37b Abs. 1 WpHG begründet eine Schadenser-satzpflicht des Emittenten, sofern ein Dritter die Finanzinstrumente des Emittenten nach Unterlassen der Veröffentlichung erwirbt und diese ferner bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch hält, oder wenn die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Veröffentlichungspflicht gekauft und nach der Unterlassung veräußert wurden. § 37c Abs. 1 WpHG greift, soweit der Anleger auf die Richtigkeit unrichtiger Ad-hoc-Mitteilungen vertraut hat. Auch hier ist erforderlich, dass die Finanzin-strumente vor Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung gekauft wurden und bei Bekanntwerden der Unrichtigkeit noch gehalten werden. Zwar ist dem Wortlaut des § 37b WpHG nicht zu entnehmen, dass eine Be-freiung nach § 15 Abs. 3 WpHG zu beachten ist, doch ergibt sich dies zwingend aus dem Zweck des § 15 Abs. 3 WpHG, den berechtigten Interessen des Emittenten an einem Aufschub Rechnung zu tragen. Der Wortlaut der Normen spricht von einem „durch die Unterlassung“ entstandenen Schaden. Insoweit müsste eine Kausalität zwischen Un-terlassen und Kaufentschluss bestehen. Dem wäre nur dann zu fol-gen, wenn die individuelle Willensentscheidung eines Anlegers von § 15 WpHG geschützt wird. In § 15 Abs. 6 S. 1 WpHG hat der Gesetz-geber jedoch klargestellt, dass die Norm keinen Schutzgesetzcharak-ter hat, also auch nicht die individuelle Willensentscheidung schützt. Folgerichtig ist lediglich die Preiswahrheit i. S. d. MEH geschützt. Somit ist es bereits ausreichend, wenn die Preisbildung fehlerhaft war. Ob dies die konkrete Anlageentscheidung beeinflusst hat, ist unerheblich. Die Haftung greift nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Emit-tenten, wobei ein Verschulden vermutet wird, § 37b Abs. 2 und § 37c Abs. 2 WpHG. Die Normen enthalten keine Regelungen hinsichtlich des zu ersetzenden Schadens. Wie diese Lücke zu füllen ist, hängt davon ab, welchen Schutzzweck man dem § 15 WpHG beimisst. So-fern man von einem Schutz der konkreten Anlageentscheidung aus-geht, wäre ein Anspruch des Anlegers auf Rückabwicklung seiner Transaktion (Naturalrestitution) zu befürworten. Wie zuvor gezeigt, geht diese Annahme jedoch fehl. Schutzzweck der Norm ist allein die Preiswahrheit. Folgerichtig ist daher lediglich die Differenz zwischen tatsächlichem und hypothetischem Wert bei pflichtgemäßer Veröffentlichung, also der Kursdifferenzschaden zu ersetzen. Eine Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15 WpHG scheidet aus, da § 15 WpHG, wie gesehen, keinen Individualschutzcharakter hat. Es kommt jedoch grundsätzlich eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB oder i. V. m. § 264a StGB, sowie eine solche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG in Betracht. § 400 Abs. 1 AktG greift jedoch regel-mäßig nicht, da in der Adhoc-Mitteilung nicht die gesamtgesellschaftli-che Situation dargestellt wird. Aus diesem Grund kommt auch § 263a StGB nicht in Betracht. Bei § 263 StGB mangelt es regelmäßig an der Stoffgleichheit des erstrebten Vermögensvorteils mit dem eingetrete-nen Schaden. Eine Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz scheidet also regelmäßig aus. Ferner kann sich ein Schadensersatzanspruch auch aus § 826 BGB i. V. m. § 31 BGB er-geben. Der Emittent haftet insoweit für das Handeln des Vorstandes als verfassungsmäßig berufene Vertreter, § 78 AktG. Die bewusst un-wahre Veröffentlichung ist verwerflich und somit sittenwidrig. Es ist für den Vorsatz ausreichend, wenn der Täter weiß, dass er durch die Ad-hoc-Mitteilung auf Anlageentscheidungen Einfluss nimmt und daher Transaktionen auf der Grundlage falscher Tatsachen getätigt werden. Auch im Rahmen des § 826 BGB stellt sich die Frage, ob die fehler-hafte Ad-hoc-Meldung für die Anlageentscheidung kausal gewesen sein muss. Und auch hier ist von dem Schutzbereich der Norm auszu-gehen. Schützt § 826 BGB im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizität lediglich die Preiswahrheit, so ist folgerichtig der fragliche Kausalzusammenhang nicht erforderlich. § 826 BGB stellt jedoch nicht auf die Verletzung bestimmter Rechtsgüter ab, sondern lässt jede Be-einträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses genügen. Mithin ist auch die individuelle Willensentscheidung eines Anlegers ge-schützt, womit eine Kausalität zwischen dieser und der falschen Ad-hoc-Mitteilung erforderlich ist. Die Rechtsprechung lehnt insoweit auch einen Prima-facie-Beweis ab, da es keinen typischen Geschehensab-lauf zwischen einer falschen Ad-hoc-Mitteilung und einem Kaufent-schluss gebe. Die bereits im Rahmen der §§ 37b, 37c WpHG aufge-worfene Frage nach der Schadensbemessung stellt sich ebenfalls an dieser Stelle. Erneut ist auf den Schutzbereich der Norm abzustellen. Da § 826 BGB wie gezeigt auch die individuelle Willensentscheidung eines Anlegers schützt, muss sich dies auf der Schadensseite wider-spiegeln. Somit kann nicht lediglich der Kursdifferenzschaden geltend gemacht werden, sondern Erstattung des Kaufpreises gegen Übertra-gung der Finanzprodukte, also Naturalrestitution. Sofern dem entgeg-net wird, dem Schädiger könne nicht das gesamte Anlagerisiko aufge-bürdet werden, geht dieser Einwand fehl. Da § 826 BGB Vorsatz und somit einen hohen Unrechtsgehalt voraussetzt, ist es nicht unbillig, den Schädiger im Rahmen der Schadensbemessung auch das Kurs-risiko tragen zu lassen. Aufgrund dieses erhöhten Unrechtsgehaltes und der unterschiedlichen Schutzrichtung besteht auch kein Wer-tungswiderspruch zu dem im Rahmen der §§ 37b, 37c WpHG zu er-setzendem Schaden. Ferner stehen weder § 57 AktG noch § 71 AktG der Naturalrestitution entgegen, da §§ 37b, 37c WpHG als Spezialre-gel vorgehen.
Wie der Beitrag zeigt, gibt es viele Probleme, die ein Gericht zu prüfen hat. Die derzeitigen Regelungen führen zu Rechtsunsicherheiten für die Emittenten und ihre Organe. Insbesondere die Entscheidung zur Selbstbefreiung kann in komplexeren Fallgestaltungen, wie etwa Kon-zernsachverhalten oder gestaffelten Entscheidungsvorgängen, für die Unternehmen risikobehaftet sein. Zudem hat sich gezeigt, dass die gesetzessystematische Bedeutung des § 15 Abs. 1 S. 3 WpHG hin-sichtlich des Unmittelbarkeitskriteriums in § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG im Zusammenspiel mit dem Tatbestandselement der Insiderinformation verkannt wird. Es liegt an der Rechtsprechung und Lehre, die Geset-zessystematik deutlicher herauszuarbeiten und somit ein Stück mehr Rechtssicherheit für die Emittenten und deren Organe zu schaffen. |