Sage nein! Wenn sie jetzt, ganz unverhohlen, wieder Nazi-Lieder johlen, über Juden Witze machen, über Menschenrechte lachen, wenn sie dann in lauten Tönen saufend ihrer Dummheit frönen, denn am Deutschen hinterm Tresen muß nun mal die Welt genesen, dann steh auf und misch dich ein: Sage nein! Meistens rückt dann ein Herr wichtig die Geschichte wieder richtig, faselt von der Auschwitzlüge - Leider kennt man's zur Genüge - mach dich stark und bring' dich ein, zeig es diesem dummen Schwein: Sage nein! Ob als Penner oder Sänger, Bänker oder Müßiggänger, ob als Priester oder Lehrer, Hausfrau oder Straßenkehrer, ob du sechs bist oder hundert - sei nicht nur erschreckt, verwundert, tobe, zürne, misch dich ein: Sage nein! Auch wenn jetzt die Neunmalklugen ihre Einsamkeit benutzen unsren Aufschrei zu verhöhnen, öffentlich zurechtzustutzen, wolln wir statt mit Eitelkeiten und Zynismus abzulenken, endlich mal zusammenstehn, endlich mit dem Herzen denken. Laßt uns doch zusammenschrein: Sage nein! Und wenn sie in deiner Schule plötzlich lästern über Schwule, schwarze Kinder spüren lassen wie sie andre Rassen hassen, Lehrer, anstatt auszusterben, Deutschland wieder braun verfärben, hab' dann keine Angst zu schrein: Sage nein! Und wenn aufgeblasne Herren dir galant den Weg versperren, ihre Blicke unter Lallen nur in deinen Ausschnitt fallen, wenn sie prahlen von der Alten, die sie sich zu Hause halten, denn das Weib ist nur was wert wie dereinst - an Heim und Herd, tritt nicht ein in den Verein: Sage nein! Ob als Penner oder Sänger, Bänker oder Müßiggänger, ob als Priester oder Lehrer, Hausfrau oder Straßenkehrer, Ob als Penner oder Sänger, Bänker oder Müßiggänger, ob als Priester oder Lehrer, Hausfrau oder Straßenkehrer, ob du sechs bist oder hundert - sei nicht nur erschreckt, verwundert, tobe, zürne, misch dich ein: Sage nein! Chor: Les Voies d'Espérance de Doula Solist: Ndi'i Ndi'i Jean Michel Konstantin Wecker: Es ist kein Geheimnis mehr, daß Kreativität sich da erst wirklich entfalten kann, wo sie unbedacht schafft, sich selbst ihren Weg bahnt, gegen besseres Wissen, gegen marktgerechte Planung, gegen Voraussagung. Wohl bleibt es ein Geheimnis, wann dem Künstler dieser Zustand zusteht, denn das Nicht-Geplante konsequent vorzuplanen läge wohl im Wesen der Zeit, findet aber seine größte künstlerische Vollendung dementsprechend auch nur im Werbeslogan. Immer fester glaube ich daran, daß sich nur aus einem wirklich angefüllten und erlebten Leben heraus Melodien und Verse gestalten können, um uns manchmal das wunderbare Gefühl zu vermitteln unsere unaussprechbaren Gedanken seien auf einmal formuliert. Und erst jetzt beginnen wir, das Undenkbare zu denken. Aber das können natürlich nur Nachgedanken einer passierten Zeit sein. Die eineinhalb Jahre seit der Fertigstellung meiner CD ''Wenn du fort bist'' waren breiter, erlebnisreicher und schmerzvoller als all die Jahre zuvor - und plötzlich war ich mittendrin im Auge des Blues, war wieder 17 (zwischendurch 140), schwitzte im Tabarin und Birdland, den unvergessenen Münchner Soulschuppen, die Zugaben unserer Konzerte gerieten zu einem neuen Programm. Die Lieder entstanden oftmals während der Improvisationen, mitgetragen und gebannt von einem liebevollen Publikum, ich brauchte nicht zu schreiben, sie fielen mir aus dem Herzen in den Schoß... Noch nie habe ich so lange an einer CD gearbeitet. Genau neun Monate. Die richtige Zeit für eine Geburt. Die Rohdiamanten, die ich vor meinem Entzug in Kamerun und während der über 200 Konzerte mit mehr als 300.000 Zuschauern mit meinem Quartett gefunden hatte, konnte ich im Sinne meiner neuen Klarheit von Januar bis März in den ARCO Studios in München richtig schleifen und veredeln. Trotz Anfeindungen, trotz Drohungen aus der Nazi-Szene oder vielleicht gerade deswegen habe ich mit meinen Musikern und mit meinem heißgeliebten Kameruner Chor ''Les Voies D'Espérance de Douala'' (''Stimmen der Hoffnung"), der leidenschaftlich, kein bikchen cool, nie überheblich und immer dem Höchsten zugewandt ist, mein lebensfrohestes Werk geschaffen. Noch vor zwei Jahren hätte ich es nicht gewagt, mitten in Afrika in einer Kirche auf bayrisch zu singen. Und nicht einmal zu hoffen gewagt hätte ich, daß die Leute aufstehen würden und mitsingen und tanzen. Doch solange mir solche Sprünge noch gelingen, ich noch die Kraft empfangen darf, weiter zu staunen, weiter zu spinnen und ich mich wieder mal ganz klein machen kann, weiß ich, daß ich lebe. Konstantin Wecker |