Russische Sicherheitskräfte haben kurz vor Sonnenaufgang das von Tschetschenen besetzte Theater gestürmt und die Geiseln befreit. Die meisten Rebellen sprengten sich in die Luft oder wurden erschossen, so auch der Anführer Mowsar Barajev. Noch ist unklar, wie viele Geiseln ums Leben kamen. Die Moskauer Polizei hat ihren Zugriff offenbar mit Schlafgas vorbereitet.
Zu allem bereit: Eine Terroristen mit umgeschnalltem Bombenpaket Moskau - Schüsse, Explosionen, Sirenengeheul: Kurz vor Sonnenaufgang eskalierte die Lage am Moskauer Musical-Theater, in dessen Inneren mehrere dutzend todesbereite Tschetschenen rund 700 Geiseln festhielten.
Nach Angaben der Behörden haben die Besetzer begonnen, ihre Drohung wahr zu machen und Geiseln zu erschießen."Sie (die Rebellen) haben zwei Personen erschossen. Darauf haben die Geiseln versucht zu fliehen. Spezialeinheiten haben die Schüsse gehört und daraufhin das Gebäude gestürmt", sagte ein Sprecher des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB am Samstagmorgen.
Etwa eine Stunde lang lieferten sich die Truppen einen erbitterten Kampf mit den Rebellen. Dutzende von Geiseln flohen aus dem Gebäude. Krankenwagen rasten heran, Sanitäter trugen Verletzte und Tote aus dem Gebäude.
"Die Terroristen, inklusive der Frauen, die sich Sprengsätze um den Körper gebunden hatten, sind nicht mehr am Leben", sagte der stellvertretende russische Innenminister Wladimir Wasiljew am Samstag dem russischen Fernsehsender NTV. Auch der Chef der Geiselnehmer, Mowsar Barajew, sei getötet worden. "Barajew ist tot, das ist sicher." Zwischen 30 und 36 Rebellen seien getötet worden. Derzeit würden die Sprengsätze entschärft, die im Theater angebracht worden waren. Wie viele Geiseln bei der Stürmung des Theaters ums Leben kamen war zunächst nicht bekannt.
Der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow befürchtet nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax, dass sich die Zahl der Todesopfer auf bis zu 30 belaufen wird. Die Moskauer ARD-Korrespondentin Anja Bröker berichtete, Krankenhäuser hätten den Tod von etwa zehn Geiseln gemeldet.
"Der Sturm war nicht geplant, sondern durch die Situation erzwungen", sagte Wassiljew. Auch unter den Einsatzkräften habe es Opfer gegeben. Einige der Tschetschenen hätten möglicherweise fliehen können. Er rief die Moskauer auf, ihnen nicht zu helfen. Mit der Stürmung des Gebäudes sei ein größeres Blutbad verhindert worden, sagte Wassiljew. "Wir konnten verhindern, dass das Gebäude des Kulturzentrums in die Luft gesprengt wurde."
Augenzeugen berichten von Dutzenden Leichen, die aus dem Gebäude abtransportiert wurden. Die Überlebenden wurden in bereit stehende Busse gebracht. Unter den Geiseln waren auch Deutsche, Briten, Amerikaner, Niederländer, Österreicher und Australier. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes gibt es zum Schicksal der beiden deutschen Geiseln noch keinerlei Anhaltspunkte.
"Es riecht nach Gas"
Die russischen Spezialeinheiten haben ihren Zugriff offenbar mit Betäubungsgas vorbereitet. Viele Geiseln wie auch ein Teil der Terroristen seien eingeschlafen, heißt es in bisher unbestätigten Berichten. Demnach soll eine Geisel aus dem Konzertsaal per Handy bei Freunden angerufen haben und dabei gesagt haben: "Es riecht nach Gas". Den Berichten zufolge sei das Eindringen der Sondereinheiten in das Theater zunächst nicht bemerkt worden. Außerdem soll mindestens eine Geisel das Gas gespürt und sich daraufhin mit Tuch vor dem Mund selbst aus dem Gebäude gerettet haben.
Erste Fernsehbilder des Senders NTW zeigten, dass befreite Gefangene aus dem Musical-Theater getragen werden mussten oder wie betäubt am Arm von Polizisten gingen.
Aus der städtischen Klinik Nr. 13 berichtete der Sender "Echo Moskwy", dass viele der 100 dorthin gebrachten Geiseln nicht selbstständig laufen könnten. Von offizieller Seite wird dies vor allem auf den Schock nach der dreitägigen Geiselhaft zurückgeführt. "Sie kommen nicht zur Besinnung", sagte ein Mitarbeiter des Krisenstabes am Samstagmorgen nach Angaben der Agentur Interfax.
Mehrere Explosionen
Beobachter zählten gegen 5.45 Ortszeit wenigstens drei Explosionen am Theater. Sie wurden offenbar zum Teil von Panzerabwehrgranaten ausgelöst, mit denen die Besetzer aus dem Gebäude schossen. Bereits eine Stunde früher hatte es eine Explosion und Schüsse in dem Gebäude gegeben. Es war die dritte Nacht der Besetzung, die Situation für die Geiseln war immer verzweifelter geworden.
Im großen Saal des Theaters hielten 15 Rebellen mit Sprengsätzen am Körper ständig Wache. Sie beobachteten aufmerksam alle Gänge, Bühnengerüste und Keller. Ein Erstürmungsversuch sollte zur Explosion des Gebäudes führen.
Ein Redakteur der Nachrichtenagentur Reuters hatte noch kurz vor der Erstürmung am Samstagmorgen mit einem der Rebellen gesprochen. Der Mann habe mitgeteilt, so Reuters, dass seine Gruppe nun keine weiteren Geiseln mehr freilassen wolle. Der Ausgang der Geiselnahme hänge einzig davon ab, ob Russland dem geforderten Truppenabzug aus Tschetschenien zustimme.
"Allah sei Dank"
"Wir haben alle freigelassen, die wir freilassen konnten", sagte der Anrufer, der seinen Namen nicht nennen wollte. "Allah sei Dank, wir haben die Briten und Aserbaidschaner freigelassen. Wir haben nichts gegen Ausländer." Weiter sagte der erkennbar junge Mann, der ruhig, schnell und Russisch sprach: "Was nun geschieht, hängt von der russischen Führung ab, davon, worauf sie sich mit unseren führenden Vertretern einigen kann."
Harte Haltung: Der Anführer der Geiselnehmer, Mowsar Barajew, posiert für russische Kameras "Die Lage ist sehr gespannt", hatten zuvor Geiseln per Handy aus dem Theater berichtet, "alle Geiseln sind im Saal. Sie haben weder zu essen noch zu trinken. Die Notdurft müssen sie im Orchestergraben verrichten. Im Zentrum des Zuschauersaals ist ein großer Sprengsatz gelegt. Die Bühne und die Zuschauergänge sind vermint."
Die Besetzer hatten angedroht, ab dem Morgengrauen Geiseln zu ermorden, falls ihre Forderung nach einer Beendigung des Krieges in ihrer Heimatrepublik nicht erfüllt wird. Die russischen Behörden ließen daraufhin an dem Theater mehrere Dutzend Busse auffahren, die für einen Abtransport der Geiseln bestimmt schienen. Die Polizei sperrte das Gelände weiträumiger als vorher ab und drängte dabei auch Journalisten von dem Gebäude fort.
Gefängnis für 700 Menschen: Das Theater in Moskau Ein Vertreter des untergetauchten tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow hatte die Geiselnehmer von Moskau zur Vernunft aufgerufen. Auch der irakische Staatschef Saddam Hussein hatte an die tschetschenischen Geiselnehmer appelliert, ihre Gefangenen freizulassen. "Feinde des Islams sind der Zionismus und Amerika, nicht Russland", erklärte er am Abend. Der langjährige Verbündete Moskaus warnte die Tschetschenen, mit ihrem religiösen Fundamentalismus würden sie die Sympathien der Welt verscherzen. "Der Sinn des Islam liegt im Humanismus, nicht im Fanatismus." Die tschetschenischen Rebellen hatten bis zum Freitagmittag 15 der rund 700 Geiseln in dem Moskauer Theater freigelassen. Gegen 20 Uhr kamen dann vier weitere Geiseln, eine Frau und drei Männer aus Aserbeidschan, frei. Bei einem Fluchtversuch am Donnerstag war eine Frau getötet worden.
In der ARD berichtete eine schon am Abend frei gelassene Familie von ihrer Geiselhaft. Angst habe sie nicht gehabt, sagte Maria Schkolnikowa, nachdem ihr Sohn als erster freigekommen sei. Die Ärztin hatte am Vortag vor laufenden Kameras einen Appell der Geiseln an die Behörden verlesen, von einer Erstürmung abzusehen. Am Donnerstag kam sie frei. "Das Schlimmste ist, dass immer noch Menschen da sind." Ihr Sohn Maxim erzählte: "Das war einfach Horror." |