FTD-Agenda Wut auf die Ratingagenturen
von Yasmin Osman (Frankfurt) und Heike Buchter (New York)
Nach dem Einbruch am US-Immobilienmarkt geraten nun die Ratingagenturen unter Beschuss. Sie haben hochriskante Kreditpakete zu optimistisch bewertet und gutgläubige Anleger in diese Papiere getrieben. Es ist nicht der erste Fehltritt der Bonitätsprüfer.
Marc Dann liebt markige Worte. Unliebsame Journalisten begrüßt Ohios Generalstaatsanwalt schon mal vor laufenden Kameras mit "Go fuck yourself". Und um ihn richtig auf die Palme zu bringen, genügt in diesen Tagen ein Reizwort: Ratingagenturen. Denn die will Dann vor Gericht bringen. "Einige Leute haben eine Menge Geld damit gemacht, Hauseigentümer und Investoren über den Tisch zu ziehen", wütet er. "Und die Ratingagenturen haben jedes Mal einen dicken Scheck kassiert."
Solche Sprüche kommen an bei Ohios Wählern, die den demokratischen Politiker vor zwei Jahren zu ihrem obersten Strafverfolger erkoren haben. Denn ihr Bundesstaat leidet schwer unter der US-Hypothekenkrise. Nirgendwo ist die Zahl der Zwangsversteigerungen so hoch wie hier. Und noch schlimmer ist, dass Ohios Pensionsfonds eine Menge Geld in Hypothekenpapiere investiert hat. Nun bangen viele Bürger um ihre Altersversorgung.
Marc Dann hat die Hauptschuldigen ausgemacht: Nicht etwa die Banken, die fahrlässig Kredite vergaben, oder Investmentbanken, die diese Darlehen in Form komplexer Pakete an den Kapitalmarkt brachten. Nein, der Staatsanwalt meint die Ratingagenturen. "Sie pflegen ein symbiotisches Verhältnis mit den Investmentbanken - ohne ihr Gütesiegel hätten die Banker diese Papiere gar nicht verkaufen können", schimpft er.
Türsteher der globalen Kapitalmärkte
Haben die Ratingagenturen versagt? Lange standen die Bonitätsprüfer nicht mehr so unter Beschuss. Politiker, Staatsanwälte und immer mehr Akteure an den internationalen Finanzmärkten werfen ihnen vor, dass sie die Krise um zweitklassige Hypothekarkredite (Subprime) maßgeblich mitverursacht haben. Weil sie erst spät, Mitte Juli, ihre Noten für Anleihen senkten, die mit solchen Krediten unterlegt sind. Und weil sie ihre Noten so massiv senkten und damit beispiellose Kurseinbrüche am Markt für diese strukturierten Anleihen auslösten. Denn an den Noten hängt vieles.
Die Agenturen sind so etwas wie die Türsteher der globalen Kapitalmärkte. Drei Unternehmen in Privatbesitz, Standard & Poor's, Moody's und Fitch, entscheiden, ob und zu welchen Bedingungen sich Unternehmen, Banken und sogar Staaten Geld von den Anlegern leihen können. Sie verteilen Noten wie in der Schule, mit denen sie die Zahlungsfähigkeit eines Schuldners bewerten. Ein "AAA" bei Standard & Poor's etwa bedeutet, dass der Käufer einer Anleihe ausgezeichnete Chancen hat, sein Geld wiederzusehen. Anleihen von Schuldnern, die kein Rating oder eine schlechte Note bekommen, werden von den meisten großen Investoren schlichtweg ignoriert.
Der Pulitzer-Preisträger Thomas Friedman bezeichnet die Ratingagenturen deshalb als einzige globale Supermacht neben der US-Regierung. "Und es ist nicht immer klar, wer mehr Macht hat", sagt Friedman.
Umso schwerer wiegt der peinliche Fehler, der den Agenturen bei den Subprime-Krediten unterlief. Sie benutzten zu positive Annahmen für ihre mathematischen Modelle, mit denen sie ihre Bewertungen errechneten. Folge: Die Noten waren besser, als sie hätten sein sollen. Also investierten zahlreiche Anleger bedenkenlos ihr Geld in diese Kredite.
Fehleinschätzungen der Ratingagenturen sind im Markt für strukturierte Produkte besonders gravierend. Denn diese Finanzinstrumente sind extrem komplex und undurchschaubar.
Ihre Arrangeure - zumeist Investmentbanken - bündeln hundert oder mehr Anleihen und andere Papiere, die mit Hypothekendarlehen oder anderen Vermögenswerten unterlegt sind. Anschließend wird dieses Paket der Ratingagentur vorgelegt, analysiert und schließlich mit einem Stempel versehen: dem Rating. Allein die schiere Menge der Anleihen im Paket macht es selbst den meisten Profianlegern fast unmöglich, sich selbst ein Urteil zu bilden. Sie müssen der Agentur blind vertrauen.
"Das Rating bestimmt, wie gut sich ein Darlehen am Kapitalmarkt verkaufen lässt", sagt Christina Bannier, Inhaberin der Commerzbank-Stiftungsprofessur für Mittelstandsfinanzierung der Frankfurt School of Finance and Management. Die Urteile der Agenturen nähmen "mittlerweile schon fast die Rolle ein, die früher Kreditsicherheiten bei der Darlehensvergabe hatten."
Keine der größten Katastrophen vorhergesehen
Es ist nicht das erste Mal, dass die Agenturen erst spät ihre Bonitätsnoten verändern. "Von den zehn größten Katastrophen, die in den letztten Jahr passiert sind, haben die Ratingagenturen null vorhergesehen", hat Bundesbankvorstand Hans-Helmut Kotz einst gesagt. Das galt etwa für die Asienkrise. Zu spät senkten damals die Bonitätsprüfer ihren Daumen über Südkorea. Die Folge: dramatische Kurseinbrüche.
Auch beim Enron-Skandal versagten sie. Bis zum 27. November 2001 stuften Standard & Poor's und Moody's den amerikanischen Energiekonzern als relativ soliden Schuldner ein. Fünf Tage später meldete Enron Konkurs an - wegen gefälschter Bilanzen. Das jetzige Subprime-Debakel ist für Uwe Burkert ein "Structured Enron". Der Leiter der Kreditanalyse der Landesbank Baden-Württemberg hat viele Parallelen zwischen damals und heute ausgemacht. "Die Welle, die die massiven Herabstufungen nach sich gezogen haben, der späte Zeitpunkt und der Vertrauensverlust, den das verursacht hat, ähneln sich", sagt er.
Immerhin hatten die damaligen Fehleinschätzungen der Agenturen zur Folge, dass auch die Kontrolleure nun wenigstens in Ansätzen kontrolliert werden. In den USA eröffnet seit einigen Wochen ein neues Gesetz der Börsenaufsicht SEC mehr Möglichkeiten, die Agenturen zu durchleuchten.
"Der größte Imageschaden seit Enron"
Auch in Europa sehen ihnen die Aufsichtsbehörden seit dem Fall Enron genauerer auf die Finger. In diesen Wochen arbeiten die europäischen Regulierer an ihrem neuen jährlichen Prüfbericht - und nehmen hier den Markt für strukturierte Produkte besonders genau unter die Lupe.
Erste Reaktionen aus den Reihen der Prüfer lassen darauf schließen, dass ihnen die Aktionen der Ratingagenturen sauer aufgestoßen sind. "Das ist der größte Imageschaden seit Enron", so ein Aufseher. Man werde die Agenturen bei den nächsten Treffen "aggressiv befragen".
Skeptisch beäugen die Prüfer vor allem das Geschäftsmodell der Ratingagenturen, die alle private, gewinnorientierte Unternehmen sind. Denn die Kosten für die Kreditbewertungen tragen nicht die Investoren, sondern die bewerteten Unternehmen. Gerade bei den strukturierten Produkten sind die Margen der Agenturen sehr hoch.
Dass so ein Modell Interessenkonflikte birgt, räumen auch die Agenturen ein. Doch das große Korrektiv, so kontern sie, sei ihr guter Ruf. Denn nur solange sich die Finanzmärkte auf sie und ihre Einschätzungen verlassen, bleiben sie im Geschäft. Zudem würden die Ratinggebühren schon vor Abschluss einer Kreditanalyse vereinbart, argumentieren die Kontrolleure von Fitch.
Nicht jeder mag sich darauf verlassen. "Meiner Ansicht nach verfolgen die Ratingagenturen das Ziel einer hohen Reputation nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit", sagt Wissenschaftlerin Bannier. Der Fall Enron habe gezeigt, dass die Märkte den Agenturen ihre Fehler oft relativ schnell verzeihen.
Kommunikation mit den Investoren kommt mitunter zu kurz
Hinzu kommt: Gerade bei strukturierten Produkten ist die Zusammenarbeit zwischen Ratingagentur und Auftraggebern intensiver, als es den Aufsehern lieb ist. "Der Emittent kann immer wieder zu den Bonitätsbewertern zurückgehen, bis er das gewünschte Rating erhält", moniert Joseph Mason, Finanzprofessor an der Drexel University. "Die Stimme der Ratingagenturen trägt dazu bei, wie sich das Produkt letztlich zusammensetzt." Die Agenturen halten dagegen, dass sie niemandem vorschreiben, was er in den Investmentpool stecken müsse - sie würden nur sagen, wie sie diese bewerten.
Während die Kommunikation der Agenturen mit den Emittenten oftmals eng ist, kommt die mit den Investoren mitunter zu kurz. Dass ihre strukturierten Anleihen mit der Topbewertung "AAA" plötzlich so unverkäuflich sind wie verdorbener Fisch, verstört viele Anleger. Anleihen mit der Note "AAA" waren für sie gleichbedeutend mit "immer vernünftig handelbar" - ein Missverständnis, wie sich nun zeigt.
Böse Überraschung
Schließlich ist die Liquidität an einigen Märkten seit den Herabstufungen komplett versiegt. Die Ratingagentur Fitch hat Anleger nun nachträglich noch einmal extra darauf hingewiesen, dass Ratings nichts über die Liquidität aussagen - zu spät für viele Fonds. Denn dort häufen sich nun die Schließungen.
Der IWF warnt noch vor einem weiteren Unterschied: So sei die Gefahr bei diesen Anlagformen größer, dass es zu schweren Herabstufungen und Verlusten komme, wenn sich das Blatt an den Kapitalmärkten einmal wende, schrieb die Organisation im vergangenen Jahr. Und fügte fast hellseherisch hinzu: "Viele Investoren könnten (...) beim nächsten Rating-Abwärtszyklus negativ überrascht werden."
Sie wurden böse überrascht. Und für die Agenturen wird es nun ein wenig ungemütlich. Und vielleicht werden sie diesmal die Kritik nicht so einfach aussitzen können wie in der Vergangenheit. Denn da gaben sich die Kontrolleure oft nassforsch. "Ich bin seit 20 Jahren hier und werde seit 20 Jahren angemeckert", tönte Moody's-Chef Raymond McDaniel noch im Mai. "Und wenn ich dann noch hier bin, wird man mich in 20 Jahren immer noch anmeckern."
Kontrolleure am Pranger
Notengeber Ratingagenturen beurteilen die Kreditwürdigkeit eines Schuldners durch einen Code, der in der Regel von "AAA/Aaa" (höchste Qualität) bis "D" (zahlungsunfähig) reicht. Gerade bei komplexen Anlageformen wie strukturierten Produkten verlassen sich Investoren relativ stark auf dieses Urteil.
Debakel Nach dem Einbruch am US-Hypothekenmarkt häuft sich Kritik an den Agenturen. Sie sollen vielen Produkten zu gute Noten gegeben und zu spät auf die Krise reagiert haben.
Standard & Poor's entstand 1941. Das New Yorker Unternehmen, das zum Medienkonzern McGraw-Hill gehört, erstellt auch Indizes (etwa den S&P 500).
Moody's wurde 1907 gegründet. Die New Yorker, selbst börsennotiert, haben einen Anteil von 40 Prozent am Weltmarkt für Kreditratings.
Fitch Ratings, 1913 gegründet, ist die kleinste der drei großen Ratingagenturen. Haupteigentümer der Londoner ist die französische Fimalac-Holding.
Aus der FTD vom 10.08.2007 © 2007 Financial Times Deutschland |