Warum es die Wirtschaft ins freizügige Zug zieht Eine Puppenstube mit Nettovorteil Firmen vermehren sich hier schneller als Einwohner. Auch Gerhard Schröders Arbeitgeber schätzt die guten Aussichten im Steuerparadies Zug. Von Christoph Schwennicke
So hoch die Berge - so niedrig die Steuern. Foto: AP
Den Sitz einer Weltfirma stellt man sich anders vor. Aber es muss hier sein: Untermüli 6 steht als Adresse der North European Gas Pipeline Company AG auf dem Handelsregisterauszug. Es ist ein Zweckbau in einem Hinterhof.
An die Fassade von Untermüli 6 hat jemand einen Freak gesprüht, der ein bisschen wie ein Außerirdischer aussieht und an einem riesigen Joint zieht. "This shit is good", steht in der Sprechblase. Im Erdgeschoss hängen die Auspuffrohre eines Autohauses wie Blechwürste in der Auslage. An einem Briefkasten sind unter dem Namen "Office Connection" 132 Firmen auf einem DIN-A4-großen Blatt aufgelistet.
In Untermüli 6 bekommt man einen Eindruck von Briefkasten-Firmen Von ABC Management Consulting AG bis zur ZLC AG. Wenn man bis dahin nicht recht wusste, was eine Briefkasten-Firma ist, in Untermüli 6 bekommt man einen ganz guten Eindruck davon.
Vorne, an der lärmenden Ausfallstraße Richtung Zürich, steht eine Tankstelle und eine Autoreparatur-Werkstatt, daneben "Huber's Café", in dem die Frau des Werkstattchefs für eilige Gäste Würstchen auf der Camping-Herdplatte warm macht. Schröder? Die Wirtin klatscht den Senf auf den Teller: "Dää wird eher nit do si."
Suche nach Gerhard Schröder Auf der Suche nach Gerhard Schröder - nicht als Bahnschlichter, nicht als Memoirenschreiber, nicht als Vater eines zweiten russischen Adoptivkindes, sondern als zunächst Aufsichtsratchef und nun Vorsitzender des Aktionärsausschusses der Nord Stream.
Bis vor kurzem war die Firma besser bekannt als North European Gas Pipeline Company, kurz NEGP. Man konnte ihn auf einem unvorteilhaften, von unten beleuchteten Bild sehen, zusammen mit dem Gas-Oligarchen Alexej Miller bei der Vertragsunterzeichnung in Moskau.
1200 Kilometer Gasleitung bis 2010 Man sah ihn zuletzt auf einem weiten Feld in Lubmin am Greifswalder Bodden stehen, wo er mit Feldherrengeste die Landschaft maß, in der die große Röhre einmal am deutschen Festland anlegen soll. 1200 Kilometer Gasleitung sollen bis 2010 verlegt sein, um zunächst 27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland nach Westeuropa zu befördern, später einmal die doppelte Menge. 2,5 Milliarden Euro wird allein der erste Strang der Pipeline kosten.
Ein großes Geschäft und eine große Sache, sagen die einen, die Deutschlands Energiebedarf so strategisch gesichert sehen. Nicht in Ordnung, finden andere. Zum Beispiel FDP-Chef Guido Westerwelle, der Schröders Engagement für Russlands Präsidenten Wladimir Putin schwer kritisiert hatte, bis ihm Schröder auf dem Rechtswege verbieten ließ, seine Integrität als ehemaliger Bundeskanzler in Frage zu stellen.
Empörung in der SPD Die SPD hatte es vor Empörung fast zerrissen, und der damalige Chef Matthias Platzeck hatte alle Hände voll zu tun, dass die Partei nicht über den eigenen Ex-Kanzler herfällt. Vor rund einem Jahr sah es so aus, als ob Schröder unmittelbar nach dem Ende seiner Amtszeit höchstpersönlich mit der Demontage seiner selbst beginne.
Firmensitz der Nord Stream ist Zug. Im Handelsregisterauszug des Schweizer Städtchens liest sich lapidar: "Planung usw. einer Pipeline, welche Gas von der russischen Küste bis zur deutschen Küste durch die Ostsee transportiert." Eine Firma mit viel Macht, viel Geld und Gerhard Schröder als Vorsitzendem des Aktionärsausschusses. Für ein offizielles Salär von 250 000 Euro im Jahr.
Der Firmensitz ist kein Zufall. Über Unternehmer und Geschäftsleute, die dort ihren Sitz nehmen, hat jemand einmal deutliche Worte gefunden: "Wir können die Freizügigkeit nicht einschränken, aber wir sollten dieses Verhalten ächten."
Diese Leute, so kritisierte der Mann die Steuerflüchtlinge, "verhalten sich unpatriotisch. Mit denen kann man keinen Staat machen." Das sagte Gerhard Schröder im Dezember 2003, damals war er noch Bundeskanzler. Das SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer bezeichnete die Wahl von Zug als Standort von Schröders Firma als "Ausfluss einer typischen Mafiawirtschaft".
Ein kleines Idyll Warum hat es den Altkanzler mit seiner Firma, die zu 51 Prozent dem russischen Gasriesen Gazprom und zu je 24,5 Prozent Eon und der BASF gehören, nach Zug gezogen? Weil es hier so schön ist? Dieses Idyll kann man kaum malen. Vor der Uferpromenade legt ein alter Fischer seine Netze aus, am Horizont sieht man die Zuger Hausberge Rigi und Pilatus mit schneebedeckten Gipfeln. Und zwischen diesen erstreckt sich die strahlend weiße Kette von Finsteraarhorn über Eiger, Mönch und Jungfrau bis zum Faulhorn.
Schmuck und puppenstubig "Der Ort ist reinlich und alt", hat ein Durchreisender einmal seine Reiseeindrücke von Zug festgehalten. Aber seit Goethe 1797 eine Nacht im Ochsen verbracht hat, sind einige Dinge passiert in Zug. Die Altstadt ist schmuck und puppenstubig. Die Straßen der Innenstadt geraten zum alltäglichen Parcour einer permanenten Leistungsschau internationaler Automobilhersteller.
Richtung Nordosten wird es deutlich herber. Wie ein Geschwür wächst Zug Richtung Zürich. Baukräne stehen überall, die Bauten verströmen den Charme riesiger Umzugskisten. 20 000 Einwohner hat der Ort, etwa 100 000 der Kanton, und die Zahl der Firmen hat in diesem Jahr erstmals die Zahl von 25 000 überstiegen. 1091 Unternehmen sind 2005 hinzugekommen.
Sonderstellung innerhalb der Schweiz Selbst im Steuerparadies Schweiz nimmt Zug noch einmal eine Sonderstellung ein. Die Steuern liegen bei der Hälfte des Schweizer Durchschnitts. Über zehn Prozent Steuern muss hier keine juristische Person ohne Not berappen. Das Niedrigsteuerkonzept von Zug geht schon auf die zwanziger Jahre zurück: Wenig Geld von ganz viel Geld ist immer noch viel Geld - das ist die dahinterstehende Idee. Sie funktioniert.
Die mächtige und dubiose Energie-Firma Rosukrenergo, die glaubhaften Erzählungen nach in Zug den Gaskrieg zwischen der Ukraine und Russland mit einem geheimnisvollen Deal beendet hatte, lieferte im vergangenen Jahr bei Stadt und Kanton rund 90 Millionen Franken ab. Zug, diese Puppenstube mit Blick auf die Glarner Alpen, hat inzwischen Hamburg als weltweiten Handelsplatz Nummer eins für Kaffee überholt. Ohne dass eine Bohne durch den Ort rollt.
London, New York, Tokio - Zug Bei Rohstoffen und der Energie geht die Reihenfolge heute so: London, New York, Tokio - Zug. Bei Medizin-Technik und in der Pharma-Branche hat das Großdorf mitten in den Alpen die Nase auch ganz vorn. Mit anderen Worten: Überall, wo was geht, geht was in Zug.
Odlo Sportswear, Glencore, Alcon Pharmaceuticals, British American Tobacco, Siemens Building Technologies - viele europäische und weltweite Firmen haben inzwischen ihre Hauptsitze an die Ufer des Zugersees verlegt. Adidas, BASF, BP, Boss, Schering und Shell haben ihre Schweizer Zentralen hier.
Von Untermüli 6 drei, vier Kilometer stadteinwärts, zum Grafenauweg 2, seit Anfang Oktober die neue Adresse der Nordstream. Für Bahnfreund Schröder erfreulich nahe am Zuger Bahnhof. Vom Westausgang führt ein Stichweg direkt darauf zu. Gute Lage, freundlicher Bau. Im vierten Stock hat die Nord Stream ganz frisch etwa 100 Quadratmeter Bürofläche bezogen, bald soll es hier 50 Mitarbeiter geben.
Ein Journalist aus Deutschland, hier wegen Schröder? "Gehen Sie ruhig hoch, er ist schon da, ich hab ihn gerade raufgehen sehen", witzeln die Rezeptionistinnen in der Empfangshalle. Nur ein Scherz. Man kann nicht einfach hoch, und die unten wissen nicht viel
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