Wer in Deutschland überlebt, schafft es überall
Von Brigitte Koch und Ulrich Friese
05. September 2005
Im deutschen Einzelhandel herrscht seit zehn Jahren Wachstumspause. Mit 365 Milliarden Euro setzte die Branche im vergangenen Jahr so viel um wie Anfang der neunziger Jahre. Damals zehrten die Einzelhändler noch vom Elan der Wiedervereinigung. Heute weisen sie gegenüber dem europäischen Wettbewerb die mit Abstand schwächste Umsatzentwicklung auf.
Für gedrückte Konsumlaune in Deutschland sorgen die hohe Arbeitslosigkeit, Angst vor Arbeitsplatzverlust und die schrumpfende Zahl kaufkräftiger Erwerbstätiger, die heute um rund 2 Millionen unter der Zahl des Jahres 1994 liegen. Gestiegene Aufwendungen für Wohnen und Energie, Gesundheit sowie Altersvorsorge drücken ebenfalls auf die Kaufkraft. Der Anteil der privaten Konsumausgaben, der dem Einzelhandel zugute kommt, ist kontinuierlich geschrumpft. Er macht weniger als 30 Prozent aus, vor zehn Jahren lag er noch bei einem Drittel.
Auf Schnäppchenjagd dressiert
Doch es ist nicht nur der unlustige, vom Handel selbst auf Schnäppchenjagd dressierte Kunde, der die deutsche Handelslandschaft in trübem Licht erscheinen läßt. Der Einzelhandel hat Strukturprobleme. Vor allem die Überkapazitäten wiegen schwer. In Deutschland kommen auf eine Million Einwohner fast 250 Lebensmittel-Einzelhandelsfilialen mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 Quadratmetern. In Großbritannien sind es nur 110 Geschäfte, in Frankreich 120. Jedem deutschen Einwohner stehen doppelt so viele Quadratmeter Einkaufsfläche zur Verfügung als in Großbritannien.
Entsprechend hart wird der Kampf um Kunden und Marktanteile geführt. „Deutschland verfügt im internationalen Vergleich über die wohl größte Zahl an preisbewußten Verbrauchern“, sagt Martin Sorrell, Chef der britischen WPP Group, des zweitgrößten Werbeagentur-Konzerns der Welt. Aus diesem Umstand ergibt sich, daß es um die Ertragssituation des heimischen Einzelhandels schlechter bestellt ist als anderswo: Müssen sich deutsche Lebensmittelhändler heute mit Umsatz-Renditen zwischen 0,5 und 2 Prozent begnügen, weisen Konkurrenten in Großbritannien 5 bis 7 Prozent vor.
Wal-Mart macht in Deutschland Verluste
Der profitabelste Vertreter ist der britische Supermarkt-Betreiber Tesco, der eine operative Rendite von mehr als 10 Prozent erwirtschaftet und den Lebensmittelhandel in Großbritannien mit mehr als 30 Prozent Marktanteil dominiert. Erst mit deutlichem Abstand folgen die zum amerikanischen Einzelhändler Wal-Mart gehörende Asda-Gruppe (Anteil: 16,5 Prozent) und Sainsbury (15,9 Prozent). Im Gegensatz zu Deutschland, wo Wal-Mart mit seinen 93 Selbstbedienungswarenhäusern seit Jahren in der Verlustzone operiert, erwirtschaften die 279 Filialen von Asda zwar Gewinne.
Doch den britischen Statthaltern von Wal-Mart gehen Kunden und Marktanteile verloren, weil sich Tesco und Sainsbury zunehmend erfolgreich als Preisbrecher profilieren. Um die Erosion zu stoppen, hält Asda jetzt mit einer landesweiten „Dauer-Tiefpreis“-Kampagne gegen. Das Geld für die teure Marktoffensive soll durch Schnitte bei den Fixkosten und Stellenabbau zufließen. Auch deutsche Konkurrenten wie Metro, Rewe, Douglas, Aldi oder Lidl forcieren ihre internationale Expansion, um das schwache Inlandsgeschäft auszugleichen.
Deutsche Preisbrecher erfolgreich kopiert
Der Erfolg deutscher Handelsketten im Ausland erklärt sich aus dem harten Wettbewerb im Heimatmarkt, nach dem Leitspruch: Wer es hier schafft, schafft es überall. Die Konzepte, mit denen sie ins Ausland gehen, sind krisenerprobt. Aldi und Lidl sind in Großbritannien mit jeweils rund 300 Filialen zwar seit Jahren präsent. Doch im Vergleich zu den fünf führenden Supermarkt-Ketten, die gut zwei Drittel des britischen Lebensmittelhandels bestreiten, nimmt sich deren Marktanteil mit zusammen 5 Prozent bescheiden aus.
Der Grund ist zum einen in wettbewerbsrechtlichen Barrieren für neue Anbieter zu suchen. Gleichzeitig haben britische Einzelhändler die Konzepte der deutschen Preisbrecher genau studiert und erfolgreich kopiert: „Marktführer Tesco erkannte die potentielle Bedrohung durch Aldi und Lidl frühzeitig und konterte geschickt mit einer Kombination aus Tiefpreisen, größerer Auswahl und mehr Personal“, sagt Andreas Bauer, Leiter „Consumer Goods & Retail“ bei Roland Berger Strategy Consultants in München.
Das Logo der grünen Spar-Tanne verschwindet
Der Blick auf die verschiedenen Handelsformate und -konzepte zeigt, daß es Gewinner und Verlierer gibt. Im Lebensmittelhandel haben Supermärkte und kleinere Läden in den vergangenen Jahren sukzessive Marktanteile an die Discounter verloren, wenngleich Aldi in jüngster Zeit langsamer gewachsen ist als noch in den Jahren zuvor. Laut A.C. Nielsen liegt der Anteil der Discounter am Lebensmittelhandel bei fast 38 Prozent und damit erheblich über den Vergleichswerten im europäischen Ausland.
Nicht nur die Discounter, auch die großflächigen Verbrauchermärkte haben ihren Anteil am Umsatzkuchen erhöht, und zwar zu Lasten der kleineren Supermärkte. Vor diesem Hintergrund ist auch die in dieser Woche vom Kartellamt genehmigte Übernahme der Handelsgruppe Spar durch Edeka zu sehen. Damit wird ein Traditionsname und das von vielen Konsumenten verinnerlichte Logo der grünen Spar-Tanne verschwinden. Spar wird vollständig in Edeka aufgehen.
Deutsche Einkaufsstraßen gleichen sich immer mehr
Mit Blick auf den Textil-Einzelhandel fällt vor allem in den Innenstädten der Schwund mittelständischer, individuell geführter Fachgeschäfte auf. Hingegen sind internationale Filialisten wie die spanische Zara-Gruppe, der skandinavische Händler Hennes & Mauritz oder die in Hongkong beheimatete Marke Esprit weiter auf dem Vormarsch. So ähneln sich die Warenangebote in deutschen Einkaufsstraßen immer mehr.
Das Erfolgsrezept dieser sogenannten vertikalen Vertriebsformen liegt darin, daß sie über die gesamte Wertschöpfungskette die Regie führen, also von der Kollektion über die Produktion bis hin zur Ladentheke. Das versetzt sie in die Lage, den Kunden rasch mit neuer Ware zu versorgen. Dem Trend folgen mittlerweile auch deutsche Bekleidungshersteller wie Gerry Weber. Das ostwestfälische Unternehmen ist inzwischen mit einem eigenen Filialnetz aktiv. Ausgangspunkt dafür waren die schon vor Jahren sichtbaren Probleme des klassischen Einzelhandels und damit das Wegbrechen der eigenen Kundenbasis.
Klassische Warenhäuser stecken in der Krise
Ebenso wie in Deutschland verwandeln sich auch in Großbritannien die klassischen Warenhäuser zu „Auslaufmodellen“, deren Bedeutung am Gesamtumsatz des Einzelhandels beständig schrumpft. So steckt der Handelskonzern Karstadt-Quelle tief in der Krise. Gleichzeitig kämpfen auch die zum Metro-Konzern gehörenden Kaufhof-Warenhäuser mit Umsatzschwund und feilen wieder einmal an neuen Konzepten, um die Kunden in die Geschäfte zu locken.
Im britischen Einzelhandel ist indessen Marks & Spencer der Lieferant von Hiobsbotschaften. Kaum scheiterte der Traditionskonzern vor fünf Jahren mit seiner Expansion auf dem europäischen Kontinent, spitzte sich die Misere im Inlandsgeschäft zu. Das Management verschlief regelmäßig aktuelle Konsumtrends und ignorierte gleichzeitig das steigende Markenbewußtsein britischer Verbraucher. „In der heutigen Konsumwelt haben hochwertige Warenhaus-Anbieter wie Gallerie Lafayette in Paris oder Selfridges in London die besten Chancen zum Überleben“, lautet der Befund von Roland-Berger-Berater Bauer.
Auch in der Versandbranche ist die Entwicklung gespalten. Über die dicken Hauptkataloge, die nur zweimal im Jahr aufgelegt werden, ist die Zeit hinweg gegangen. Sie können den hohen Anforderungen an Angebots- und Preisflexibilität nicht mehr gerecht werden.
Quelle:
http://www.faz.net/s/...5D8A3AEED49B08AE63~ATpl~Ecommon~Scontent.html __________________________________________________VIVA ARIVA!