Einfach die Welt verändern
Nach der Ego-Gesellschaft ein neues Wir-Gefühl: Wenn alle mitmachen, kann die Wirkung enorm sein. Der neuen Bewegung geht es um die nüchterne Einschätzung unseres täglichen Tuns. Mit hartleibigen Öko-Fundis hat das nichts zu tun
Schluss mit dem Gefühl der Machtlosigkeit! Jeder Einzelne kann mit Kleinigkeiten Großes bewirken und so unseren Planeten lebenswerter gestalten. In England machen das schon Hunderttausende - jetzt sind wir dran.
Nein, die eine Plastiktüte weniger beim Einkauf rettet die Eisbären nicht vorm Aussterben. Und auch der Wechsel zu einem Öko-Stromanbieter wird das Klima nicht beeinflussen. Warum also die Mühe?
Weil es eben doch hilft. Und zwar dann, wenn es viele tun. Masse wirkt. Wenn Millionen Deutsche Millionen Liter Bio-Milch kaufen würden, könnte viel Regenwald in Brasilien gerettet werden.
Warum? Brasilien hat in den vergangenen fünf Jahren seine Sojaproduktion verdoppelt. Der Bundesstaat Mato Grosso im Landesinneren ist das Zentrum des Soja-Booms. Allein dort werden in einem Jahr mehr als 10.000 Quadratkilometer Regenwald gerodet. Viermal die Fläche von Luxemburg. Dieses Soja wird vor allem als Viehfutter nach Europa exportiert. Hiesige Bio-Bauern dürfen aber nur regional angebautes Futter für ihre Kühe verwenden. Der Kauf von Bio-Milch verringert also die europäische Nachfrage nach Soja - und damit den Anreiz für brasilianische Bauern, noch mehr Regenwald zu roden.
Von Klimawandel und Artenschwund bis zum Job-Export: Die globalisierte Welt erscheint fragil. Immer mehr Menschen ahnen, dass die Probleme nicht nur von fernen Regierungen und multinationalen Konzernen verursacht und entsprechend bewältigt werden können. Sondern dass jeder einzelne Konsument mit seinen alltäglichen Entscheidungen, mit seinem Lebensstil, Einfluss hat, etwas zu verändern - solange er nicht allein bleibt.
Aber wie zusammenkommen? Und: Wie vermeiden, dass man dabei als Öko-Spinner dasteht? Helfen würde eine Imagekampagne für ethisch-ökologische Ideen, ein Bestseller mit Werbeparolen für das gute Gewissen, dachte sich 2001 der 50-jährige Engländer David Robinson. Und ahnte nicht, welch mächtige Idee er damit hatte.
Ein Marketing-Manager des Sportartikelherstellers Nike hatte Robinson einige Jahre zuvor erklärt, wie aus dem schlichten Schuh für Basketball spielende Stadtjungen eine weltumspannende Trendmarke wurde: der Turnschuh, oder besser "Sneaker". "Das muss doch auch mit Ideen für ein soziales Gewissen funktionieren", dachte David Robinson, der bis dahin in der Londoner Bürgerinitiative "Community Links" versucht hatte, benachteiligten Stadtbewohnern ein besseres Leben zu ermöglichen.
Er begann, Vorträge bei Marketing-Firmen zu halten. Bei einer solchen Veranstaltung traf er Eugenie Harvey, Mittdreißigerin, die 1998 aus Australien nach London ausgewandert war, um einen Sinn in ihrem Leben zu finden. Den gab es auch in ihrem gut bezahlten Job bei einer der größten Finanz-PR-Firmen in London nicht. Sie hatte offenbar auf Robinson und seine Idee gewartet. Die beiden verstanden sich auf Anhieb. Es entstand die Initiative "We are what we do" - wir sind, was wir tun.
Harvey und Robinson überredeten bekannte Werbetexter, Grafiker, Designer und Marketing-Experten, gratis an einem Buch mitzuarbeiten, das mit einer einfachen Botschaft helfen soll, die Welt zu verbessern. "Wir erzählen nichts Neues. Wir erklären keine Quantenphysik. Aber wir bieten Lesern Informationen, wie sie sich schnell und unkompliziert engagieren können - und dabei noch ein bisschen Spaß haben", sagt Robinson.
50 kleine und große Aktionen schlagen die Autoren in ihrem Buch vor, das im September 2004 in Großbritannien erschien. Zu jedem Tipp werden die gesellschaftlichen Folgen erläutert, außerdem Internetadressen und Ansprechpartner aufgelistet.
Das Buch heißt "Change the world for a fiver" - ändere die Welt für fünf Pfund (so viel kostet das Buch). Der Verlag schätzte, dass davon bestenfalls 10.000 Exemplare verkauft würden. Bis heute sind es 250.000 Stück. Das Buch stand Ende 2005 acht Wochen auf der Bestsellerliste der britischen "Sunday Times", noch vor der Autobiografie von David Beckham. In Australien ist der Erfolg ähnlich groß. Robinson und Harvey scheinen einen Nerv getroffen zu haben.
In Deutschland wird das Buch unter dem Titel "Einfach die Welt verändern" nächste Woche in den Buchhandel kommen. Gespräche mit Verlagen von Schweden bis Griechenland und den Vereinigten Staaten laufen. Das Buch schafft eine Gemeinschaft. Auf der Webseite (www.wearewhatwedo.org) tauschen Tausende Menschen ihre eigenen Tipps aus, erzählen, wie sie nun versuchen, öfter im Laden nebenan einzukaufen statt im Supermarkt. Oder dass sie jetzt dem Obdachlosen um die Ecke jeden Morgen einen heißen Kaffee kaufen. Es ist eine globale Freiwilligenagentur mit Beiträgen aus 96 Ländern.
Das "Greenpeace-Magazin" aus Hamburg griff die Idee auf - und verdoppelte im Januar seine Kioskauflage mit der Titelgeschichte "Tu was!". Chefredakteur Jochen Schildt mochte an der englischen Kampagne "die unverkrampfte Art, uns zu sagen, dass wir alle Sünder sind". Es sei Zeit, das ökologisch Korrekte aus der fundamentalistischen Ecke herauszuholen.
In Kanada ist eine vergleichbare Bewegung entstanden. Der Biologieprofessor David Suzuki fordert auf seiner vielbesuchten Webseite seine Landsleute auf, mindestens drei von zehn Gewohnheiten mit Umweltfolgen zu ändern. Wer sich etwa entscheidet, weniger Fleisch zu essen, mehr Bahn zu fahren, weniger zu heizen oder regionale Produkte zu kaufen, kann bei einem eigens eingerichteten Umweltbilanzrechner seine persönlichen Umweltersparnisse abrufen. Fast 190.000 Menschen haben sich bereits unter www.davidsuzuki.org registrieren lassen. Vor allem über das Internet kommen nun plötzlich Menschen zusammen, die eine Idee eint: Wir wollen endlich etwas tun. Wir wollen helfen, die Welt zu verändern, ohne dafür radikal unser Leben ändern zu müssen. Das Bewusstsein, Teil einer globalen Bewegung zu sein, ermutigt sie, weiterzumachen.
Cornelia Fuchs stern-Artikel aus Heft 6/2006 www.stern.de |