Der Streit über Nord Stream 2 Manchmal ist ein Wirtschaftsprojekt so umstritten, dass sich die Politik einschaltet so wie im Fall von Nord Stream 2. Warum sind die USA gegen die Pipeline? Und warum hält die Bundesregierung noch an ihr fest? Von Marco Wedig 17.04.2021, 19.46 Uhr Link kopieren Was ist Nord Stream 2?
Bild vergrößern Nord Stream 2 ist eine Rohrleitung, die Erdgas aus Russland nach Deutschland bringen soll. So ein Röhren-System wird auch Pipeline genannt. In Deutschland brauchen wir das Erdgas zum Beispiel zum Heizen. Es wird in Sibirien gefördert. Von dort soll es durch die Ostsee in die norddeutsche Stadt Lubmin gelangen. Dafür wird eine mehr als 1200 Kilometer lange Rohrleitung auf dem Meeresgrund verlegt. Betrieben wird sie von der russischen Firma Gazprom. Der Bau ist fast fertig, es fehlen nur noch wenige Kilometer.
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Warum steht das Projekt in der Kritik? Weil Russland unter Präsident Wladimir Putin zu viel Ärger macht. 2014 nahm Russland die ukrainische Halbinsel Krim ein und verstieß damit gegen das Völkerrecht. Die Ukraine und Russland befinden sich seitdem in einem bewaffneten Konflikt. Deswegen war Nord Stream 2 schon umstritten, als der Pipeline-Bau im Jahr 2015 beschlossen wurde. Seitdem hat sich die deutsche Beziehung zu Russland weiter verschlechtert. 2015 stahlen russische Hacker Daten von Computern aus dem Deutschen Bundestag. Trauriger Tiefpunkt: Am 20. August letzten Jahres wurde der Politiker Alexej Nawalny mutmaßlich von russischen Geheimagenten vergiftet. Nawalny, der nur knapp überlebte, ist ein Gegner von Putin. Vermutlich wollte Putin ihn beseitigen. Seit diesem Anschlag wird verstärkt darüber diskutiert, Nord Stream 2 zu stoppen.
Nach dem Giftanschlag wurde Alexej Nawalny in Deutschland behandelt. Er erholte sich und kehrte nach Russland zurück. Dort verurteilte man ihn zu einer Haftstrafe, weil er in einem früheren Verfahren gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben soll. Seitdem befindet sich Nawalny in einem Straflager. Um gegen die Haftbedingungen zu protestieren, trat er in einen Hungerstreik. Bild vergrößern Nach dem Giftanschlag wurde Alexej Nawalny in Deutschland behandelt. Er erholte sich und kehrte nach Russland zurück. Dort verurteilte man ihn zu einer Haftstrafe, weil er in einem früheren Verfahren gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben soll. Seitdem befindet sich Nawalny in einem Straflager. Um gegen die Haftbedingungen zu protestieren, trat er in einen Hungerstreik. Foto: Uncredited / dpa Was spricht für einen Stopp? Mit einem Stopp würde man Putin zeigen, dass er eine Grenze überschritten hat. Und man würde der deutschen Bevölkerung und den europäischen Partnerländern beweisen, dass man sich so etwas nicht gefallen lässt. Viele denken, dass sich deutsche Politikerinnen und Politiker unglaubwürdig machen, wenn sie Russland einerseits kritisieren, aber andererseits an dem Bau von Nord Stream 2 festhalten. Deutschland stößt damit viele politische Partner vor den Kopf, allen voran die USA. Die US-Regierung meint, dass sich Deutschland mit Nord Stream 2 von Russland abhängig macht. Außerdem wollen die USA den Deutschen selbst gern Erdgas verkaufen. Tatsächlich ist Deutschland aber weder auf das russische noch auf US-amerikanisches Erdgas angewiesen. Man könnte das benötigte Gas auch bei europäischen Partnern kaufen. Zudem dürfte der Bedarf in Zukunft sinken. Der Transport und das Verbrennen von Erdgas schaden dem Klima. Deshalb solle man lieber in nachhaltigere Energien investieren, sagen manche Expertinnen und Experten.
Die Rohrleitung, die hier verlegt wird, soll russisches Gas nach Deutschland bringen. Weil das den USA nicht gefällt, wurden die Arbeiten auf dem Schiff »Audacia« eingestellt. Jetzt soll ein russisches Schiff den Bau zu Ende bringen. Bild vergrößern Die Rohrleitung, die hier verlegt wird, soll russisches Gas nach Deutschland bringen. Weil das den USA nicht gefällt, wurden die Arbeiten auf dem Schiff »Audacia« eingestellt. Jetzt soll ein russisches Schiff den Bau zu Ende bringen. Foto: Bernd Wüstneck / DPA Was spricht gegen einen Stopp? Die Pipeline ist, wie gesagt, fast fertig. Würde man den Bau jetzt stoppen, hätte man sehr viel Geld im Meer versenkt: etwa 9,5 Milliarden Euro. Gazprom zahlt die Hälfte dieser Summe. Die andere Hälfte teilen sich fünf weitere Energiefirmen. Sollte Nord Stream 2 gestoppt werden, könnten sie vor Gericht ziehen und auf Schadensersatz klagen. Zudem könnten die Heizkosten in Deutschland steigen. Putin könnte sich von der Europäischen Union abwenden und in Zukunft mehr mit China zusammenarbeiten. So würde man Einfluss auf Russland verlieren, befürchten einige deutsche Politikerinnen und Politiker. Es gäbe außerdem bessere Mittel, um Putin seine Grenzen aufzuzeigen, heißt es. So könnte man zum Beispiel ausländische Bankkonten von Leuten, die mit dem Giftanschlag auf Nawalny zu tun hatten, sperren. Für die Bundesregierung ist Erdgas übrigens eine sogenannte Brückentechnologie. Das heißt: Solange es noch nicht genügend Energie aus Sonnen-, Wind-und Wasserkraft für ganz Deutschland gibt, brauchen wir Erdgas.
Wie geht es jetzt weiter? Es ist unwahrscheinlich, dass Nord Stream 2 gestoppt wird. Der Bundesregierung dürfte es sehr schwerfallen zu erklären, warum sie so lange an dieser umstrittenen Pipeline festgehalten hat, um sich dann auf den letzten Metern anders zu entscheiden. Nord Stream 2 wird voraussichtlich in Betrieb genommen. Um der US-Regierung entgegenzukommen, könnte Deutschland zusätzliches Erdgas aus den USA einkaufen. Für das Klima ist all das nicht gut. Deswegen waren die Grünen von Anfang an gegen Nord Stream 2. Ein Grund mehr, dass das Projekt jetzt wohl schnell durchgezogen wird. Denn wenn die Grünen im September bei der Bundestagswahl an die Macht kämen, würde die Diskussion von Neuem losgehen. |