Spiegels Antwortbrief an Möllemann
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, hat dem stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden Jürgen Möllemann einen Antwortbrief geschrieben, der am Donnerstag bekannt wurde.
wiwo/ap BERLIN. Er reagierte damit auf ein Schreiben Möllemanns an Spiegel, das die FDP am Mittwoch veröffentlicht hatte. ................
"Sehr geehrter Herr Möllemann,
Ihren Brief vom heutigen Tage habe ich mit Befremden zur Kenntnis genommen.
Zum einen befremdet es mich, dass der Brief bereits den Medien zur Verfügung gestellt wurde, bevor ich die Gelegenheit hatte ihn als Adressat selbst zur Kenntnis zu nehmen. Andererseits ist dies allerdings nicht weiter verwunderlich, setzt es doch Ihre Tradition fort, die laufende Diskussion stets medienwirksam in Szene setzen zu wollen, statt an einer konstruktiven und sachlichen Bereinigung interessiert zu sein. Aber dies ist sicherlich nur eine - für Sie unerhebliche - Stilfrage.
Mein eigentliches Befremden liegt aber darin begründet, dass ich in Ihrer Klarstellung, wie Sie es selbst nennen, weder den Tenor einer Entschuldigung noch das Wort selbst finden kann. Sie stellen lediglich "klar" und "fest", dass Sie einen Fehler gemacht haben, als Sie dem Vizepräsidenten des Zentralrats, Dr. Michel Friedman, in beleidigender und antisemitischer Form eine Mitverantwortung für ein Erstarken des Antisemitismus durch seine "intolerante und arrogante Art" zugeschrieben haben. Schlimmer noch, Sie informieren mich lediglich über diese Klarstellung im Einklang mit einem Beschluss des FDP-Präsidiums. Tun Sie dies aus eigener Überzeugung oder weil Sie es müssen, um dem Präsidiumsbeschluss zu genügen? Im weiteren Verlauf Ihres Schreibens erklären Sie, dass Ihnen "ebenso an der Feststellung liegt, dass (Sie) sich weiterhin mit allem Nachdruck dagegen wehren werden, wegen (Ihrer) unverändert Sharon-kritischen Haltung als Antisemit bezeichnet zu werden. Herr Dr. Friedman solle diesen Vorwurf jetzt aus der Welt schaffen." Nehmen Sie zur Kenntnis, dass weder Herr Dr. Friedman noch andere Vertreter des Zentralrats einer sachlichen und fundierten Kritik an der Regierungspolitik von Premierminister Sharon mit Antisemitismusvorwürfen begegnet sind. Eine solche Kritik an der Politik der Israelischen Regierung ist kein Sakrileg. Allerdings ist dies nicht zu verwechseln mit solcher Kritik, die auf antisemitischen Klischees beruht.
Wenn der Landtagsabgeordnete Karsli der israelischen Armee "Nazi-Methoden" vorwirft und weiter von einer "zionistischen Lobby" in den Medien spricht und Sie sich von diesen Äußerungen nicht nur nicht distanzieren, sondern sie zu wahltaktischen Zwecken zu instrumentalisieren suchen, müssen Sie sich solche Äußerungen auch zurechnen lassen.
Insofern ist es nicht Dr. Friedman, der einen Vorwurf aus der Welt zu schaffen hat, sondern Sie sind es, der sich von den o.a. Äußerungen des Herrn Karsli ohne Wenn und Aber distanzieren sollte. Ihre Versuche und die Ihres Parteivorsitzenden Westerwelle, die in diesem Zusammenhang laufende Antisemitismusdebatte zu Unrecht mit der sachlichen Kritik an der Regierungspolitik des Ministerpräsidenten Sharon zu verbinden, ist eine durchsichtige und unerträgliche Manipulation der Tatsachen.
Aus den vorgenannten Gründen teile ich Ihre Einschätzung nicht, dass es zu einem von Herrn Dr. Westerwelle vorgeschlagenen Gespräch zwischen dem Zentralrat der Juden und dem FDP-Präsidium kommen wird. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass es keiner, auch noch so wohlmeinenden Vermittlung bedarf. Erfüllen Sie die schon mehrfach genannten Bedingungen, trennen Sie sich von Herrn Karsli und erklären Sie bedingungslos und ohne wiederum auf Herrn Dr. Friedman zu verweisen, Ihre Distanzierung von antisemitischen Äußerungen, und ich bin sicher, dass es zu einem offenen und respektvollen Dialog kommen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Paul Spiegel
HANDELSBLATT, Donnerstag, 30. Mai 2002, 15:39 Uhr |