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"Ich habe niemals an den Toren des Kanzleramts gerüttelt. Ich will meinem Vaterland dienen." Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber präsentiert sich beim politischen Aschermittwoch der CSU als Mann für ganz Deutschland
Von Hans-Jürgen Leersch Der Marsch auf Berlin hat begonnen. "Und niemand soll sich darauf verlassen, dass mir die Luft ausgeht", dröhnt Edmund Stoibers Stimme durch die Passauer Nibelungenhalle. 9000 Zuhörer liegen ihm zu Füßen. Weitere 1000 stehen tapfer im Nieselregen vor einer Großleinwand vor der Halle. Drinnen geht es beim "Politischen Aschermittwoch" der CSU zu wie im Hexenkessel. Ein Heimspiel im Bayern-Stadion ist nichts dagegen. "Oh, wie ist das schön", singt die Menge, "Berlin, Berlin, Stoiber nach Berlin", wird skandiert. Der gibt sich demutsvoll: "Ich habe niemals an den Toren des Kanzleramts gerüttelt. Ich will meinem Vaterland dienen."
Bevor der Kandidat dienen kann - die Wahl ist bekanntlich erst am 22. September -, gilt es, seinem Rivalen Gerhard Schröder und der Berliner Koalition kräftig einzuheizen. Der Niedersachse, ganz früher einmal Stoibers Männerfreund, ist jetzt der "Schlusslichtkanzler" und "Kanzler der Beliebigkeit. Der steht mal da, der steht mal hier. Es geht ihm nicht um die Inhalte, es geht ihm um die Macht." Schröder hat es Stoiber natürlich leicht gemacht. Wie ein roter Faden ziehen sich die zehn Versprechungen des heutigen Kanzlers aus dem Wahlkampf 1998 durch die Rede des Unionskandidaten. Die Bilanz von Rot-Grün in den entscheidenden Punkten Wirtschaft, Arbeit und Soziales ist miserabel.
"Was soll man von einer Regierung halten, die den Menschen versprochen hat, die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen zu senken, aber dieses Ziel meilenweit verfehlt hat?", höhnt Stoiber. Die Menschen rufen "Edmund, Edmund". "Heute will Schröder von seinen Versprechen nichts mehr wissen. Aber wir werden davon reden", so die Drohung aus Niederbayern.
Zwei Stunden lang heizt Stoiber in der Nibelungenhalle ein. Es sollte, hatte es am Vorabend bei der CSU geheißen, ein mehr nachdenklicher Auftritt werden. Eine Großleinwand und zusätzliche Lichteffekte sollten für eine leichte Amerikanisierung der Veranstaltung sorgen, ohne die übertriebene Licht- und Musik-Show des Leipziger SPD-Parteitages von 1998 kopieren zu wollen. Doch "Stoiber light" will die Menge nicht. Mal treibt sie den Kandidaten durch Klatschen, Rufen, Pfeifen zu immer neuen rhetorischen Spitzenleistungen, mal bläst der Kandidat das Feuer zusätzlich an. Zum Beispiel beim Thema Euro, Stabilitätspakt und "blauer Brief" aus Brüssel: "Schröder hat sich zum Totengräber des Stabilitätspakts gemacht. Gerhard Schröder ist der Weichmacher des Euro."
Leichtes Spiel hat Stoiber mit dem Bundeskabinett, dessen Arbeit er kurz und knapp als "Pleiten, Pech und Pannen" abserviert. Lustvoll zählt er die Pannen von Verteidigungsminister Rudolf Scharping auf. "Aber eines", merkt Stoiber süffisant über den "Minister für Selbstverteidigung" an, "muss man zugeben: Die Badefotos aus Mallorca waren scharf." Innenminister Otto Schily, früher Stütze des Kabinetts, müsse dringend selbst geschützt werden, bei Finanzminister Hans Eichel sei der Lack ab: Eichel und Schröder verhielten sich "wie Schulbuben, die den ,blauen Brief' abfangen, bevor ihn die Eltern bekommen". Arbeitsminister Walter Riester sei ein "Fall für die vorgezogene Riester-Rente", und die Inkompetenz einer Gesundheitsministerin Ulla Schmidt "hat Deutschland nicht verdient". Schröders Mannschaft sei "mehr Schatten als Kabinett. Und aus diesem Schatten muss unser Land heraus."
Lange Strecken seiner Rede widmet Stoiber einer möglichen rot-roten Koalition "in Berlin, von Schröder bisher heftig abgelehnt. "Wer kann dem Kanzler heute noch glauben, was er verspricht?", fragt Stoiber. Denn wenn es um den Erhalt seiner Macht gehe, sei Schröder jedes Mittel recht. Die in der Hauptstadt bestehende rot-rote Koalition ist für Stoiber "ungeheuerlich. Rot-Rot ausgerechnet in der Stadt von Mauer, Schießbefehl und Selbstschussanlagen." Die SED, Vorgängerin der PDS, habe schon einen Staat in Deutschland ruiniert. "Jetzt rüsten sich die Nachfahren für größere Aufgaben. Die Menge johlt, als Stoiber ausruft, diesen "sozialistischen Quacksalbern" dürfe man Deutschland nicht anvertrauen.
Der Kandidat referiert mehrfach die schlechten Wirtschaftsdaten herunter und empfiehlt sich selbst als den unermüdlichen Arbeiter, der schon in Bayern die Dinge gerichtet hat und Deutschland vom letzten Platz wegbringen wird. Leichte Zurückhaltung nur beim Thema Zuwanderung. Zwar fehlen auch hier die Drohungen nicht, das Gesetz abzulehnen, aber Stoibers Argumentation gerade bei diesem Reizthema bleibt eher defensiv. "Ich will", sagt Stoiber, "dafür kämpfen: Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland". Und ein Kreuz soll auch wieder im Kanzleramt hängen, wenn er regiert. Die Menge verlangt "Zugabe, Zugabe". Die soll es aber erst nächstes Jahr geben, "wenn in Passau zum ersten Mal ein deutscher Bundeskanzler spricht".
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