Deutliche Worte aus berufenem Munde ... das Greenspan-Interviewvon Ronald Gehrt Guten Morgen, verehrte Leserinnen und Leser! Heute abend ist es also so weit. Seit dem 17. August haben die Aktienmärkte negativen Rahmenbedingungen wie steigenden Energiepreisen, einem schwachen Dollar, immer schwächer werdenden Konjunkturdaten (nicht nur in den USA) und nicht abreißenden Hiobsbotschaften aus dem Immobilien- und Hypothekensektor getrotzt. Von der letztlich aus der Angst geborenen Diskontsatzsenkung der US-Notenbank am 17.8. bis heute haben es die Akteure geschafft, die Aktienindizes nur ein paar Prozent unter ihren Allzeithochs zu halten. Dabei sind es laut Umfragen vor allem die Kleinanleger gewesen, die hier eingestiegen sind und damit offenbar denen Glauben geschenkt haben, die nie aufhörten, das gelobte Land zu predigen. Wider permanent einlaufender Fakten bleiben vor allem die Mitglieder der US-Regierung dabei dem Volk zu predigen, dass all diese Dinge sich nicht auf die Gesamtwirtschaft auswirken würden und das Gerede von Rezession Unfug sei. Henry „Hank“ Paulson zwischen Worten und WissenAm lautesten blies die Flöte des Chef-Rattenfängers Hank Paulson, seines Zeichens US-Finanzminister. Noch. Ich glaube, dass er der erste sein wird, dem man den Hut aufsetzen und ihn aus dem Kreis der Öffentlichkeit hinaus komplimentieren wird, wenn sich herausstellt, dass die einlaufenden Konjunkturdaten und Unternehmensmeldungen ein höheres Gewicht haben als wahlkampfdominiertes Wunschdenken. Der Mann ist Banker. Er weiß genau, was wirklich Sache ist. Und ich vermute mal (gehässig grinsend), dass ihm daher der Kragen enger wurde, als sich nun aus dem „off“ der Ex-Notenbankchef Alan Greenspan in einem langen Interview anlässlich der Veröffentlichung seiner Memoiren zu Wort meldete. Der treffende Titel: „Das Zeitalter der Turbulenzen – Abenteuer in einer neuen Welt“. Der Sündenbock in freier RedeDas Unglaubliche ist in meinen Augen, dass man heute Alan Greenspan als Schuldigen an der Misere auserkoren hat. Hätte er nicht damals die Zinsen so weit gesenkt, so das dümmliche Gekreisch, wäre das alles nicht passiert. Doch Altmeister Greenspan weigert sich entscheiden, sich dafür zu entschuldigen, dass Horden von Dummköpfen andere Horden von Dummköpfen dazu getrieben haben, die niedrigen Zinsen zu nutzen, um sich Kredite aufzuladen die sie nicht zurückzahlen können und damit Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen. Nein, ich habe den Eindruck, Alan Greenspan ist aktuell bester Dinge. Und man merkte ihm bei diesem Interview an, dass er es trotz des Ernstes der Lage genoss, endlich mal ohne verklausulierte Formulierungen auskommen zu können, die das Amt des Notenbankchefs so mit sich bringt. Denn zu klare Worte eines Notenbankchefs könnten missverstanden werden und so Marktbewegungen auslösen, die unerwünscht sind. Wobei die gestrige Börsenentwicklung zeigt, dass man auch ehemaligen Notenbankchefs sehr genau zuhört und er immer noch für steigende oder fallende Kurse gut ist ... umso mehr, als dass er nun kein „Greenspeak“ mehr sprechen muss, wie man die Notenbanker-Sprache früher nannte, sondern Tacheles. No more GreenspeakUnd bei diesem Interview waren reichlich Aussagen dabei, die denen einen Tag vor der Notenbanksitzung den Schweiß auf die Stirn trieben, die bislang beharrlich glauben, ab morgen werde nicht nur alles wieder gut, nein, es werde alles besser als zuvor. Weil es doch überhaupt keine Krisen gebe. Ein paar Streiflichter aus diesem Interview: - Die Notenbank sollte sich hüten, die Zinsen zu aggressiv zu senken, denn das Risiko einer Wiederbelebung der Inflation sei heute größer als zu der Zeit, in welcher er Notenbank-Chef war. - das Risiko einer Rezession ist gegenüber dem Januar, als er es mit 33% einschätzte, gestiegen. - Greenspan schätzt, dass die Immobilienkrise tiefer gehen wird als die meisten Analysten erwarten und erwartet einen Rückgang der Hauspreise im zweistelligen Bereich. - Dennoch sehe es bislang nicht so aus, als würden die Verwerfungen am immobilien- und Kreditmarkt in einen breiter angelegten wirtschaftlichen Abschwung führen. - Doch die Möglichkeit, dass die Immobilienkrise dazu führen kann, dass die Konsumenten ihre Ausgaben reduzieren, ist ein sehr schwierige Herausforderung für die Verantwortlichen. - Langfristig bleiben die Inflationsrisiken erhalten. Auf längere Sicht kann die Notenbank die Inflation sicherlich auf dem gewünschten Niveau halten, es könnte aber sein, dass sie dazu die Zinsen irgendwann auf zweistelliges Niveau erhöhen muss ... auch, wenn sie dann Druck von Seiten der Politik erwarten muss. Starke Worte ... geboren aus 18 Jahren Erfahrung ... und ohne MaulkorbGlaubt jemand, der Mann habe keine Ahnung, nur weil er seit eineinhalb Jahren nicht mehr im Amt ist ... nach 18 Jahren als Chairman der US-Notenbank? Nein – er kann nur heute frei sprechen, im Gegensatz zu seinem Amtsnachfolger Bernanke. Ich bin ja mal gespannt, wie die Märkte heute abend und morgen laufen werden ... nachdem ein Monat Hoffnung auf dieses eine Ereignis genug Fakten unter den Teppich gekehrt hat, die alleine schon für weitere 10% Abwärtskorrektur an den Börsen reichen würden. Wir dürfen keinesfalls ausschließen, dass es zu einer weiteren Hoffnungs-Rallye kommt. Aber wir sollten sicherheitshalber keinen müden Euro darauf verspekulieren! Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag – bis morgen! Ronald Gehrt The Daily Observer |