In Großbritannien geht die Angst um
Nach dem Beinahe-Kollaps des Baufinanzierers Northern Rock wächst in Großbritannien die Angst vor einer großen Immobilienkrise nach dem Muster der Vereinigten Staaten.

Die Subprime-Krise hat Großbritannien erreicht.
Auch auf der Insel sind die Hauspreise seit mehr als einem Jahrzehnt kräftig gestiegen und die Konditionen für Hypothekenkredite laxer geworden. Schon jetzt geraten immer mehr Hausbesitzer mit der Rückzahlung ihrer Darlehen in Verzug. Dabei wird eine Serie von Leitzinserhöhungen die Lage noch verschärfen. Analysten fürchten gravierende Folgen für die britische Konjunktur.
Die große Kreditkrise, die derzeit die weltweiten Finanzmärkte erschüttert, hat ihren Ursprung am US-Immobilienmarkt. Beflügelt durch den jahrelangen Aufschwung vergaben die US-Banken immer leichtfertiger Darlehen auch an Klienten mit zweifelhafter Kreditwürdigkeit. Als die Immobilenpreise zu fallen begannen und immer mehr der so genannten Subprime-Kunden ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen konnten, rutschten eine Reihe von US-Hypothekenbanken in eine bedrohliche Schieflage oder sogar in die Pleite. Inzwischen hat die Subprime-Krise zahlreiche weitere Märkte rund um den Globus angesteckt und zu einer Vertrauenskrise im Finanzsystem geführt.
Am Freitag musste die britische Notenbank den drittgrößten Baufinanzierer des Landes Northern Rock mit einem Notfallkredit stützen. Das Institut war in Schwierigkeiten geraten, weil die Banken untereinander mittlerweile so misstrauisch sind, dass sie sich gegenseitig kaum noch Geld leihen. Dadurch sind die Geldmarktzinsen in Großbritannien auf den höchsten Stand seit fast zehn Jahren gestiegen. Mittlerweile geben die ersten Institute ihre deutlich höheren Refinanzierungskosten an ihre Kreditkunden weiter, dadurch wird eine Krise auf dem Immobilenmarkt noch wahrscheinlicher.
Um 156 Prozent sind die Häuserpreise in Großbritannien seit dem Amtsantritt der Labour-Regierung vor zehn Jahren gestiegen. Das Durchschnittseinkommen der Briten stieg in der gleichen Zeit nur um 35 Prozent. Doch diese krasse Diskrepanz hat sie nicht davon abgehalten, weiter Häuser zu kaufen. Folgerichtig schnellte die Verschuldung in die Höhe. Entsprach die private Schuldenlast vor zehn Jahren noch gut der Hälfte des Bruttoinlandsprodukts, so hat sie 2006 nach Angaben der Bank von England mit umgerechnet 1,35 Bill. Pfund erstmals das Bruttoinlandsprodukt überstiegen. Nach Zahlen der Hypothekenbanken-Organisation Council of Mortgage Lenders (CML) addieren sich die 11,7 Mill. Hypothekenverträge der Briten auf eine Kreditsumme von 1,1 Bill. Pfund.
In der langen Phase relativ niedriger Zinsen verursachte das kaum Probleme, doch wachsender Inflationsdruck hat die Bank von England zu einer Serie von Leitzinserhöhungen veranlasst. Die zeigen bereits Wirkung, immer mehr Schuldner können die Raten für Wohnungen und Häuser nicht mehr bezahlen. Im Vereinigten Königreich stieg die Zahl der Zwangsversteigerungen von privaten Immobilien in den ersten sechs Monaten dieses Jahres auf 14 000, das ist fast ein Drittel mehr als im Vorjahr.
Auch in den USA hatte die aktuelle Hypothekenkrise mit einem Anstieg der Zwangsversteigerungsverfahren begonnen. In einem Researchbericht mit dem Titel „der kommende Sturm“, warnt Volkswirt Myles Bradshaw vom Vermögensverwalter Pimco vor den Folgen einer Immobilienkrise für die britische Konjunktur. Weil die Banken mit höheren Refinanzierungskosten zu kämpfen hätten und es die weltweite Finanzkrise gleichzeitig schwerer mache, Kreditrisiken an den Kapitalmarkt weiter zu reichen, würden die Kosten der britischen Immobilienbesitzer für den Schuldendienst schon bald in die Nähe der Rekorde aus den neunziger Jahren klettern. Bradshaw fürchtet deshalb, dass die derzeit noch boomende britische Wirtschaft sich schon bald empfindlich abkühlen wird.
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
Northern Rock: Sturm auf die Konten
Unter den Kunden der britischen Bank Northern Rock wächst die Panik. Nachdem das Institut aufgrund der US-Immobilienkrise in Schieflage geraten war und die Bank of England einspringen musste, sollen besorgte Kunden am Freitag eine Millarde Pfund abgehoben haben. Und auch am Samstag bildeten sich lange Schlangen vor den Filialen.

Northern Rock: Auch am Samstag bilden sich wieder lange Schlangen.
HB LONDON. In Großbritannien ist die Sorge gewachsen, dass sich unter weiteren Kunden der von der Kreditkrise betroffenen Bank Northern Rock Panik ausbreitet und sie ihre Einlagen abziehen. Einem Bericht der „Financial Times“ zufolge haben die Kunden am Freitag bereits eine Milliarde Pfund (1,5 Mrd. Euro) abgehoben, was etwa vier Prozent der Einlagen enspreche. Auch am Samstag haben sich vor den Filialen des Geldhauses lange Schlangen gebildet. Northern Rock ist die erste britische Bank, die infolge der Krise am US-Hypothekenmarkt in Bedrängnis geraten ist. Da die Bank am Finanzmarkt nicht ausreichend Mittel bekam, musste die Bank of England erstmals seit Jahrzehnten mit einem Notfall-Kredit einspringen.
Wegen einer vergleichsweise geringen Höhe an Kundeneinlagen ist die Bank auf Mittel angewiesen, die sich Institute untereinander am Geldmarkt leihen. Dort sind die Zinsen in den vergangenen Wochen aber auf das höchste Niveau seit neun Jahren gestiegen, da die Banken wegen der allgemeinen Unsicherheit nur noch zögerlich Geld verleihen. Dies trieb die Finanzierungskosten für Northern Rock – dem britischen Marktführer bei neuen Hypotheken – enorm in die Höhe und führte letztlich zu dem Engpass.
Finanzminister Alistair Darling und die Aufsichtsbehörden versuchten am Freitag nervöse Anleger und Sparer zu beruhigen und versicherten, das britische Bankensystem insgesamt sei gesund. Dennoch bildeten sich am Samstag wieder Schlangen vor den Northern-Rock-Filialen im ganzen Land.
Zur Verunsicherung der Anleger hatte wohl auch das Medienecho gesorgt. „Sturm auf die Bank“, „Panik auf der High Street“ und „Wie sicher ist unser Geld?“ lauteten einige Schlagzeilen. Viele Leute in den Schlangen vor den Bankschaltern sagten, sie wüssten schon, dass ihr Geld sicher sei, sie wollten aber ganz sicher gehen.
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
Das Misstrauen bleibt
Zum Schluss ist Mervyn King doch eingeknickt. Am Freitag rettete der Gouverneur der Bank of England mit einem Notfallkredit den strauchelnden Baufinanzierer Northern Rock. Noch wenige Tage zuvor hatte King ziemlich unmissverständlich klargemacht, dass die Finanzbranche bei der Bewältigung der großen Kreditkrise besser nicht auf seine Hilfe bauen sollte. Könnten sich die Banken darauf verlasen, dass die Währungshüter im Notfall als Retter bereit stünden, würden sie nur noch höhere Risiken eingehen und damit die Saat für die nächste noch größere Krise legen.
Gemessen an diesen hehren und richtigen Grundsätzen hätte King Northern Rock in die Pleite rutschen lassen müssen, denn der Baufinanzierer der zu den größten in Großbritannien zählt, arbeitet nach einem aggressiveren Geschäftsmodell als die meisten seiner Konkurrenten. Da wäre es doch nur korrekt, wenn Northern Rock auch die Zeche dafür bezahlen müsste, oder? Zum Glück hat sich King aber im richtigen Moment von seinen Grundsätzen verabschiedet. Spätestens die langen Schlangen verängstigter Kunden vor den Northern-Rock-Filialen beweisen, wie nahe der Bankenmarkt vor einer Panik steht. Aber nicht nur die Sparer haben Angst. Das Misstrauen der Institute untereinander ist angesichts der weltweiten Kreditkrise groß, dass sie sich kaum noch gegenseitig Geld leihen. In dieser angespannten Situation, kann jeder größere Schock das System zum Bersten bringen.
Der Beinahe-Kollaps von Northern Rock, zeigt, dass die Liquditätskrise am Bankenmarkt noch lange nicht vorbei ist, und dass Größe allein kein Schutz ist. Das Misstrauen der Banken untereinander wird anhalten, genauso wie der Argwohn der Investoren gegenüber der gesamten Finanzbranche und das gilt weit über die britischen Grenzen hinaus. Das gilt übrigens auch für den größten Übernahmekampf der Finanzgeschichte. Angesichts des neuen Schocks wird es immer unwahrscheinlicher, dass die erbitterten Konkurrenten Barclays und Royal Bank of Scotland an ihrem verwegenen Plan festhalten, den niederländischen Konkurrenten ABN Amro für bis zu 70 Mrd. Euro zu kaufen Das mag vor drei Monaten noch nach einem vernünftigen Vorhaben ausgesehen haben, heute wirkt der Übernahmekampf wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
Angst vor einer Kettenredaktion
Nach den Anleihebesitzern hat die Krise auf dem US-Immobilienmarkt auch die Aktionäre erfasst. Experten führen die jüngsten Abschwünge beim Deutschen Aktienindex nicht zuletzt auf die Subprime-Krise zurück. Gleichzeitig verliert der US-Dollar gegenüber dem Euro weiter.
Ob die Unsicherheit weiter anhält, lässt sich noch nicht absehen. Die meisten Aktienstrategen sind nach wie vor positiv gestimmt. Dennoch sehen einige Fachleute die Gefahr einer Kettenreaktion.

_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _



|