Machtmissbrauch und Lügen? Der Fortis-Verkauf war möglicherweise unrechtmäßigDie bisher für ihr Verhalten in der Bankenkrise hochgelobte belgische Regierung muss sich auf harte Zeiten gefasst machen. Sie wird wegen des Verkaufs der Fortis-Bank mit Anschuldigungen und Klagen überschüttet. Nach Auffassung der Fortis-Kleinaktionäre, denen sich die mächtige chinesische Versicherungsgruppe Ping An angeschlossen hat, verkaufte sie widerrechtlich die belgischen „Kronjuwelen“ des belgisch-niederländischen Bank- und Versicherungskonzerns, als ihm der Zusammenbruch drohte. Die belgische Regierung hat jedenfalls die Fortis-Aktionäre nicht mitentscheiden lassen, ob sie einem Verkauf des Unternehmens oder Teilen davon an die Niederlande zustimmten. Sie verzichtete darauf, international nach zahlungswilligen Käufern zu suchen. Sie holte auch keine Bestätigung der EU-Kommission ein, dass ein weiterer Verkauf an die BNP Paribas mit den Wettbewerbsregeln übereinstimmte. Nach Aussage von Premierminister Yves Leterme war in den entscheidenden Wochenendstunden „im Büro der Kommission“ niemand zu erreichen. "Leterme lügt“, sagt dazu die zuständige EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes ganz undiplomatisch. Ein Bombengeschäft, oder? Vor einem Jahr stand die Fortis-Aktie bei 19 Euro, jetzt ist ihr Wert bei 84 Cents (Mittwoch) angekommen. Ende September pumpten Belgien, die Niederlande und Luxemburg noch 11 Milliarden Euro in die Fortis-Kassen. Wenige Tage später kaufte die niederländische Regierung die belgischen Fortis-Anteile samt ABN Amro für 17 Milliarden. Ein Bombengeschäft, oder? Er habe die Spareinlagen retten wollen, ließ sich Leterme vernehmen. Aber er dachte dabei nicht an die Rechte der Aktionäre, unter ihnen viele Kleinanleger. Die wandten sich an den auf Aktienrecht spezialisierten Anwalt Mischaël Modrikamen oder an die Aktionärsvereinigung Deminor, die vor dem Brüsseler Handelsgericht gegen das Verkaufsverfahren juristisch zu Felde zogen und recht bald auch den zuständigen Staatsanwalt an ihrer Seite wussten. Das Fortis-Management habe sich nicht an die Gesetze gehalten; der Verkaufspreis sei möglicherweise zu niedrig gewesen; es habe nach den Finanzspritzen keine unmittelbare Gefahr mehr für eine Fortis-Pleite gegeben; eine außerordentliche Aktionärsversammlung wäre zwingend notwendig gewesen. Die Plädoyers der Anwälte von föderaler Regierung, Fortis und ABN Amro folgten dieser Argumentation verständlicherweise nicht. Madame vertuscht nicht Inzwischen wurde auch bekannt, dass die Frau des belgischen Außenministers, Mireille Schreurs, am 3. Oktober das Fortis-Aktienpaket der Familie verkauft hat, drei Stunden bevor der Kurs dieser Wertpapiere in den Abgrund rauschte. War es Insiderhandel, weil der Außenminister über die unmittelbar bevorstehende Veräußerung wichtigster Unternehmensteile an die Niederlande unterrichtet war und seiner Frau den entscheidenden Tipp gab? Karel de Gucht bestreitet das vehement, zuletzt im Ausschuss für Bank-, Finanz- und Versicherungswesen. Seine Frau behauptet, sie hätte den Verkauf über ihre übliche Bank abgewickelt und nicht etwa auf dem Umweg über Luxemburg, womit bewiesen sei, dass sie nicht auf eine Vertuschung des Vorgangs spekuliert habe. Allerdings will man den Außenminister in den fraglichen Stunden mit dem Zweigstellenleiter gesehen haben, was De Gucht ebenfalls von sich weist. Vor einem Jahr stand die Fortis-Aktie bei 19 Euro, jetzt ist ihr Wert bei 84 Cents angekommen. Das Brüsseler Handelsgericht will am kommenden Dienstag (20.11.) verkünden, ob ein Insolvenzverwalter eingesetzt wird und ob eine Aktionärs-Hauptversammlung am 2. Dezember die Verkäufe beschließen muss oder nicht. Leterme warnte bereits die klagenden Aktionäre, nicht zu weit zu gehen, sonst würden sie alles verlieren. Ob die sich von solchen Einreden überzeugen lassen, nachdem sie ohnehin schon 95 Prozent des Fortis-Wertes in ihren Portefeuilles abgeschrieben haben? Prominente belgische Juristen stänkern jedenfalls gegen den Premierminister: Yves Leterme wolle Gerichtsentscheidungen beeinflussen oder besser noch, verhindern. Der niedrige Preis der Fortis-Aktien könnte Interessenten jedenfalls dazu verleiten, jetzt konzertiert viel billiges Material zu kaufen und dann die Kleinaktionäre und ihre Klagen lässig zu überstimmen. In den am 01. und 2. Dezember abgehaltenen Hauptversammlungen in Utrecht (NL) und Brüssel (BE) haben die kleinen Aktionäre der Fortis Holding die Kandidaten -unter ihnen Etienne Davignon- für den neuen Verwaltungsrat der Bankengruppe abgelehnt. Die Europäische Kommission hat hingegen ein Rettungspaket für die Fortis Bank und die Fortis Bank Luxemburg genehmigt. "Der Zusammenbruch von Fortis hätte bedenkliche Folgen für die Wirtschaftssysteme mehrerer Mitgliedstaaten mit sich gebracht", sagte EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes am Mittwoch. Die Übernahme von Fortis durch BNP Paribas sei hingegen nur mit Auflagen möglich. Im Detail etwa müsse BNP Paribas im Gegenzug sein belgisches Verbraucherkreditgeschäft (Kreditkartentochter PFB) verkaufen. |