Spiel auf ZeitLotto. Mit einem neuen Staatsvertrag kämpfen die Bundesländer um ihre Pfründe aus Lotto, Toto & Co. – und bringen die Spieler um bessere Quoten. Kopfschütteln, Befremden, Empörung: Polen, Tschechen und Holländer wollen „unseren Jackpot klauen“, schäumt die deutsche Boulevardpresse, als das Lottofieber im Dezember den Höhepunkt erreicht. Zahlreiche Spieler reisen aus den Nachbarländern an, über das Internet versuchten sogar Lotto-Verrückte aus Ekuador und Thailand die Rekordsumme von 45 Millionen Euro zu ergattern. Am Ende teilen sich dann doch drei hiesige Gewinner die Millionen.
Die Konkurrenz durch den Jackpot-bedingten Grenzverkehr ist allerdings noch das geringste Problem für deutsche Spieler – denn die gesamte Lotterie-Szene hierzulande ist in Aufruhr, einige Anbieter rufen gar das Ende der Mega-Jackpots aus. Grund ist der seit Jahresanfang geltende Staatsvertrag, der das Glücksspiel einschränkt: Werbung im Fernsehen ist nun verboten, Zocken im Internet ebenso. Offiziell soll so die Spielsucht bekämpft werden, doch vor allem versucht der Staat, sein Milliarden-Monopol zu retten. Selbst Banken und Internet-Provider sollen bei der Durchsetzung helfen. Private Anbieter fürchten um ihre Existenz und wollen den Vertrag mit einer Klagewelle kippen.
Das Chaos könnte nicht größer sein. Dabei sollte das neue Gesetz den unübersichtlichen Glücksspielmarkt endlich klar regeln. Im März 2006 hatte das Bundesverfassungsgericht das staatliche Glücksspielmonopol gekippt und zwei Alternativen aufgezeigt: entweder eine regulierte Marktöffnung – oder die Fortführung des Monopols unter der Bedingung, dass die Spielsucht effektiver bekämpft wird. Die Bundesländer entschieden sich für den zweiten Weg, schließlich können sie nur so ihre Pfründe retten; allein 2006 verzockten die Spieler 7,9 Milliarden Euro bei Lotto, der Sportwette Oddset und anderen staatlichen Glücksspielen. Mehr als 3,2 Milliarden flossen davon in die Kassen der Bundesländer.
Doch in den vergangenen Jahren machten private Konkurrenten dem staatlichen Lottoblock das Geschäft schwerer. Anbieter von Sportwetten eroberten mehr als zehn Prozent des Marktes, denn Unternehmen wie Bwin bieten mehr Wetten und attraktivere Quoten als die staatliche Oddset. Die Privaten schütten etwa 90 Prozent der Einsätze wieder aus, Oddset nur etwas mehr als die Hälfte. Dazu kommen Faber, Tipp24 oder Fluxx, bei denen man gegen Provision auf die staatlichen Lottoziehungen setzen kann. Das ist im Internet bequemer, teilweise günstiger – und durch Tippgemeinschaften wie bei Faber steigen die Gewinnchancen. Etwa jeder fünfte Tipp wird schon von Privaten vermittelt.
Der Staat konterte mit einer Werbekampagne für Oddset – und neuen Angeboten, wie der täglichen Lotterie Keno. Statt den Spieltrieb zu begrenzen, heizte der Staat ihn so noch an, rügten die Karlsruher Richter. Nun soll also der Staatsvertrag die Spielsucht begrenzen und die staatlichen Einnahmen sichern. Die Umsetzung war höchst umstritten – erst in den letzten Sitzungen vor Weihnachten wurde das Gesetz in allen Landtagen durchgepeitscht.
Nun ist das Tohuwabohu programmiert, die Auswirkungen sind so vorhersagbar, wie der Ausgang der nächsten Lottoziehung. Die privaten Anbieter wollen gegen die Verbote vor Gericht ziehen. „Es geht um meine Existenz“, sagt Norman Faber. Der Unternehmer, der seit fast 30 Jahren Lottoscheine vermittelt, sieht sein Lebenswerk in Gefahr. 500 Mitarbeiter hat Faber Lotto, mit den Tippgemeinschaften macht das Unternehmen mehrere Hundert Millionen Euro Umsatz im Jahr. Der Staatsvertrag entziehe seiner Branche nun die Grundlage.
Vor allem zwei Regelungen machen den Privaten zu schaffen. Zum einen untersagt der Vertrag Werbung für Glücksspiele in TV, Internet und per Telefon. „Das kommt einem Verbot meiner Geschäftstätigkeit gleich“, sagt Faber, „denn wer nicht wirbt, stirbt.“ Zum anderen heißt es in Paragraf 4 Absatz 4: „Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten.“ Ab 2009, nach einer Übergangsfrist, müssten Online-Anbieter wie Tipp24 oder Fluxx endgültig ihre Internet-Seiten schließen.
Nimmt man das Gesetz wörtlich, müsste Bwin gar sofort seine Sportwetten vom Netz nehmen. Doch so einfach ist es nicht. „Wir besitzen eine gültige Lizenz, die man nicht abschaffen kann“, sagt Jörg Wacker, Deutschland-Chef von Bwin.
Hier zeigt sich die Komplexität des Glücksspielrechts. Mit zahlreichen Klagen versuchen mehrere Länder Bwin vom deutschen Markt zu drängen. Je nach Gericht und Bundesland ist sein Angebot mal erlaubt, mal illegal. Die neueste skurrile Wendung vollführte das Oberverwaltungsgericht Bautzen: Ende Dezember entschieden die sächsischen Richter, dass die in den letzten Tagen der DDR bewilligte Lizenz weiter gültig sei – aber nur in den neuen Bundesländern. Bwin muss nun die Mauer virtuell wieder aufbauen und prüft, wie die Vorgabe umgesetzt werden kann. Denkbar ist eine Abfrage des Aufenthaltsortes. Für Spieler in Hessen oder Bayern sollte die Firma schon früher den Zugang sperren, dann entschieden Gerichte, dass dies technisch gar nicht möglich sei.
Laut Staatsvertrag können nun Internet-Anbieter wie T-Online oder Arcor verpflichtet werden, den Zugang zu Glücksspielseiten zu verhindern.
„Die Internet-Service-Provider sollen jetzt die Hilfssheriffs spielen“, schimpft Michael Rotert, Vorsitzender des Verbands der deutschen Internetwirtschaft. Eine Abschottung sei aber schwierig, „wir können entweder zu viel filtern, oder es bleibt wirkungslos“. Unklar ist, wer für Schadensersatzforderungen der Glücksspielanbieter aufkommt, sollten sich Sperren nachträglich als unrechtmäßig erweisen.
Vor ähnlichen Schwierigkeiten stehen die Banken. Sie sollen auf Verlangen der Glücksspielaufsicht Zahlungen an und von unerlaubten Anbietern unterbinden. „Diese Regelung stellt die Kreditinstitute vor erhebliche Umsetzungsschwierigkeiten“, schreibt der Zentrale Kreditausschuss in einer Stellungnahme an den Niedersächsischen Landtag, die der WirtschaftsWoche vorliegt. Bei 14 Milliarden Zahlungsvorgängen innerhalb Deutschlands gebe es „praktisch keine Möglichkeit, einzelne Zahlungsvorgänge in der geforderten Weise zu überprüfen“. Zudem versteht kaum jemand, welche Angebote illegal sind: Was auf einem Teil der Berliner Friedrichstraße erlaubt ist, kann – wie im Fall Bwin – jenseits des Checkpoint Charlie verboten sein. Für den Kreditausschuss sind das „kaum lösbare rechtliche und praktische Probleme“. Und fordert daher, die Bestimmungen nicht umzusetzen. Die Ausführungsgesetze zum Staatsvertrag sind noch gar nicht in allen Ländern beschlossen, die Folgen sind unklar. „Das könnte der letzte Jackpot gewesen sein“, hatte Lottounternehmer Faber mehrfach erklärt. Denn schon der Hinweis auf einen Jackpot von 45 Millionen Euro sei ermunternde Werbung. Selbst Rolf Stypmann, Chef von Lotto-Niedersachsen hält die Einführung einer Obergrenze für möglich.
Die anderen staatlichen Lottoanbieter sehen in den Jackpots kein Problem, doch mit ihrer Argumentation verheddern sie sich in Widersprüchen: Einerseits brauche man das Monopol, um Spielsucht zu verhindern – andererseits gebe es gar keine Lottosüchtigen. So sagt Jochen Rotermund, Prokurist der Westdeutschen Lotterie: „Das Spiel würde an Aufmerksamkeit verlieren, wenn man die Jackpots nicht hätte.“ Suchtgefahr bestehe nicht, wie man an den rückläufigen Spielerzahlen nach dem Jackpotgewinn sehe. Und: „Vom normalen Lotto wird man nicht süchtig.“
Widersprüche auch bei den Lottoannahmestellen: Laut Staatsvertrag sollen sie reduziert werden, doch nur Berlin und Thüringen planen Einschränkungen. Hans-Peter Schössler, Geschäftsführer von Lotto Rheinland-Pfalz, verweist darauf, dass schon Annahmestellen geschlossen wurden – „eine weitere Reduzierung ist nicht vorgesehen, da durch den persönlichen Kontakt in den Verkaufsstellen am besten Spielsucht vorgebeugt werden kann“.
Für Suchtexperten ist ohnehin klar, dass Lotto kaum Gefahren birgt. Spiele sind umso gefährlicher, je schneller Einsatz und Verlust aufeinander folgen oder je mehr die Zocker glauben, sie könnten den Zufall durch Können überlisten. Wer die tägliche Lotterie Keno spielt oder bei Oddset tippt, benötigt jetzt eine Kundenkarte. Gefährdete Spieler können so gesperrt werden.
Sonst bleibt beim Lotto zunächst fast alles beim Alten, die Kugeln werden am Samstag vor der „Tagesschau“ rollen. Spieler, die im Internet tippen, bekommen die verschärften Regeln deutlicher zu spüren. So informierte Fluxx kürzlich, dass Oddset und Keno ab Januar nicht mehr angeboten werden dürfen. Zudem haben die privaten Portale für Neukunden Alterskontrollen eingeführt. Beim größten deutschen Online-Lotto-Anbieter Tipp24 werden neue Spieler zuerst von der Kreditauskunft Schufa durchleuchtet. Dann müssen sie nachweisen, dass sie wirklich volljährig sind – und dazu ihren Ausweis bei der nächsten Post-Filiale vorlegen.
Auch die privaten Anbieter selbst sind durch den Staatsvertrag mit einer Regelungswut der Behörden konfrontiert. In jedem Bundesland müssen sie sich einem eigenen, teils abstrusen Genehmigungsverfahren unterwerfen. So wurde Tipp24-Chef Jens Schumann aufgefordert, für alle 150 Mitarbeiter polizeiliche Führungszeugnisse einzureichen. Damit solle er belegen, dass Tipp24 keine dubiose Zocker-Klitsche sei. Dass sein Unternehmen seit acht Jahren am Markt ist und mehr als zwei Millionen Kunden zählt, interessierte wenig. „Das grenzt schon an Schikane, ich wundere mich nur, dass ich noch keinen Blut-Test einreichen musste“, sagt Schumann. „Der Staatsvertrag ist so offensichtlich rechtswidrig, dass wir fest von einem Scheitern auf EU-Ebene ausgehen.“ Notfalls will Schumann klagen.
Auch die privaten Fernsehsender fürchten Werbeeinbußen in zweistelliger Millionenhöhe und prüfen rechtliche Schritte. „Der Vertrag wird nur von kurzer Dauer sein“, sagt Wulf Hambach, dessen Anwaltskanzlei auf Glücksspielrecht spezialisiert ist. „Das Rudel wird sich darauf stürzen, wie auf ein angeschossenes Tier.“ Allein die Kanzlei Hambach & Hambach vertritt derzeit in 50 Fällen internationale Glücksspielanbieter, wie die britische Sportingbet.
Mehrere Verfahren wurden wegen der unklaren Rechtslage bereits an den Europäischen Gerichtshof verwiesen. Die Luxemburger Richter müssen letztlich darüber entscheiden, ob die deutschen Gesetze mit europäischem Recht vereinbar sind. EU-Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy zweifelte schon früher daran und kündigte ein Vertragsverletzungsverfahren an.
Der Staatsvertrag soll vier Jahre gelten. Wenn die Länder ihr Monopol tatsächlich so lange erhalten könnten, wäre das für sie schon ein Erfolg. Den schätzungsweise 150.000 bis 300.000 Spielsüchtigen hilft der Vertrag dagegen kaum. Die zocken nämlich vor allem in Casinos und Spielhallen – doch dafür gelten wieder andere Gesetze.[07.01.2008] oliver.voss@wiwo.de, henryk hielscher Quelle: Aus der WirtschaftsWoche 1|2/2008. üproximic_content_offý ----------- Gruss Moya |