Süddeutsche Zeitung vom 2.4.:
Welle der Unterdrückung wegen Olympia
Die Situation der Menschenrechte hat sich in China weiter verschlechtert. Die Regierung mache verstärkt Kritiker mundtot, schlage oder foltere sie, kritisiert die Organisation Amnesty International. Und das nicht trotz, sondern wegen der Olympischen Spiele. Von Martin Kotynek
Vier Monate vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Peking hat sich die Situation der Menschenrechte in China verschlechtert. "Die Olympischen Spiele haben als Motor für die Reformen versagt", kritisiert die Organisation Amnesty International (AI). Die chinesische Regierung habe ihr Versprechen, die Situation der Menschenrechte zu verbessern, nicht gehalten, sagt Barbara Lochbihler, die Generalsekretärin der deutschen Sektion von AI. Die Lage habe sich sogar eher verschlechtert als verbessert, sagt Lochbihler.
Nicht trotz, sondern gerade wegen der Olympischen Spiele gehe derzeit "eine Welle der Unterdrückung durch China", schreibt AI in einem Bericht zur Lage der Menschenrechte, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. "Zur Zeit werden verstärkt Menschenrechtsaktivisten in und um Peking mundtot gemacht, in Tibet regieren Gewaltmissbrauch, mutmaßliche Folter und strikte Medienblockade", kritisiert Lochbihler, die die Menschenrechtsbilanz Chinas als "beschämend" bezeichnet.
Die Organisation fordert Politiker und das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf, ihre Beunruhigung auszudrücken. Es sei "höchste Zeit, dass das IOC und die Regierungen dieser Welt, aber auch Sponsoren wie Adidas und Volkswagen, ihren Einfluss geltend machen und öffentlich einen Wandel fordern", sagte Lochbihler bei der Veröffentlichung des Berichts in Berlin.
Lage zu intransparent, um Zahlen nennen zu können Seit vergangenem August habe sich "die Razzia gegen Menschenrechtsaktivisten"verstärkt, wie amnesty schreibt. Besonders jene, die öffentlich eine Verbindung zwischen Verletzungen der Menschenrechte und Chinas Rolle als Gastland der Olympischen Spiele herstellten, hätten mit der härtesten Behandlung zu rechnen. Der politischen Führung gehe es vor allem darum, das Land vor dem Sportereignis als "stabil und einträchtig“ erscheinen zu lassen. Menschen würden verhaftet, weil sie versucht hätten, internationale Aufmerksamkeit auf die Verletzungen der Menschenrechte zu ziehen. Viele von ihnen seien gefoltert oder geschlagen worden.
Die Organisation nennt in dem Bericht keine Zahlen, wie viele Menschen von der Verfolgung durch die chinesische Regierung betroffen sind. Die Lage sei zu intransparent, um Zahlen nennen zu können, sagte die Asien-Referentin von AI, Verena Harpe zu sueddeutsche.de. Die Organisation stütze ihre Aussage auf eine Analyse der amerikanischen Dui Hua Stiftung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Listen mit Namen von chinesischen Gefangenen zu erstellen und auf deren Freilassung zu dringen.
Darin heißt es, dass die Zahl der Gerichtsprozesse wegen "Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen" und "Anstiftung zum Aufruhr" im Jahr 2006 um knapp 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr angestiegen sei und im vergangenen Jahr die bisher meisten Verhaftungen aus Gründen der Staatssicherheit zu verzeichnen gewesen seien. Regierungsangaben zufolge hätten im Jahr 2007 742 solcher Verhaftungen stattgefunden, im Jahr 2006 waren es 344 Fälle. Auch Amnesty International seien zuletzt vermehrt Verhaftungen aus Gründen der Staatssicherheit gemeldet worden, sagt Verena Harpe.
In dem Bericht stellt Amnesty die Fälle von 22 Chinesen dar, die wegen ihres Engagements für die Menschenrechte verhört, verhaftet, verurteilt, geschlagen oder gefoltert wurden. |