In der Essener Konzernzentrale der Chemiefirma Evonik herrscht emsige Geschäftigkeit - schließlich könnte das wichtigste Ereignis in der Unternehmengeschichte bevorstehen: der Börsengang. Nicht nur für die Firma selbst wäre das eine einschneidende Veränderung. Es könnte für Deutschland der größte Börsengang seit der Deutschen Post vor zwölf Jahren werden. Dem 33.000-Mann-Unternehmen wird sogar zugetraut, im Dax das Erbe des Metro-Konzerns anzutreten. Was ist das für ein Unternehmen, das sich da anschickt, in die Spitzengruppe der deutschen Börsenelite aufzurücken? Wird seine Aktie für Privatanleger interessant? Und wie sicher ist es, dass aus der ganzen Sache etwas wird? Entstanden durch einen politischen VorgangUm das zu beurteilen, muss man sich mit den Besonderheiten dieses Unternehmens auseinandersetzen. Evonik ist heute ein großer Anbieter von Spezialchemie. Das Unternehmen liefert nicht die schlichten Grundstoffe der chemischen Industrie, sondern hat sich auf hochwertige High-Tech-Materialien spezialisiert. Dazu gehören Aminosäuren für die Produktion von Tierfutter, die Mäntel für Tabletten, das Material, aus dem Windräder hergestellt werden, und sogenannte Superabsorber für Babywindeln, die das 500-Fache des eigenen Gewichts an Feuchtigkeit aufnehmen können. Entstanden ist das ganze Unternehmen durch einen politischen Vorgang - und das bestimmt die Besonderheiten dieses Börsengangs. Hinter Evonik steht die Geschichte des deutschen Steinkohlebergbaus - obwohl das Unternehmen selbst ja etwas anderes macht. Die Politik in Deutschland stand seit den Tagen der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger in den 60er Jahren vor der Frage, wie sie mit den Zechen im Ruhrgebiet umgehen will. Deutsche Steinkohle ist schlicht zu teuer. Einem Förderpreis in Deutschland von 160 Euro je Tonne stand zeitweise ein Weltmarktpreis von 85 Euro je Tonne gegenüber. Deshalb wird die Kohle subventioniert. Zugleich wird die Zahl der Zechen heruntergefahren. Die letzte soll - Stand heute - Ende 2018 geschlossen werden. Doch auch wenn die letzte Grube aufgegeben ist, muss dort auf nicht absehbare Zeit Wasser abgepumpt werden. Außerdem muss das Grundwasser gereinigt werden. Und nicht zuletzt sind sogenannte Dauerbergschäden entstanden, die noch lange Kosten verursachen. All diese sogenannten „Ewigkeitslasten“ des Bergbaus soll eine Institution abdecken, die RAG-Stiftung heißt. Sie wurde 2007 gegründet und ist Eigentümerin des RAG-Konzerns (früher: Ruhrkohle AG). Zu diesem Konzern gehören nicht nur alle verbliebenen Steinkohlezechen in Deutschland: drei im Ruhrgebiet, eine in Ibbenbüren bei Osnabrück und eine im Saarland. Der Konzern hielt auch eine Beteiligung an der Ruhrgas AG, einem Energieversorger, der einst von Ruhrgebietszechen gegründet wurde und zum größten Erdgasimporteur Deutschlands aufstieg. Den Rest trägt der SteuerzahlerDieses wertvolle Pfand tauschte die RAG im Jahr 2002 beim Energieversorger Eon gegen ein anderes Unternehmen ein: die Degussa, eines der größten deutschen Chemieunternehmen. Aus Degussa und den „weißen“ Teilen der Ruhrkohle AG (alles außer Steinkohleabbau) wurde unter der Regie des früheren Wirtschaftsministers Werner Müller ein neues Unternehmen geschmiedet. Man gab ihm den Namen „Evonik“ - von lateinisch „Evo“ (“Stamm“ oder „Keim“) und „evolvere“ (“sich entwickeln“). Seither ist die Kohle-Stiftung damit beschäftigt, Evonik als Unternehmen weiterzuentwickeln - um dann Anteile zu verkaufen. So soll ein Kapitalstock aufgebaut werden, aus dessen Zinsen möglichst viel von den „Ewigkeitslasten“ bestritten werden kann. Den Rest wird die öffentliche Hand tragen müssen - also der Steuerzahler. Ein Teil von Evonik (25 Prozent plus eine Aktie) wurde bereits an einen Finanzinvestor namens CVC verkauft. So dass beide Eigentümer sich jetzt über die Modalitäten des Börsengangs verständigen müssen. Geplant ist, dass am 10. Juni das Kuratorium der Stiftung zusammenkommt, um noch mal über den Börsengang zu reden. Zu dem Gremium gehören neben dem früheren Eon-Chef Ulrich Hartmann unter anderen Wirtschaftsminister Philipp Rösler, Finanzminister Wolfgang Schäuble, die Ministerpräsidentinnen von Saarland und Nordrhein-Westfalen sowie der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis. Ein buntes Team also. Börsengang am 25. JuniStiftungsvorstand Wilhelm Bonse-Geuking soll auf dieser Sitzung mehrere Szenarien präsentieren - und ihre Auswirkungen für die Finanzierung der „Ewigkeitslasten“. Dazu gehören ein kleiner Börsengang, bei dem zehn Prozent der Anteile verkauft werden. Ein großer Börsengang mit 30 Prozent. Und nicht zuletzt die Möglichkeit, den Börsengang zu verschieben, wie man es schon zweimal gemacht hat. Sollte die Sitzung für den Börsengang gut ausgehen, könnte bereits am Tag danach der Börsenprospekt erscheinen - und am 25. Juni der Börsengang stattfinden. Wenn - ja wenn - alle Beteiligten dabeibleiben. Durch die Geschichte des Unternehmens gibt es nämlich ganz unterschiedliche Kräfte und Interessen in diesem Spiel, die es allesamt zu berücksichtigen gilt. Die Konsortialbanken, Goldman Sachs und Deutsche Bank, streben offenbar einen möglichst großen Börsengang an. Schließlich verdienen sie daran am meisten. Und sie haben das Argument auf ihrer Seite, institutionelle Anleger seien nur dann interessiert, wenn es genug handelbare Aktien gibt - damit sie später mal ein größeres Paket verkaufen können, ohne dass der Kurs in den Keller rauscht. Die Stiftung hingegen hat erklärt, die Kapitalmärkte „genau im Auge behalten“ zu wollen. Ihr Job ist es, nicht zu wenig einzunehmen, um die „Ewigkeitslasten“ zu decken. Stiftungsvorstand Bonse-Geuking hat die Zielmarke vorgegeben, mindestens 15 Milliarden Euro müsste Evonik einbringen. Je nach Börsenentwicklung könnte das schwierig werden. Außerdem fällt mitten in die Zeichnungsfrist die Wahl in Griechenland: Das könnte zu erheblichen Schwankungen an den Märkten führen. Ähnlich denkt wohl die Gewerkschaft. „Umsatz, Gewinn und Rendite stimmen“Das Management hingegen dürfte sich vom Börsengang eine gewisse Befreiung von der politisch dominierten Stiftung versprechen. Außerdem könnten die Manager beim Börsengang von einem Aktien-Zuteilungsprogramm profitieren. Die Politiker wiederum dürften abwägen, ob für sie der Erfolg, den Börsengang jetzt über die Bühne zu bringen, mehr zählt als mögliche Schwierigkeiten in der Zukunft - falls zu wenig Geld zusammenkommt. Sie sollen die Steuerzahlerinteressen vertreten: Das könnte heißen, den Börsengang zu verschieben, wenn die Märkte ein unvertretbares Risiko darstellen. Ob der Börsengang für die Anleger attraktiv wird, hängt vor allem vom Preis der Aktie ab, sagt Bernd Hartmann, Leiter Investment Research der VP Bank. Aus den Vorbereitungen drang allerdings nach außen, dass Evonik Privatanleger eher am Rande bedienen will - und institutionelle Investoren die vorrangige Zielgruppe darstellen. Grundsätzlich äußern sich Analysten jedoch positiv zu der Branche und dem Unternehmen: „Umsatz, Gewinn und Rendite stimmen.“ Quelle: F.A.S. |