Danke, Angela!
Wachstum dank Wahlchaos: Wie Österreicher und Schweizer um deutsche Investoren werben
OLIVER STOCK, WIEN/ZÜRICH
HANDELSBLATT, 30.9.2005
Das Ding provoziert. Ein schwarzer Balken, darauf in Weiß die Frage: „. . . und jetzt?“ Am Ende, klein gedruckt, steht auf der Anzeige, die in der vergangenen Woche in vielen deutschen Zeitungen erschien, noch die Internetadresse der Tiroler Zukunftsstiftung. Darüber prangt eine freche rote Fahne, in der, damit es sich jeder einprägt, das Wort Tirol noch mal wiederholt wird, diesmal leicht geschwungen, wie zu einem spöttischen Grinsen.
Die Tiroler Zukunftsstiftung organisiert die Wirtschaftsförderung für das österreichische Bundesland. Auf Messen habe er, sagt Geschäftsführer Harald Gohm, schon lange den Frust deutscher Unternehmer gespürt.
Er lächelt. Dann kam die Neuwahlankündigung des Kanzlers, dann die Bundestagswahl mit einem Ergebnis, das alles offen ließ.
In dieses Vakuum, beschlossen Gohm und Kollegen an ihren Holztischen in Innsbruck, gelte es, gezielt vorzustoßen: daher die kecken Anzeigen. Seither läutet bei den Tirolern noch häufiger als sonst das Telefon, und im Display erscheint eine deutsche Nummer. 15 „sehr konkrete Fälle“ lägen zurzeit vor, so Gohm. Das Geschäft boomt.
Für Gohms Konkurrenten in der Schweiz gilt Ähnliches. Deutschlands Nachbarn nutzen das Wahlchaos in Berlin. Sie versuchen, von der Verunsicherung deutscher Unternehmer zu profitieren und ihnen Investitionen in ihren stabilen Alpenrepubliken schmackhaft zu machen.
Gut, die ganz dicken Fische sind nicht dabei. Aber das kommt auch nicht alle Tage vor. Das letzte Mal, als in Österreich so richtig die Sektkorken knallten, war im Juli. Damals gönnten sich die Ansiedlungskollegen aus Kärnten bei der Eröffnung der Infineon-Zentrale mit 2 400 neuen Jobs in Villach eine kleine Feier. Die Worte von Infineon-Chef Wolfgang Ziebart glitten an ihnen runter wie Schlagobers: In Österreich, sagte der Firmenchef, herrsche einfach die bessere „politische Stimmung“. Natürlich gebe es auch Subventionen. „Aber Förderungen bekommt man nur einmal, an dem Standort ist man für lange Zeit“, sagte der Infineon-Chef.
Im ersten Wiener Bezirk greift René Siegl selbst zum Telefonhörer, wenn es ernst wird. Als Geschäftsführer der Austrian Business Agency ist Siegl Österreichs oberster Wirtschaftsförderer. 47 deutsche Investoren konnte er im vergangenen Jahr nach Österreich locken. 2005 sollen es deutlich mehr werden.
„Was wir aus Deutschland an Signalen bekommen, lässt sich mit einem Wort zusammenfassen“, sagt Siegl: „Frustration.“ Auch Siegl hat unmittelbar nach der Wahl reagiert: Sein Ansiedlungsteam für deutsche Investoren hat er von drei auf fünf Berater verstärkt.
Anderes Land, gleiche Szene: Eidgenössisch-Technische Hochschule Zürich. Es ist der Tag fünf nach der Wahl, und sie ist das Hauptgesprächsthema jener knapp zwei Dutzend Unternehmer, die sich aus Deutschland hierher aufgemacht haben. Eingeladen hat sie die Greater Zurich Area, die im Großraum Zürich die Wirtschaftsförderung organisiert.
Ihrem Naturell entsprechend, hauen die Züricher nicht ganz so auf den Rahm wie die Kollegen in Österreich. „Was wir nicht brauchen, sind Kurzschlussreaktionen“, sagt Marion Graber von der Greater Zurich Area: „Die Schweiz ist langfristig ein interessanter Unternehmensstandort.“
Man hat so seine Erfahrungen gemacht. Unvergessen ist das Spektakel, das Joghurt-Unternehmer Theo Müller nach der Bundestagswahl im Jahr 2002 veranstaltete. Der „Müller-Milch“-Müller aus Schwaben geißelte die deutsche Steuerpolitik und verkündete seinen Umzug in die Schweiz: Mit Lebensgefährtin und zwei gemeinsamen Töchtern zog er im November 2003 an den Zürichsee. Ein halbes Jahr später leitete er jedoch seine partielle Rückkehr ein, um in seinem Imperium persönlich nach dem Rechten zu sehen.
In Schweizer Augen ist so etwas keine gute Werbung für den Standort. Stille Arbeiter wie die von Invision Software sind den Wirtschaftsförderern in Zürich da deutlich lieber. Das 100 Mitarbeiter große Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen hat sich gerade entschieden, im Gewerbegebiet von Zürich Seefeld eine Niederlassung zu eröffnen. Und siehe: Man sei zwar nicht auf der Flucht, suche aber international ständig neue Standorte mit günstigeren Konditionen, heißt es bei Invision. Die Schweiz sei da genauso interessant wie Nordirland.
Gar keine Werbung macht derweilen eine andere Branche, die das deutsche Wahlergebnis dennoch hoch befriedigt zur Kenntnis nimmt: die Schweizer Banken. Die Schweizer Nationalbank zählte im vergangenen Jahr mehr als zehn Milliarden Euro aus Deutschland, die offiziell von Vermögensverwaltern in der Schweiz betreut werden – weit weg von den neugierigen Augen des deutschen Fiskus.
Privatbanken wie Julius Bär oder die Baseler Bank Sarasin verweisen auf ihr florierendes Deutschland-Geschäft, das sie derzeit sogar um eigene Filialen „im großen Nachbarkanton“ ergänzen. Und Großbanken-Chefs wie Walter Kielholz von Credit Suisse bitten zu Hintergrundgesprächen über „Deutsch-Schweizer Wirtschaftsbeziehungen nach der Wahl“.
All das inspirierte das Schweizer Wirtschaftsmagazin „Cash“, auch eine provozierende Anzeige zu entwerfen und aufs Cover zu heben. Ein roter Balken mit weißer Schrift: „Danke, Angela, danke, Gerhard, danke, Oskar und Gregor, Joschka und Guido“. Unterschrift: „Euer Finanzplatz Schweiz“.
MfG kiiwii |