Spannende neue Mischung Das künftige Innovations- und Gewinnpotenzial der Pharmabranche hängt vom Biotechsektor ab. Der gesamte Bereich steht vor einem Wandel.
Ein Aufatmen dürfte am Dienstagabend durch die amerikanische Wissenschaftswelt gegangen sein. Wahlsieg für Barack Obama, das bedeutet: keine Sarah Palm als Vizepräsidentin, die auf keinen Fall mehr Geld für "Forschung an Fruchtfliegen" ausgeben wollte. Mit dieser abfälligen Äußerung hatte sich die Gouverneurin von Alaska einige Tage zuvor in den Augen der Forscher endgültig disqualifiziert. Zählt doch die Fruchtfliege Drosophila melanogaster zu den wichtigsten Modellorganismen der Genforschung.
Auch sonst sind die Wissenschaftler erleichtert über die Entscheidung für den neuen Präsidenten: Für George W. Bush standen sie nie ganz oben auf der Agenda, dementsprechend stiefmütterlich behandelte er die nationalen Forschungsbudgets. Sein religiös motiviertes Nein zur Finanzierung embryonaler Stammzellforschung sorgte zusätzlich für Unmut.
Auf der Unternehmensseite fallen die Reaktionen skeptischer aus. Die USA sind noch immer der größte und lukrativste Pharmamarkt der Welt. Aber das amerikanische Gesundheitssystem ist teuer und unsozial, weshalb eine Reform als überfällig gilt. Die könnte zwar einerseits das Marktvolumen vergrößern, indem sie Millionen von Unversicherten in die Krankenversicherungen holt: eine Entwicklung, die allgemein erwartet wird. Andererseits könnte die Regierung versuchen, über die staatliche Krankenversicherung für ältere Menschen, Medicare, die Medikamentenpreise zu drücken - eine drastische Maßnahme, der Barack Obama dem Vernehmen nach aber nicht abgeneigt ist. Prognosen zufolge würde das US-weit Umsätze von zehn bis 30 Milliarden Dollar bedrohen.
Aussichten, die die miese Stimmung bei vielen kleineren Biotechunternehmen nicht gerade beflügeln dürften. Denn sie befinden sich ohnehin gerade in einer prekären Lage: Niemand gibt ihnen zurzeit Geld. Wer nicht im vergangenen Jahr zugegriffen hat, als die Branche die Rekordsumme von 29,9 Milliarden Dollar einwerben konnte, steht nun mit leeren Händen da. Venture Capital und Börsengänge - Fehlanzeige.
"Das ist jetzt besonders für kleinere Unternmen ein sehr großes Problem«, bestätigt Markus Manns, Manager der Fonds UniSektor: GenTech und Biopharma von Union Investment. Schließlich verbrennen Forschung und erst recht klinische Studien das Kapital in Rekordtempo. In Banken kursieren bereits Listen der Firmen, denen bald das Geld ausgeht - mit der Empfehlung, deren Aktien zu meiden, zu verkaufen oder sogar leerzuverkaufen.
Auch wenn die aktuelle Lage zweifellos einige Unternehmen in die Insolvenz treiben wird, so bietet die Konstellation insgesamt interessante Chancen für Investoren. Auf der Pharmaseite wird es in den kommenden Jahren zu erheblichen Verschiebungen kommen. "2007 waren die USA zum ersten Mal nicht mehr der wichtigste Treiber des Umsatzwachsturns in der Pharmabranche", sagt Alastair Campbell, Analyst bei JP Morgan. Er prognostiziert: "In Zukunft wird das Wachstum aus Schwellenländern kommen."
Dort sind allerdings längst nicht alle Global Player gut aufgestellt. Dazu kommt, dass viele der heutigen Pharma-Dickschiffe schnurstracks auf ein Patentloch etwa ab 2011 zusteuern: Dann verlieren ihre größten Blockbuster den Kopierschutz, und der Umsatz wird wegbrechen. Entsprechenden Ersatz haben nur die wenigsten in der Pipeline.
In den kommenden sechs Jahren wird deshalb die Rangliste der größten Pharmaunternehmen gehörig durcheinandergewirbelt. Der britische Analysedienst Evaluate Pharma sieht 2014 vier europäische Unternehmen auf den fünf Topplätzen. Sowohl für den Punkt neue Märkte als auch in Sachen Pipeline gibt es einen klaren Sieger: Roche. Laut Evaluate Pharma werden die Schweizer selbst ohne die geplante voIlständige Ubernahme von Genentech in wenigen Jahren zur unangefochtenen Nummer 1.
Die Biotechbranche dagegen kann von den Pipelinelücken der Pharmariesen nur profitieren. Denn die haben massenhaft Geld in der Kasse und brauchen dringend neue Produkte. Und gerade die Biotechpräparate haben sich in vielen Fällen als enormer Fortschritt in der Therapie erwiesen - was sie weniger angreifbar für Preisnachlässe macht.
Bereits jetzt stammen 25 Prozent vom Umsatz der 100 bestverkauften Medikamente aus der Biotechecke. Tendenz: steigend. Die logische Konsequenz: Pharmaunternehmen sichern sich aussichtsreiche Produkte über Partnerschaften, wie gerade das Beispiel Novartis-Morphosys zeigt. Die Kooperation spült der Münchner Biotechfirma mindestens 600 Millionen Euro in die Kasse. Die zweite Alternative: Big Pharma übernimmt das Biotechunternehmen gleich ganz. So schluckte zuletzt Sanofi-Aventis Acambis, Shire übernahm Jerini, und Eli Lilly jagte Bristol-MyersSquibb Imclone ab.
„Ich wundere mich, dass da nicht mehr passiert", sagt der Branchenspezialist Wolfram Eichner von cominvest. Womöglich warten die potenziellen Käufer aber auch nur darauf, dass die Preise noch weiter sinken. "Wir haben eine lange Liste von Biotechunternehmen und Produkten, die wir in den kommenden Jahren kaufen wollen", kündigte BristolMyers-Boss James Cornelius Ende Oktober an, ebenso auf Einkaufstour sind Merck & Co und Pfizer. Zusammengenommen dürften sie über eine Kriegskasse von deutlich über 30 Milliarden Dollar verfügen. Wen sie im Auge haben mögen? "Oft werden Firmen übernommen, mit denen die Pharmakonzerne vorher schon kooperiert haben", sagt Wolfram Eichner. Als heiße Kandidaten werden in der Branche deshalb zum Beispiel Amylin und Eli Lilly, Onyx und Bayer, Vertex und Johnson & Johnson oder Genmab und GlaxoSmithKline genannt.
"Ich kann mir aber auch vermehrt Biotech-Biotech-Kooperationen oder -Übernahmen vorstellen", sagt cominvest-Analyst Eichner. Als Käufer auftreten möchte zum Beispiel Simon Moroney, der Vorstandschef von Morphosys. Im Gegensatz zu vielen anderen hat die Antikörperschmiede aus Martinsried bei München ihre liquiden Mittel im vergangenen Jahr durch eine Kapitalerhöhung auf aktuell über 120 Millionen Euro erhöht.
Überhaupt sind deutsche Biotechunternehmen wieder in den Blickpunkt von Investoren gerückt. Weil sie international noch nicht so große Aufmerksamkeit erregen, hoffen mittlerweile einige deutsche institutionelle Investoren, sich hier frühzeitig eine gute Investmentstory zu sichern. Immer wieder genannt werden Medigene aufgrund des neuen Krebsmedikament-Kandidaten mit überzeugenden Phase-2-Daten - und Morphosys als profitables, ganz offenbar umsichtig wirtschaftendes Technologie- und Wirkstoffunternehmen.
Morphosys hat gerade die Gewinnprognose für 2008 erhöht und kann in schöner Regelmäßigkeit Fortschritte mit eigenen Projekten und Kooperationen präsentieren. "Antikörper sind zwar keine aufregende neue Technologie mehr, aber nachdem Erfolg zahlreicher auf Antikörpern basierender Medikamente wie Avastin oder Herceptin rollt eine zweite Welle mit Neuentwicklungen auf uns zu", kommentiert der Fondsmanager Markus Manns von Union Investment.
Die Zunahme von etablierten Technologien, Profitabilität und Konsolidierung zeigt: Der Biotechsektor steckt mitten im Wandel zu einer reiferen Branche, wie er seit Jahren prognostiziert worden ist. Die Weichen für die zukünftigen Überflieger in Biotech und Pharma werden jetzt gestellt. Und die Musik spielt dabei nicht mehr nur in den USA - auch, wenn Barack Obama glücklicherweise eine differenzierte Meinung zu Fruchtfliegen hat. |
Angehängte Grafik:
mor.jpg (verkleinert auf 92%)