Im Norden Chiles, auf dem Hochplateau der knochentrockenen Atacama-Wüste, haben Maschinen ein gigantisches Loch in die Erdkruste gefräst. Drei Kilometer ist der Krater breit, fast tausend Meter tief. Jeden Tag wird er größer - und der chilenische Staat dabei reicher.
Chuquicamata heißt die Mine am Rande der Anden, sie gehört dem Staatskonzern Codelco und liegt 700 Kilometer von jener Unglücksmine entfernt, aus der vorige Woche 33 Bergleute gerettet wurden (siehe Seite 124). Aus diesem einen Tagebau stammen sechs Prozent allen Kupfers, das weltweit produziert wird, Chuquicamata ist die größte Fördergrube der Erde.
Mit gewaltigen Schaufeln, groß wie Bungalows, graben sich die Bagger durch das Gestein; sie beladen Laster, die speziell für diesen Tagebau gefertigt wurden; jedes der Ungetüme trägt bis zu 400 Tonnen. Mit brüllendem Motor kämpfen sie sich die Haarnadelkurven empor, eine Dreiviertelstunde dauert der Aufstieg.
Oben wird das Erz zu Pulver zermahlen, aus 100 Tonnen gewinnt Codelco eine Tonne reines Kupfer. An diesem Mittag kostet so eine Menge an den Rohstoffbörsen etwa 8100 Dollar, der Codelco-Manager Rodrigo Toro kann es auf dem Monitor ablesen. Nur 24 Stunden früher lag die Notierung fast 200 Dollar höher. "Der Markt ist sehr sprunghaft geworden", sagt er.
Der Manager residiert rund 1200 Kilometer südlich von Chuquicamata, im 9. Stock der Konzernzentrale in Santiago, der Direktionsetage. Alles hier ist aus Kupfer, der Empfangstresen, die Geländer, die Fahrstühle; selbst in die Handtücher auf den Toiletten sind Metallfasern eingewebt.
Früher hätte der Markt für eine Preisbewegung wie an diesem Tag Wochen gebraucht. Sie hätte Toro und seine Kollegen in helle Aufregung versetzt. Von einem Warnsignal für die globale Konjunktur wäre die Rede gewesen. Heute wundert sich niemand mehr über das wilde Auf und Ab.
In diesem Jahr jagte der Preis schon von 6400 Dollar im Februar auf 8000 Dollar im April, stürzte dann auf 6100 Dollar ab und saust gerade wieder in Richtung des Allzeithochs von 8900 Dollar (siehe Grafik). Das Metall ist zu einem Spekulationsobjekt geworden, das Kupfergeschäft zur Spielwiese für finanzstarke Zocker. Wie sich die Preise bewegen, hat immer weniger mit dem Produkt an sich zu tun. Die Preise werden woanders gemacht. Zum Beispiel in New York.
Dort, in Manhattan, nur einen Block vom Ground Zero entfernt, sitzen zwölf Männer in einem fensterlosen Saal um einen runden Tisch. Es sieht aus, als wäre hier eine Altherren-Pokerrunde zugange, wären da nicht diese zahllosen blinkenden Monitore und die elektronischen Anzeigetafeln. Es sind Kupferhändler, die sich an der Nymex, der weltgrößten Warenterminbörse, versammelt haben.
Sie handeln mit Lieferkontrakten, also Verträgen, die sie verpflichten, hochreines Kupfer an einem bestimmten Termin zu einem festen Preis zu verkaufen; jedes dieser Papiere steht für rund elf Tonnen, aktueller Marktwert: etwa 95 000 Dollar.
Mal wetten sie darauf, dass die Preise steigen, sie gehen also "long", wie es im Fachjargon heißt. Oder sie bauen Short-Positionen auf, wenn sie sinkende Kurse erwarten. An dem Metall selbst haben sie keinerlei Interesse mehr.
Es sind unvorstellbare Summen, mit denen die Trader heute weltweit operieren, jeden Tag wechseln Papiere im Wert von mehr als 20 Milliarden Dollar den Besitzer. An den vier großen Kupferbörsen der Welt, in London, New York, Shanghai und Mumbai, wurden im vergangenen Jahr Kupfer-Futures im Volumen von 1,13 Milliarden Tonnen gehandelt, das ist 71-mal mehr, als die Industrie in derselben Zeit überhaupt produziert hat.
Die Händler arbeiten im Auftrag von Banken, Versicherungen, Pensionskassen oder auf Rohstoffe spezialisierten Hedgefonds. Sie alle haben das Kupfergeschäft für sich entdeckt, spätestens seit zwei US-Professoren 2004 Rohstoffen insgesamt eine glänzende Zukunft als eigene Anlageklasse voraussagten. Das Papier erregte Aufsehen in der Fachwelt, es kam zum richtigen Zeitpunkt.
Nach der New-Economy-Blase war die Sehnsucht groß nach fassbaren Werten, die jeder kennt und versteht. Endlich eröffnete sich eine Alternative zu den heiklen Geschäften mit Aktien, Anleihen oder Währungen und ihren Derivaten. Seitdem strömt das Kapital immer gewaltiger auf die Märkte für Öl und Gas, Zucker oder Kakao, Nickel und Aluminium. Und eben auch für Kupfer.
Und die jüngsten Turbulenzen um Euro und Dollar befeuern die Entwicklung nur noch. Je mehr Geld in diese zum Teil relativ kleinen Märkte flutet, desto stärker ist die Tendenz, dass die Preise extrem ausschlagen: Es muss nur ein gewichtiger Akteur losrennen und ein zweiter, dritter folgen, nicht wegen einer tieferen Erkenntnis, sondern einfach aus Angst, etwas zu verpassen - schon folgt die ganze Herde. Bis sie irgendwann stoppt und in eine neue Richtung trampelt, weil jemand eine neue Parole ausgegeben hat.
So heben die Preise ab, sie entkoppeln sich mehr und mehr vom tatsächlichen Verbrauch. Die Folgen sind indes real spürbar für alle, die auf den physischen Rohstoff angewiesen sind: das Baugewerbe zum Beispiel, denn Kupfer wird überall verarbeitet, wo Gebäude entstehen, in Rohren, auf Dächern, an Fassaden.
Kupfer ist zugleich auch der Kernbestandteil fast jeden Kabels: ob es ein Klingeldraht ist oder die armdicke Ader, die Offshore-Windräder mit dem Festland verbindet.
Geradezu unentbehrlich ist das Metall für die Hersteller von Elektronikartikeln: Jeder Computer, jedes Handy, jeder Staubsauger ist auf Kupfer angewiesen. Und jedes Auto: In einem Pkw sind im Schnitt 25 Kilo verbaut, gegenwärtiger Wert des Rohstoffs: knapp 150 Euro.
Die enormen Preisschwankungen machen der Wirtschaft schwer zu schaffen. Wie sollen die Unternehmen planen, wenn sich die Preise für ihre Rohstoffbasis ständig ändern?
Manager wie der scheidende ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz warnen vor verheerenden Folgen für die Industrie. Der Bundesverband der Deutschen Industrie weist auf die Bedeutung einer "sicheren, verlässlichen und bezahlbaren Rohstoffversorgung" hin. Ohne sie sei eine "Produktion im Industrieland Deutschland nicht vorstellbar".
Wie sich die Notierungen von Aluminium, Zink oder Blei, aber auch von Rohöl oder Erdgas entwickeln, ist selbst für Profis völlig unberechenbar geworden. Der Nickelpreis beispielsweise hat sich in den vergangenen vier Jahren in einer Spanne bewegt, die von 7000 Euro bis 40 000 Euro pro Tonne reichte.
Wohin die Reise gerade geht, entscheiden nicht mehr so sehr die "Fundamentals", wie die Händler die harten Fakten nennen. Es ist vor allem eine Sache der Stimmung. Das bedeutet freilich nicht, dass für Spekulanten Angebot und Nachfrage keine Rolle mehr spielen. Im Gegenteil: Sie nehmen jede Nachricht über den Wohnungsbau in China, die Erzproduktion in Chile oder die Lagerbestände in London begierig auf. Das Problem ist lediglich: Wahrgenommen werden nur die Nachrichten, die der Stimmung entsprechen, alles andere wird ausgeblendet. So kommt es zu teils grotesken Überreaktionen. Dann spielen die Preise verrückt - zum Schaden von Verbrauchern und Wirtschaft.
Der Brite Peter Hollands hat früh begriffen, welch tiefgreifender Wandel hier im Gange ist. Der Geologe ist eine Autorität im Kupfergewerbe, Bloomsbury Minerals Economics heißt seine Beratungsfirma, sie liegt versteckt in einer Seitenstraße nahe dem Londoner West End. "Seit sechs Jahren leben wir in einer neuen Welt", sagt Hollands.
Damals habe eine "Welle der Liquidität" den Markt erfasst und die Preise in einer Weise bewegt, wie es nie zuvor geschehen sei. Er deutet auf ein Schaubild, das den Kupferpreis gleich zweimal darstellt. Die eine Linie ist fiktiv, sie steigt nach 2004 nur mäßig an, nicht höher als 5000 Dollar pro Tonne. Sie ist das Ergebnis der traditionellen Faktoren, die auf den Preis Einfluss nehmen: Produktionskosten zum Beispiel, Lagerbestände, Industrieaufträge oder Währungseffekte. Dieser Verlauf beschreibe die alte Welt, "als Kupfer noch ein anständiges Industriemetall war", sagt Hollands beinahe melancholisch.
Die andere Linie zeigt, wie sich der Kupferpreis tatsächlich entwickelt hat. Wie er über 8000 Dollar geschossen ist und seitdem nervös auf und ab hüpft: Das ist die neue Welt, die Welt der finanzgetriebenen Rohstoffmärkte. Sie lassen sich nicht mehr vom Markt und seinen Kräften leiten, sondern davon, was der Markt glaubt. Oder was er glauben soll.
Niemand könne das Kupfergeschäft mehr ohne den Einfluss der Finanzakteure verstehen, sagt Hollands: "Sie haben die Herrschaft übernommen." Und der Markt hat kapituliert. Es ist ein Putsch, der hier stattgefunden hat, er bedeutet einen Einschnitt in der jahrtausendealten Geschichte des Kupfers.
Früher galt: Wurde Kupfer zu billig, drosselten die Hersteller die Produktion, bis so wenig Ware auf dem Markt war, dass die Preise wieder stiegen. Die Minen fuhren darauf die Kapazitäten hoch, das Angebot weitete sich aus und überstieg irgendwann den Bedarf, der Zyklus begann von neuem. An der Entwicklung des Kupferpreises war abzulesen, wie sich die Wirtschaft entwickeln würde.
Ökonomen sprachen von "Dr. Copper" wie von einem weisen, alten Kollegen, der mit akademischer Präzision die Konjunktur voraussagen konnte. Wenn nämlich der Preis für Kupfer stieg, der Rohstoff demnach begehrt war, konnte dies als Signal des Vertrauens in die Zukunft gedeutet werden, als Zeichen, dass wieder investiert wurde.
David McKiernan kann sich gut an die Zeiten erinnern, als er noch mit ganz realen Kupferblöcken zu tun hatte. Er ist ein Veteran unter den Kupferhändlern, seit 34 Jahren arbeitet er in New York, er ist für Prudential Bache Commodities tätig, einen der großen Spieler am Markt.
Jeden Morgen sitzt McKiernan um 6.30 Uhr in seinem Büro in einem Wolkenkratzer am East River. Wenn er nicht im Einsatz ist, übernimmt ein Kollege in London, Hongkong oder Hamburg den Dienst. Noch vor zehn Jahren musste, wer Metalle kaufen oder verkaufen wollte, in der Regel die Händler auf dem Parkett anrufen. Sie hatten als Einzige den direkten Zugang zum Markt.
Mit Beginn des Internetzeitalters war plötzlich alles anders. Das Netz hat die Börse praktisch für jedermann zugänglich gemacht. Seitdem haben sich Marktvolumen und Geschwindigkeit des Handels vervielfacht. Es sei die größte Veränderung in seiner Karriere gewesen, sagt McKiernan. Mit den Summen, die die Akteure inzwischen einsetzen, könnten sie den Markt durchaus in ihrem Sinne beeinflussen: "Wenn sich mehrere gleichzeitig in eine Richtung bewegen, dann bewegt sich auch der Preis."
Es sind drei Gruppen, die heute das Termingeschäft mit Kupfer kontrollieren, jede auf ihre Weise. Die Mitglieder der ersten Gruppe verhalten sich so, wie man sich den gemeinen Spekulanten vorstellt: als primitive Zocker.
"Dumme Jungs" nennt Sven Müller-Thurau diese Sorte, obwohl er weiß, dass unter ihnen nicht selten hochbegabte Mathematiker zu finden sind. Müller-Thurau ist verantwortlich für die Metall- und Devisengeschäfte bei Aurubis, dem größten europäischen Kupferverarbeiter mit Sitz im Hamburger Hafen. Hier kommen die Schiffe mit Kupferkonzentrat an, hier wird das graugrünliche Pulver in börsenfähige Platten von 50 bis 80 Kilogramm Gewicht verwandelt, ihre Reinheit beträgt 99,99 Prozent. Als Müller-Thurau solche Trader mal einladen wollte, um ihnen zu zeigen, wie die Kupferherstellung funktioniert, hätten sie dankend abgelehnt, erzählt er. "Das hätte sie nur verwirrt."
Eine zweite Gruppe nutzt Kupfer-Derivate auf klassische Weise: Es sind sogenannte Bona-Fide-Hedger, die ganz reale Güter für die Weiterverarbeitung absichern. Es ist gleichsam die gute, die sinnvolle Variante der Spekulation, die seit Generationen gang und gäbe ist. Bauern schützen sich so vor den Folgen von Ernteschäden, Firmen vor Zins- und Währungsrisiken und neuerdings auch vor den Ausschlägen an den Rohstoffmärkten.
Und dann gibt es die dritte und bedeutendste Gruppe der Spekulanten, die derzeit hinter den Marktbewegungen stehen, milliardenschwere Hedgefonds, außerdem Banken wie Goldman Sachs, internationale Rohstoffhändler wie Glencore sowie Pensionskassen wie Calpers, der kalifornische Fonds der Staatsbediensteten. Sie leisten sich Abteilungen voller Spezialisten und "versuchen, den Markt zu lesen, bevor es die anderen mitkriegen", sagt Aurubis-Mann Müller-Thurau anerkennend: "Diese Leute machen die Märkte flott."
Dazu bedienen sie sich der Dienste von Londoner Unternehmen wie Brook Hunt oder der Commodities Research Unit. Dort sind Dutzende Analysten mit nichts anderem beschäftigt, als akribisch jedes Minenprojekt auf der Welt auszuwerten. Sie wissen genau, wie hoch der Kupfergehalt in den einzelnen Lagerstätten ist, wo gerade der Eigentümer gewechselt hat oder gestreikt wird. Sie lassen sich ihre Studien gut bezahlen, und dennoch stoßen selbst diese Experten mit ihrer Recherche immer wieder an Grenzen.
Sie können zum Beispiel nur vage Annahmen treffen, wie groß die Bestände in der metallverarbeitenden Industrie sind. Sie haben höchstens eine Ahnung davon, was jenseits der Börsen passiert, im direkten Geschäft zwischen Produzent und Abnehmer. Und sie können kaum prüfen, ob die Nachricht, dass der Bestand in den registrierten Lagerhäusern der Londoner Börse um einige Tonnen abgenommen hat, bloß daher rührt, dass ein Staplerfahrer "für einen Fuffi" eine Palette mit Kupferkathoden ein paar Meter weit bewegt hat.
So jedenfalls berichtet es ein Analyst. Es gibt nämlich Lagerhallen, durch die sich eine lange Linie zieht, erzählt ein Insider: auf der einen Seite die Fläche für die offizielle Ware, auf der anderen die Graubestände - so leicht sind die Märkte über die wahren Verhältnisse zu täuschen.
Vor allem China, inzwischen der mit Abstand weltgrößte Kupferkonsument, gibt ihnen Rätsel auf. Westliche Händler sind an der Börse in Shanghai im Prinzip nicht zugelassen. Niemand weiß so genau, wie viel Kupfer dort wirklich verbraucht und wie viel gehortet wird. Auf offizielle Zahlen will sich niemand verlassen.
So schwingt im Kupfergeschäft stets der Verdacht mit, dass Manipulation im Spiel ist. Immer wieder haben Einzelne versucht, dem Markt große Mengen Metall zu entziehen, um durch die künstliche Verknappung die Preise zu treiben.
Spektakulär war Anfang der neunziger Jahre der Fall von Yasuo Hamanaka, einem gemütlichen Whiskytrinker, der gewaltige Kupfermengen hortete, um den Preis nach oben zu treiben. Das Geschäft misslang. Sein Auftraggeber blieb auf Verlusten von 1,8 Milliarden Dollar sitzen.
Für solche Aktionen bietet sich der Kupfermarkt förmlich an, er ist überschaubar wie ein kleiner Teich, in dem sich nur ein paar große Fische bewegen. Gut 16 Millionen Tonnen produzieren die Minen voraussichtlich dieses Jahr, das sind weniger als 50 000 Tonnen am Tag. Zum Vergleich: Die Ölbranche fördert täglich rund 10 Millionen Tonnen.
Deshalb reichen schon geringe Veränderungen von Produktion und Verbrauch, um die Kupferpreise in Bewegung zu versetzen. "In diesen Grenzbereichen können die Auswirkungen auf den Preis immens sein", sagt der Commerzbank-Fachmann Eugen Weinberg, zumal Investmentbanken und Fondsgesellschaften nun selbst in großem Stil ins Geschäft einsteigen. Sie kaufen Gold, Silber, Kupfer, ja sogar Zucker, mehr noch: Sie erwerben gleich noch Lagerhausbetreiber, um die wertvolle Ware aufzubewahren.
Diese Strategie eröffne den Instituten die Möglichkeit, die Bestände nach Belieben zu beeinflussen, warnt Gerd Henning Beck von der Frankfurter Fondsgesellschaft Lupus Alpha. Überdies unterliege der physische Markt, anders als das Termingeschäft, nicht der Finanzaufsicht: "Die Banken können so zumindest indirekt die Preise steuern."
4,7 Milliarden Dollar sind die rund 570 000 Tonnen Kupfer wert, die in den Lagerhäusern der wichtigsten Metallbörsen London, New York und Shanghai aufbewahrt werden. Mit dieser vergleichsweise überschaubaren Summe könnten Investoren die registrierten Kupferlager der Welt leerkaufen. Schon ein Bruchteil genügte, um das Preisgefüge vollends aus der Balance zu bringen.
Wenn die Banken den Kupfermarkt derart beherrschen, könnten sie der Industrie den dringend benötigten Rohstoff sogar entziehen. Leidtragende wären die Unternehmen des produzierenden Gewerbes, besonders Metallverarbeiter, Elektrobetriebe oder Kabelhersteller. Die Entwicklung der Preise sei kaum mehr vorhersehbar, warnt eine Commerzbank-Studie, dies könne "für Unternehmen schnell zur Kostenfalle werden".
Darauf versuchen sich Firmen wie der Nürnberger Autozulieferer Leoni einzustellen, so gut es geht. Leoni ist einer dieser typisch deutschen Mittelständler aus dem Metallgewerbe, gegründet 1569 als kleine fränkische Werkstatt, in der feinste Gold- und Silberdrähte für Stickereien gesponnen wurden, sogenannte Leonische Ware. Heute ist Leoni ein Milliardenkonzern und Kupfer sein wichtigster Werkstoff: Rund 100 000 Tonnen werden jährlich hier verarbeitet, für Kabelbäume, Drähte und Litzen.
Richard Paglia ist für die Beschaffung des Metalls verantwortlich, ihn beschäftigen die oft irrwitzigen Preisbewegungen jeden Tag aufs Neue. Heute spielten die Finanzmarktakteure "eine tragende Rolle" im Geschäft, "die permanente Volatilität" der Preise sei ihnen anzulasten. Und diese Schwankungen führten zu Risiken, die nur mit viel Aufwand einzugrenzen seien, sprich: mit teuren Absicherungsgeschäften.
Kaum ein größeres Industrieunternehmen kann heute auf "Hedging" verzichten, also darauf, mit Terminkontrakten die Schwankungen von Wechselkursen oder Rohstoffpreisen abzusichern. Das Paradoxe daran: Die Banken lassen sich den Service von ihren Kunden gut bezahlen, zugleich sind sie mit ihren Spekulationsgeschäften selbst maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Ausschläge überhaupt so extrem geworden sind: ein raffiniertes Geschäftsmodell, in dem die Geldinstitute gleich doppelt verdienen.
Von ihnen sind deshalb kaum konstruktive Vorschläge zu erwarten, wie die Folgen der Spekulation in den Griff zu kriegen sind. Darum kümmern sich andere, zum Beispiel die Kommissare der amerikanischen Handelsaufsicht CFTC.
In den USA läuft seit gut zwei Jahren, als der Ölpreis auf neue Rekordhöhen geschossen war, eine hitzige Debatte darüber, wie die Zocker zu zähmen sind, und die CFTC treibt sie voran. Ausgerechnet die Behörde, die vor einigen Jahren noch Finanzakteuren alle Freiheit ließ, propagiert seit dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama strenge Regeln.
Im Zentrum der Diskussion steht die Verschärfung der Positionslimits, also der maximalen Zahl an Orders, die ein Terminhändler halten darf. In New York liegt die Grenze im Kupfergeschäft bei 5000 Kontrakten, theoretisch zumindest. Praktisch gelten etliche Ausnahmen. Die Bestimmungen, kritisiert der CFTC-Kommissar Bart Chilton, seien gegenwärtig so wenig wirksam wie "Geschwindigkeitsbegrenzungen auf einer dunklen Wüstenautobahn".
Das soll sich nun ändern. Mit ihrer harten Tour knüpfen die Beamten an ein historisches Vorbild an: US-Präsident Franklin D. Roosevelt versuchte nach der Großen Depression in den dreißiger Jahren mit strikten Vorgaben, der Spekulation am Rohstoffmarkt den Boden zu entziehen. Schon damals führte er Positionslimits ein. Die Regierung von Ronald Reagan weichte die Bestimmungen auf, sie gab dem Druck der Finanzwirtschaft nach.
Diese Lobby ist es auch, die jetzt wieder gegen jede Regulierungabsicht kämpft. Schärfere Kontrollen würden dem Markt Liquidität entziehen, warnen die US-Banker. Dann würde sich der Kupferhandel nur stärker nach London verlagern. Dort existieren keine klaren Obergrenzen, die Briten veröffentlichen nicht einmal, welche Positionen die Marktteilnehmer einnehmen, ob sie auf steigende oder fallende Kurse wetten. Die Börse dort versucht eher informell einzuwirken.
Das ist in der Tat die Krux: Es genügt nicht, lediglich an einem Handelsplatz für klare Regeln zu sorgen. Die Regierungen können nur erfolgreich gegen die Spekulanten vorgehen, wenn sie sich weltweit abstimmen und deren Rohstoffgeschäfte aus dem Verborgenen holen.
Solange dies nicht geschieht, bleibt der Kupferpreis unberechenbar - und die Industrie den Spekulanten ausgeliefert: Dann können sich die Unternehmen nicht mehr darauf verlassen, dass Kupfer teuer wird, wenn es knapp ist, und billig, wenn es im Überfluss vorhanden ist.
Diese elementare Signalfunktion, die Preise in einer Marktwirtschaft ausüben, werde durch Spekulation zerstört, sagt Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der UNCTAD, der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen. Durch die Preisverzerrungen bewegten sie zwar viel Geld, aber sie schafften keine realen Werte, so Flassbeck: "Es ist nur die Illusion eines Wertes entstanden."
Am Ende also erweist sich das populäre Urteil, Spekulanten seien die reinsten Kapitalisten, keinesfalls als zutreffend. In Wahrheit sind sie die größten Feinde des Marktes, denn sie hebeln seinen zentralen Mechanismus aus, den effizienten Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Damit machen sie allen das Leben schwer: der Industrie, die nicht abschätzen kann, wie teuer ihre Rohstoffbasis wird; den Verbrauchern, die die Kosten tragen müssen; und nicht zuletzt den Kupferproduzenten, deren Planungsrisiko steigt.
Wenn die Konzernlenker von Codelco in Santiago heute über Investitionen entscheiden, dann werden Ergebnisse frühestens in drei bis fünf Jahren sichtbar sein; so lange dauert es, bis eine Mine neu entwickelt oder erweitert ist. Rund 15 Milliarden Dollar will die Firma bis 2015 investieren, aber nie waren die Manager so unsicher, ob sie mit ihrer Kalkulation richtigliegen.
Klar ist nur: Die Produktionskosten werden weiter steigen, die Bergbaubetriebe müssen immer tiefer graben, die Vorkommen, die an der Oberfläche liegen und sich leicht erschließen lassen, sind bald erschöpft.
Selbst in der weltgrößten Grube Chuquicamata wird voraussichtlich 2018 mit dem Tagebau Schluss sein, von da an soll die Ausbeutung tief im Erdinnern weitergehen: 30 bis 40 Kilometer lange Tunnels und Stollen wollen die Ingenieure in den Berg treiben, ein gewaltiger Aufwand.
Aber was, wenn die Produktion gerade dann anrollt, wenn ein einflussreicher Hedgefonds-Manager auf fallende Preise wettet und seine Kollegen mitreißt?
Codelco-Mann Toro kann auf solchen Nervenkitzel gut verzichten. Ihm wären sogar niedrigere Preise recht, wenn denn nur die Notierungen einigermaßen berechenbar blieben und die Spekulanten unter Kontrolle: "Dann", so der Manager, "können wir planen."