SPIEGEL ONLINE - 07. Mai 2007, 15:11
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"SECOND LIFE"
Staatsanwalt ermittelt wegen Sex mit virtuellen Kindern
Von Christian Stöcker
In der virtuellen Welt "Second Life" finden immer neue sexuelle Abseitigkeiten ihre Anhänger. Jetzt hat erstmals eine deutsche Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung von Kinderpornografie eingeleitet.
Unter den Nutzern von "Second Life" ist es ein offenes Geheimnis: Zwar dürfen Minderjährige offiziell nicht in die virtuelle Welt einsteigen, aber erwachsene Spieler können sich Avatare, also Spielfiguren zulegen, die jede beliebige Form haben - auch die eines Kindes. "Age Play" wird im internen Jargon die abseitige Praxis genannt, bei der sich Erwachsene mit Kinderavataren anderen Erwachsenen als virtuelle Sexualpartner zur Verfügung stellen.
Second Life: Kinderhäute für erwachsene Nutzer
Den meisten Bewohnern der virtuellen Welt sind diese Praktiken zuwider - eine kleine Gruppe aber hat "Second Life" (SL) ganz offenbar als einen Ort entdeckt, an dem sie ihre dunkelsten Fantasien ausleben können. Viele andere sind von den Spielchen der "Age Play"-Freunde so angeekelt, dass es sogar SL-interne Widerstandsgruppen gibt, die sich dem Kampf gegen den virtuellen Kindersex verschrieben haben.
"Wir werden herausfinden, wer dahintersteckt"
Nun geht laut ARD-Magazin "Report Mainz" zufolge erstmals ein deutscher Staatsanwalt gegen Kinderpornographie in SL vor. Die Staatsanwaltschaft Halle hat dem Bericht zufolge ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet. Auch die Betreiberfirma Linden Lab in San Francisco kündigt in der Sendung (heute ARD, 21.45 Uhr) Schritte gegen die Urheber an - bislang hatte sich das Unternehmen bei diesem Thema merklich zurückgehalten, auch zum Unmut mancher Nutzer von SL.
Den Angaben zufolge dokumentiert das ARD-Magazin erstmals, dass ein "Second-Life"-Spieler aus Deutschland mit kinderpornografischen Aufnahmen gehandelt hat. "Wir werden versuchen, diese Person namhaft zu machen", sagt Oberstaatsanwalt Peter Vogt von der Zentralstelle gegen Kinderpornografie bei der Staatsanwaltschaft Halle in der Sendung. Dieser Straftatbestand wird nach seinen Angaben mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren geahndet.
Robin Harper, die Vizepräsidentin der Betreiberfirma Linden Lab, kündigte an: "Wir werden herausfinden, wer dahintersteckt und dann die Polizei informieren."
"Kinderpornografisches Angebot"
"Mir fehlen einfach die Worte", kommentierte Oberstaatsanwalt Vogt, "dieses Angebot ist ein kinderpornografisches Angebot."
In dem Fernsehinterview kündigte die Vizepräsidentin von Linden Lab an, ein Altersverifikationssystem einzuführen. Bislang darf man sich offiziell erst ab 18 für SL anmelden, eine echte Überprüfung findet aber nicht statt. Wer in der virtuellen Welt finanzielle Transaktionen durchführen will, muss allerdings Kreditkartendaten hinterlegen.
Nun soll es Kindern und Jugendlichen gänzlich unmöglich gemacht werden, Zugang zu bestimmten Bereichen des Spieles zu bekommen. Jugendschützer in Deutschland fordern indes weiter gehende Schritte. Friedemann Schindler von der für Jugendschutz im Internet zuständigen Behörde jugendschutz.net sagte, es gebe ganz einfache Möglichkeiten, sexuellen Missbrauch in dem Spiel zu verhindern. Der Betreiber müsse die Online-Welt nur so programmieren, dass zum Beispiel der sexuelle Kontakt zwischen Kindern und Erwachsenen nicht möglich ist.
Diese Einschätzung greift allerdings etwas zu kurz: Die Vielzahl der Avatar-Formen, die in SL möglich sind, macht eine klare Unterscheidung in erwachsene oder minderjährige Figuren so gut wie unmöglich. Eine ganze Gruppe von SL-Nutzern hüllt sich in der virtuellen Welt beispielsweise in zwergenhaft kleine Spielfiguren - die sogenannten "Tinies" sind aber nicht Kindern nachempfunden, sondern entsprechen eher winzigen Fabelwesen. Andererseits gibt es Erwachsene, die sich in durchaus kommerzieller Absicht Kinder-Avatare zulegen: Wer bereit ist, sich mit Pädophilen auf entsprechende Rollenspiele einzulassen, kann sich dafür in SL in der Spielwährung Lindendollar entlohnen lassen - und die sind frei konvertierbar in echte US-Dollars.
Virtuelle Haut ohne Geschlechtsteile
Das Problem der Kinder-Avatare dürfte für Linden Lab also nicht leicht aus der Welt zu schaffen sein. Zudem gibt auch Spieler, die ganz legitim und ohne sexuelle Hintergedanken Kinderfiguren darstellen. Sogar Adoptionsagenturen gibt es, die einsamen Menschen ein virtuelles Familienleben ermöglichen sollen - ganz im Sinne der "Alles ist möglich"-Philosophie der Betreiber. Eine ganze Reihe von virtuellen Ladengeschäften verkauft "Skins", also virtuelle Haut, die Avatare realistischer aussehen lassen sollen. Auch Skins, die wie Minderjährige aussehen, sind vielerorts im Angebot - oft aber mit dem Vermerk, dass die virtuelle Haut ohne Geschlechtsteile geliefert wird.
Auch Kinderkleidung, Spielplätze und virtuelle Kindergärten gibt es in der virtuellen Welt - obwohl offiziell nur Volljährige einen Zugang zu SL haben dürfen. Für Minderjährige gibt es ein eigenes "Teen Grid", eine jugendfreie Version von SL, in der es auch keine Möglichkeit zum virtuellen Sex gibt. Wo in der Erwachsenen-Version die Grenze zwischen harmlosem Unsinn und echter Perversion verläuft, ist oft sehr schwer auszumachen.
Mit Material von AP
