Hey, liebe Impfgegner:innen, in Deutschland wäre übrigens gar keine Impfpflicht im Gespräch, wenn ihr nicht versucht hättet, mit eurer „ganz persönlichen, privaten Entscheidung“ Millionen andere Menschen zu überzeugen. Ihr selbst habt das Ganze erst politisch gemacht.
Und mit Impfgegner:innen meine ich NICHT die Menschen, die sich einfach nur nicht impfen lassen wollen, weil sie davor Angst haben oder es wirklich aus medizinischen Gründen nicht können. Ich habe selbst Freunde, die aufgrund persönlicher Erfahrungen keine Impfung wollen und ich respektiere das. Ich meine die Menschen, die ganz aktiv versuchen, andere vom Impfen abzuhalten.
„PRIVATE ENTSCHEIDUNG“ – ABER DANN GEGEN DIE IMPFUNG MISSIONIEREN? Das am häufigsten genannte Argument gegen eine Impfpflicht ist wohl, dass das eine sehr private Entscheidung sei, die alle für sich selbst treffen müssen. Das kann man auch gerne so sehen, der Witz ist nur, dass gerade die Anti-impf-Szene sich an diese Regel ja nicht gehalten hat.
Ich diskutiere schon weit länger über die Vor- und Nachteile des Impfens als die Pandemie dauert. Vor 10 Jahren war die vegane Szene noch deutlich esoterischer und entsprechend oft las man dort in entsprechenden Facebook-Gruppen aktive Aufrufe, sich nicht impfen zu lassen. Zwischen harmlosen Rezepten für Pfannkuchen und Tipps für Vitamin-B12-Präparate blitzten immer wieder drastisch formulierte Warnungen auf.
Es wurde behauptet, es sei „Quecksilber“ in den Impfstoffen (war es nicht und ist es nicht), dubiose Geschäftemacher versuchten, einen Zusammenhang zwischen der Masern-Mumps-Röteln-Impfung und Autismus zu erschwurbeln und es gab unaufgefordert Tipps, bei welchem Heilpraktiker man sich Impfstoffe „ausleiten“ lassen könne.
IMPFGEGNER, IHR QUATSCHT UNS DOCH STÄNDIG VOLL! Aber wenn das so eine persönliche Entscheidung ist, so privat, so intim, warum geht ihr dann überhaupt damit hausieren? Beim Elternabend in der Kita hat mir eine Mutter „Impfen pro und contra“ von Martin Hirte in die Hand gedrückt (ist aber contra). Im Coworking-Office fing der Dude am Schreibtisch neben bei aus heiterem Himmel an, mich davor zu warnen, Impfstoffe würden meine Kinder krank machen (das Gespräch drehte sich eigentlich um Gaming-Programmierung). Hallo? persönliche Entscheidung? Ihr quatscht Leute doch auch nicht auf eure Hämorrhoiden voll.
Die Wahrheit ist: Ein großer Teil der impfskeptischen Bewegung hat aus einer persönlichen Entscheidung eben genau das gemacht: Eine Bewegung. Mit Schwurbelbüchern, Flyern, junge Eltern vollquatschen, Blödsinn ins Internet schreiben, und Angst schüren. Herzlichen Glückwunsch, ihr wart damit so erfolgreich, dass die Gesellschaft es nun nicht mehr ignorieren kann und ungemütlich wird (Impfpflicht).
Es mag nicht intuitiv klingen, aber wenn ihr so ungeimpft wie möglich leben wollt, dann überzeugt am besten viele andere Menschen, sich impfen zu lassen. Die Gesellschaft hält ein paar wenige Ungeimpfte locker aus. Lassen sich z.B. 95% der Menschen gegen Masern impfen, ist Herdenimmunität erreicht. Ab diesem Prozentsatz ist es also nicht mehr so entscheidend, ob die letzten fünf Prozent sich auch noch impfen lassen. Tut ihr es nicht, ist das gesellschaftlich gesehen kein Problem, ihr fliegt dann unter dem Radar(das persönliche Risiko bleibt natürlich).
WOLLT IHR UNGEIMPFT BLEIBEN? ÜBERZEUGT ALLE ANDEREN, SICH ZU IMPFEN Bei Corona ist es ähnlich. Eine Herdenimmunität im klassischen Sinne ist laut der Forschung mit den aktuell verfügbaren Impfstoffen nicht mehr erreichbar, aber auch abseits davon ist der Pandemieverlauf mit bestimmten Impfquoten viel besser beherrschbar: Maßnahmen könnten früher zurückgenommen werden, die Gastronomie und Veranstaltungsbranche hätten weniger Umsatzeinbrüche, die Krankenhäuser wären entlastet, es müssten weniger Operationen verschoben werden usw.
Laut RKI bräuchten wir dafür bei den Über-60-Jährigen 90% Geimpfte und bei den 12- bis 59-Jährigen 85% bis 95% Geimpfte. Für dieses Ziel könnten sich also in beiden Altersklassen jeweils fünf Prozent der Menschen gegen eine Impfung entscheiden – das sind immerhin 3,5 Millionen Menschen – und wir kämen als Gesellschaft trotzdem recht gut durch diese Krise.
Aber fünf Prozent reichen euch ja nicht mehr. Nach eurer Vorstellung soll Nicht-Impfen ein Massenphänomen werden. Nun ist es mit dem Nicht-Impfen aber wie mit Auto fahren: Wenn es zu viele machen, funktioniert das ganze System nicht mehr. Die Autolobby hier in Wiesbaden kämpft seit Jahrzehnten gegen Rad-, Fuß- und Nahverkehr und hat jetzt so viele Menschen davon überzeugt, mit dem Auto zum Briefkasten zu fahren, dass sie den ganzen Tag im Stau stehen und die Stadt Flächen umwidmet. Ihnen wird der eigene Erfolg zum Verhängnis.
Wer also wirklich aufs Auto angewiesen ist, sollte sich besonders für ÖPNV, Rad- und Fußverkehr stark machen, denn dann sind die Straßen frei für diejenigen, die wirklich (!) auf ihr Auto angewiesen sind. Ja, das wird gerne als „Freiheit“ geframed, wenn alle immer Auto fahren, aber in dieser Version von Freiheit sitzt der Malocher mit 40 km Arbeitsweg dann in einem Stau mit Jan, der seine Kinder 900 Meter zum Kindergarten fährt und Denise, die einfach nur zu Starbucks will.
WIE WÄR’S MIT: „VOR IMPFUNGEN HABE ICH ANGST, KÖNNT IHR EUCH BITTE IMPFEN LASSEN“ Und wer echt Panik vor Impfstoffen hat, der sollte analog hoffen, dass sich viele andere impfen lassen und sie darin bestärken. Mit der Haltung „Vor Impfungen habe ich Angst, könnt ihr euch bitte impfen lassen“ könnten sich wohl viel mehr Menschen arrangieren. Ganz ohne Impfpflicht. Aber wenn aus der Nummer eine Kampagne gemacht wird, die Leute Impfpersonal angreifen, absichtlich Kochsalzlösung anstatt Impfstoffen verwenden oder Buchungssysteme sabotieren, dann hat das mit einer persönlichen Entscheidung ja nichts mehr zu tun.
Dann wird ein Thema politisiert, das wir früher auf privater Ebene und viel liberaler lösen konnten. Dann kommen unelegante Methoden wie eine Impfpflicht ins Spiel, und die hat unbestreitbar Nachteile. Ich fände es auch besser, wenn die wenigen Menschen, die aus ihrer ganz persönlichen Historie heraus nicht die größten Impffans sind, das frei entscheiden könnten.
Wenn wir die Menge der Impfskeptiker:innen nun aber künstlich aufblähen, indem bislang neutral eingestellten Menschen Angst vor einer „Gentherapie“ eingeredet wird oder lausige Sänger ihre Wahnvorstellungen über Telegram verbreiten, indem YouTuber ihre ganz eigene Definition von „Langzeitstudie“ über den wissenschaftlichen Konsens erheben und damit genug Publikum verunsichern, dann geht das eben nicht mehr.
Wenn ihr also Angst vor Impfungen habt und gegen Impfpflicht seid, dann wäre es für euch strategisch klug, diesen Menschen keine Reichweite zu schenken, so dass sich viele eurer Mitmenschen, anstelle von euch impfen lassen.
(C)Jan Hegenberg |