Seit Google börsennotiert ist, wirft das Unternehmen in immer kürzeren Abständen neue Produkte auf den Markt. Das Jüngste ist Picasa 2, eine Bildverwaltungs- und Bearbeitungsoftware - und die kostet, wie immer bei Google, erst einmal gar nichts. Aber taugt sie auch was?
Picasa ist ein geschenkter Gaul, dem man bekanntlich ja nicht ins Maul schauen sollte - sagte man früher. Doch die Zeiten haben sich geändert. In einer IT- und Internetwelt, die ihre Refinanzierung nicht nur durch den Verkauf von Produkten sucht, sondern auch an der Börse, stehen auch "Giveaways" in harter Konkurrenz, mitunter gar zu käuflichen Produkten.
Im Fall von Google und Picasa ist das auf jeden Fall so.
Zum einen kommt Picasa ja aus der käuflichen Liga, war selbst einmal als kostenpflichtiges Produkt am Markt, bevor das Unternehmen von Google gekauft wurde und seine Produkte nun kostenlos verteilt. Zum anderen ist Google kein Wohltätigkeitsverein, sondern ein Unternehmen, das um eine Machtposition in einem weltweiten Markt kämpft, indem es versucht, sich allgegenwärtig und unverzichtbar zu machen. Deshalb verschenkt Google immer öfter auch Software für den Desktop.
Um Googles Image gerecht zu werden und dieses weiter zu pflegen, müssen solche Produkte zwei elementaren Kriterien gehorchen: Sie müssen schlank sein - und gut.
Download: Die Tour beginnt
Schlank, das stellt man direkt fest, ist Picasa 2: Knapp über drei Megabyte groß ist die Installationsdatei, die Google natürlich über fixe Server ausliefert. Auf dem Rechner entpackt das Installationsprogramm Picasa zu einem Päckchen von nicht ganz 15 MB - das ist okay. Allerdings verlangt das Programm noch ein wenig mehr Platz, den es nach und nach befüllt: Die Mindestanforderung liegt bei 50 MB freiem Festplattenplatz( empfohlen sind 100 MB).
Denn Picasa ist selbst so etwas wie ein kleiner Bilder-Google. Die Software durchsucht den Rechner nach Grafikdateien, produziert Thumbnails und stellt seine Funde in einer Ordnerübersicht dar. Das geht fix und schafft Überblick. Auf dieser Ebene zeigt Picasa schnell seine Stärken.
Was auch immer man mit einem Bild in dieser Übersicht macht, es "geschieht" wirklich und Picasa merkt es sich. Sei es, dass man ein Bild um 90 Grad dreht, um es in der "Diashow" auch richtig zu sehen, sei es, dass man Korrekturen am Bild vornimmt.
Das geschieht durch eine kleine Auswahl von Filtern, die etwa Farb- und Kontrastwerte aufbessern, rote Augen aus Bildern entfernen oder spezielle Effekte einfügen sollen. Viel Einfluss gibt Picasa seinen Nutzern hier aber nicht: Die Standardfilter sind Nullachtfünfzehn. Sie haben den Vorteil, schnell und ohne viel Nachdenken Resultate zu erbringen und den Nachteil sehr geringer Flexibilität: Echte Bildbearbeitungsprogramme bieten hier erheblich mehr.
Picasa 2 ist also vornehmlich eine Bildverwaltungssoftware mit ein paar Bildbearbeitungsmöglichkeiten - das muss man pragmatisch sehen. Das Programm ist kein Ersatz für Photopaint, Gimp oder ähnliche Programme, aber es ist nicht nur der Bildverwaltung von Windows, sondern auch populären Programmen wie etwa Irfanview haushoch überlegen.
Was also bringt Picasa?
Wer sich mit dem Programm befasst, begreift schnell, warum Google es aufgekauft hat. Picasa ist ein schönes und effektives Werkzeug für Leute, die nicht gerne Ordnung halten auf ihrer Festplatte. Unter dem Strich ist Picasa ein Bildersuch-, Präsentations- und Organisationsprogramm.
Picasa schafft Strukturen, wo keine sind, erleichtert das Finden, Ordnen und Zusammenstellen von Bilden. Wie viele kommerzielle Produkte bietet auch Picasa Möglichkeiten, Bilder in "Alben" zusammenzufassen, umzubenennen oder mit "Meta-Informationen" zu verbinden, ohne die Ursprungsdateien zu verändern. So ließe sich ein Bild zum Beispiel mit Attributen wie "Sommer 2004", "Meer" und "Klein Mareike und ihre Puppe" verbinden und anhand dieser Metainfos gleichzeitig in verschiedene Diashows oder Alben ("Urlaubsbilder", "Bilder vom Meer" oder "Kinderbilder") einbinden, ohne das Bild bewegen oder kopieren zu müssen.
Blendwerk und kleine Schwächen
Gewöhnungsbedürftig ist mitunter die als Standard vorgegebene Indexierung, die Alben (oder Ordner) zunächst einmal chronologisch ordnet. Dabei kommt viel Unsinn heraus, und nagelneue Ordner finden sich aus zunächst unerfindlichen Gründen plötzlich ins Jahr 1999 gebeamt. Einen Ordner auf meinem Rechner versetzte das Programm ins Jahr 1908 - wohl weil die Systemuhr des Rechners, auf dem das darin enthaltene Bild erstellt wurde, verstellt war. Damit wäre auch dieses Rätsel gelöst: Picasa erfasst nicht, wann ein Ordner angelegt wurde, sondern fragt einfach nach dem vermeintlich ältesten Bild im Ordner.
Schicker Schnickschnack ist die Darstellung im so genannten Timeline-Modus, der Ordner und Bilder in einer Art Karusell-Ansicht vorbeirauschen lässt und dabei stark pixelige Schwarz-Weiß-Vorschauen exemplarischer Bilder in den Bildschirmhintergrund projeziert. Richtig cool wäre eine solche Funktion erst dann, wenn man Tom Cruise hieße, in der Zukunft lebte und den Bildfluss per Datenhandschuh dirigierte (wie in Minority Report). Wie gesagt: schick - aber sinnlos.
Weit sinnvoller ist das Werkzeug zum Erstellen von "Geschenk-CDs": Eine Funktion, Bildergalerien in Präsentationen geordnet auf CDs zu brennen (weitgehend identisch mit der "Backup"-Funktion für den eigenen Gebrauch). Die kecken Programmierer haben nicht vergessen, voreingestellt einen Auswahl-Haken zu setzen, der dafür sorgt, dass der CD-Empfänger das Picasa-Programm gleich mitgeliefert bekommt - auch so kann man den Begriff "virales Marketing" verstehen. Darüber hinaus bietet das Programm Schnittstellen, über die Bilder für den Versand per E-Mail optimiert und versandt werden sollen (erfordert Registrierung und zusätzlichen Download). Ungewöhnlich ist die "Hello!"-Funktion. Dahinter verbirgt sich ein Instant Messenger, über den sich nicht nur chatten lässt, sondern der auch als Bildversand-Werkzeug gedacht ist. Dazu kommt ein Hochladewerkzeug zur Befüllung eines bei Blogger (bekanntlich auch eine Google-Firma) hinterlegten Weblogs.
Fazit
Bilder suchen, ordnen und bereitstellen - in all diesen Funktionen kann Picasa mit kommerziellen Produkten locker mithalten. Abstriche muss man bei den Bildbearbeitungsfunktionen machen: Hier gibt es natürlich kommerzielle Produkte, die viele Klassen besser sind - aber auch kostenlose, die mehr können.
Auf der anderen Seite richtet sich Picasa aber auch nicht an passionierte Bilder-Bastler, sondern sucht seine Abnehmer in der Masse der Digi-Fotografen, die sich gern mehr Ordnung im Bilderchaos wünschen und außerdem ein Programm, mit dem sich eben schnell einmal die lästigen roten Blitzaugen aufbessern lassen - und vielleicht ein schicker Sepia-Effekt aufs Babyfoto legen lässt.
Kurzum: Wenn man nicht die Universallösung für alle Bildprobleme, sondern ein schickes Werkzeug vor allem für verwaltende Alltagsaufgaben sucht, ist Picasa ein Volltreffer.
Firmenstrategisch ist Picasa ein löblicher Ansatz, der Google, Blogger und eine Form der Desktopsuche verbindet. Noch ist es Google aber nicht gelungen, seine verschiedenen Softwareplattformen auf dem Desktop des PC-Nutzers sinnvoll und vollständig zu integrieren. Wer mit Microsoft boxen will, wird das aber wohl müssen.
Noch glänzen Googles bisher vorgestellte Einzellösungen für verschiedene Such- und Organisationsprobleme im Vergleich zur Konkurrenz aus Redmond. Die aber hat mit der absoluten Integration all ihrer Softwarelösungen in ihre Betriebssysteme stets die Möglichkeit, die PC-Nutzer im Zweifelsfall auch an mittelprächtige Programme zu gewöhnen: Das ist ein Trumpf, der schwer zu stechen ist.
Während Microsoft die PC-Nutzer stets bei deren Bequemlichkeit packen kann, muss Google sie mit seinen Produkten erst zu Download und Installation überzeugen. Der nächste logische Schritt wäre darum eigentlich eine Art Google-Browser, der die verschiedenen Google-Dienste (Desktop-Suche, spezialisierte Suchdienste, Websuche, Picasa, Blogger u.a.) auf einer Plattform zusammenführt. Denn spätestens mit der nächsten Windows-Version "Longhorn" (angekündigt für 2006) wird Microsoft versuchen, die lästige Google-Konkurrenz auszuhebeln.
Frank Patalong |