Die Ich-AG ist keine Alternative"
Der deutsche Soziologe Dirk Baecker spricht im STANDARD-Interview über "postheroisches Management" und den "Nutzen ungelöster Probleme"
Die "Ich AG" schaffte es in Deutschland zum Unwort des Jahres 2002 - Sprachexperten rügten die "lächerliche Unlogik" der Wortbildung - Für Baecker ist die Ich AG "bestenfalls die als Held verkleidete Opfervariante des gescheiterten Kapitalisten"
Seit Jahren beschäftigt sich der deutsche Soziologe Dirk Baecker mit "postheroischem Management" oder dem "Nutzen ungelöster Probleme" - und agiert dabei gerne auf einem bei Intellektuellen mitunter verpönten Terrain: Unternehmenskultur. Claus Philipp sprach mit ihm.
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STANDARD: Für die deutsche Zeitschrift "Blick durch die Wirtschaft" haben Sie Anfang der 90er-Jahre eine Reihe von Kolumnen geschrieben, die später in Buchform - "Post^heroisches Management", im Merve Verlag erschienen - bei Künstlern wie Heiner Müller starken Response auslöste. Mit Alexander Kluge haben Sie darüber kürzlich unter dem Titel "Vom Nutzen ungelöster Probleme" Gespräche publiziert. Was war ursprünglich die Ausgangssituation?
Dirk Baecker: Ein Verblüffungseffekt. In Stanford, wo ich mich auf meine Habilitation - Thema: Soziologische Unternehmenstheorien - vorbereitete, musste ich mich in aktuelle US-Managementphilosophien einlesen . . .
STANDARD: . . . großteils in sehr flott geschriebenen Ratgebern für Ich-Aktionäre . . .
Baecker: Genau. Aber ich musste mir selbst eingestehen, dass ich beeindruckt war: von einem pragmatischen, kalifornischen Blick. Einer Fähigkeit, über Unternehmen zu reden, ohne betriebswirtschaftliche Konzepte zu verwenden - etwa bei Tom Peters, einem Helden dieser Philosophie. Ich dachte, es lohnt sich, der etwas behäbigen deutschen Unternehmenswelt diese Ideen beizubringen, merkte aber, dass das eins zu eins nicht machbar war.
Ich musste die US-Managementphilosophie ironisieren, um sie in eine soziologisch halbwegs brauchbare Beschreibung zu übersetzen. Die Reaktionen der Zeitungsleser waren durchaus positiv.
STANDARD: Dennoch hat "Postheroisches Management" letztlich in Kunst- und weniger in Wirtschaftskreisen reüssiert.
Baecker: Schon die Herausgeberin von Merve, Heidi Paris, sagte: Das sind zwar Texte über Management, aber eigentlich geht’s um Lebenskunst. Das fand ich reizvoll, denn mir ging’s vor allem um eins: eine Beschreibung subtiler Intelligenz, die unter Leuten existiert, die man von außen oft für blöd hält.
Seit ich mich als Soziologe damit beschäftigte, hat es mich geärgert, dass linksintellektuelle Freunde Wirtschaft für ein banales, irgendwie dämliches Terrain hielten. Obwohl gerade da sehr viel Raffinement drinsteckt - auf der Systemebene wie auch auf der Ebene von Leuten, die in der Lage sein müssen, sich
mit zwölfstufigen Hierarchien herumzuschlagen. Ich wollte zeigen, dass es sehr wohl Möglichkeiten gibt, karrierefähig, subversiv, auch auf für das eigene Seelenheil gesunde Weise mit bürokratischen Phänomenen umzugehen.
STANDARD: Würden Sie historisch betrachtet sagen, dass die Problemstellungen heute komplexer geworden sind?
Baecker: Wenn man zu lesen versteht, findet man das, was Peters und andere Leute über aktuelle Managementwelten sagen, auch schon in alten Kapitalismusbeschreibungen:
Den Abenteurer zum Beispiel, der Leute zusammentrommelt, um in eine Schiffsladung aus China zu investieren. Wie schon hier eine hochgradig kluge Form gefunden wird, das Risiko zu verteilen - das ist ähnlich subtil in der Frage von Menschen- und Markteinschätzung wie heutige Strukturen. Ich würde sagen: Die Wirtschafts- und Managementwelt ist ein schöner Beleg dafür, dass wir uns nicht so bruchlos für modern halten sollten, wie das in den letzten Jahrzehnten zu oft geschah.
Ich spiele an auf Bruno Latour: "Wir sind noch nie modern gewesen." Ich finde das in der Wirtschaftswelt bestätigt - obwohl wir gerade da immer glaubten, wir wären besonders modern. Jetzt soll nicht die Industrialisierung in Abrede gestellt werden. Aber es soll in Abrede gestellt werden, dass mit der Industrialisierung ganz neue Verhaltensformen entstanden.
STANDARD: Diese Abwertung des Wirtschaftsterrains als "banal" und "idiotisch" . . .
Baecker: . . . setzt ebenfalls nur eine alte Unterscheidung von "Geld" und "Geist" fort. Es spielt hier wohl auch Angst eine nicht zu unterschätzende Rolle: Angst davor, dass man von den kritisierten Unternehmern abhängiger ist, als man sich das eingestehen will. Wenn man die intellektuelle Kritik an Wirtschaftstreibenden ernst nimmt, müsste man eigentlich sagen: Gut, ich geh’ nicht mehr arbeiten.
STANDARD: Warum?
Baecker: Weil man - wenn man Kritik übt - Alternativen testen sollte. Die Ich-AG ist zum Beispiel keine Alternative: Sie ist bestenfalls die als Held verkleidete Opfervariante des gescheiterten Kapitalisten. Das ist ein Köder für Leute, die keine andere Chance haben, als sich selbstständig zu machen, aber weiterhin vom selben Unternehmer, derselben Branche abhängig sind. Ich stelle gerne Überlegungen darüber an, was das hieße, wenn wir alle Unternehmer würden, ich teile aber nicht die Ich-AG-Illusion, dieses Problem sei schon gelöst.
STANDARD: Woher kam dann der Begriff "postheroisches Management"?
Baecker: Ich hing damals an einer für Ökonomen unverändert brisanten Frage: Dass man an gewissen Theorien nur festhalten kann, wenn man ein Unternehmen als Preisnehmer sieht. Das heißt: Preise kommen angeblich auf eine mirakulöse Weise zustande, der Unternehmer nimmt sie zur Kenntnis und produziert etwas, das sich zu diesem Preis machen lässt. Empirisch ist das völliger Humbug, aber die Theorien dazu sind intellektuell teilweise hochrangig.
STANDARD: Sie laufen höchst ergiebig ins Leere?
Baecker: Anders gesagt: Es gibt tolle Theorien, die von völlig falschen Ansätzen ausgehen. Zum Beispiel: Dass jeder Mensch ein Nutzenmaximierer ist; oder dass Unternehmen Gewinne optimieren. Das sind empirisch falsche Startprämissen, was aber nichts ausmacht, weil es oft trotzdem zu richtigen Beschreibungen führt. Ein Beispiel: Wenn man behauptet, das meiste in der Wirtschaft verdanke sich individuellem Kalkül, dann ist Kalkül oft nur eine nützliche Suggestion, weil es erlaubt, Dinge zu beschreiben, die ansonsten als zu komplex nicht beschrieben werden könnten.
STANDARD: Sie behaupten dagegen, "heroisch" kalkulierende Protagonisten gibt es nicht?
Baecker: Weder wird der Preis heroisch gesetzt, noch wird er von einer unsichtbaren Hand fixiert. Ein Unternehmen muss also auf eine Art positioniert und geführt werden, dass ein Preis entwickelt werden kann. Zwischen Marketing, Produktion, Geschäftsführung etc. muss es also Abstimmungsprozesse geben, in denen machbare Realitäten als solche konstruiert werden.
STANDARD: Damit sie auch der einfachste Arbeiter versteht und akzeptiert?
Baecker: Alle im Unternehmen müssen daran beteiligt sein, ein operativ durchhaltbares Bild der Wirklichkeit zu produzieren. Das zwingt mich, die Sprache, mit denen Manager diesen Prozess steuern und ermöglichen, zu beschreiben. Menschen, die sich fragen müssen: Wie kann ich die Eigeninteressen meines Mitarbeiters ausblenden, diese Interessen aber gleichzeitig so ausblenden, dass sie auf der Ebene der Motivation eines Mitarbeiters immer noch eine Rolle spielen können? Und da schrieb ich an gegen - wie Rainald Goetz das einmal so schön formulierte - die "dröhnenden Tonfälle des Managers", die Selbstdarstellung auftrumpfender Kontrollore mit Krawatte.
STANDARD: Ein Gedankenspiel: Marx wird heute von einer Zeitung als Kolumnist engagiert. Wie würde er sich verhalten?
Baecker: Er würde sicher stärker wettern und schimpfen als ich. Er würde stärker Ausbeutungsmechanismen beschreiben. Er hätte sich bemüßigt gesehen, etwa zum Begriff des Managements eine eigene Theorie zu formulieren. Er hätte sicher auch eingesehen, dass sich der Klassenkampf verschoben hat.
STANDARD: Inwiefern?
Baecker: Weg von der alten Kapital-Arbeit-Differenz. Hin zu einer Differenz zwischen spekulativem und investivem Kapital. Der ganze Streit, der derzeit Unternehmen beschäftigt und ganze Arbeitergemeinschaften zwingt, sich mit der eigenen Unternehmensführung im selben Boot zu fühlen, ist doch der: Wie kann man trotz der herunterkorrigierten Marktbewertung die zwei, drei Jahre sicherstellen, die es braucht, um einen bestimmten neuen Markt, notwendige neue Projekte zu entwickeln? Das ergibt eine unerhörte Spannung der Zeithorizonte. Das kurzfristige Kalkül des Investors, der will, dass "es sich schnell rechnet", gegen das lang- oder zumindest mittelfristige Kalkül einer produktiven Energie: Das würde ich derzeit in einzelnen Konzernen einmal anschauen. Jeder kämpft da um seine Zeit und Sprache - um sagen zu können: "Ich bin noch nicht da, wo ich hin will." (DER STANDARD Printausgabe, 9.1.2004) |