in den seriösen westlichen Medien
Seit einer Woche herrscht Krieg im Kaukasus, und über das Vorgefallene gibt es nur wenig zuverlässige Informationen. Doch eines hat sich bereits mit großer Klarheit herausgestellt: Daß die seriöse Qualitätspresse der westlichen Demokratien nicht an Recherche und Aufklärung interessiert ist, sondern sich auf reine Propaganda beschränkt.
Ihr Vorgehen ist dabei so dreist, so dumm, so durchschaubar und so umfassend verbreitet, daß es längst nicht mehr nötig ist, lange Zitate anzuführen – längst ist die Zeit gekommen, den Mißbrauch der Deutungsmacht zu analysieren.
1.) Keiner unserer Meinungsverantwortlichen will wahrhaben, daß der georgische Präsident Saakaschwili mit seinem irsinnigen Befehl zum Angriff auf Zchinwal offenkundig ein Kriegsverbrechen begangen hat. Stadttdessen versuchen sie, den menschenverachtenden Überraschungsangriff der regulären georgischen Armee (die Zerstörung einer schlafenden Stadt durch massiven Panzer- und Raketenbeschuß) als eine Bagatelle abzutun oder durch vage, ungeprüfte Hinweise auf „rusische Provokationen“ zu rechtfertigen.
2.) Keiner will wahrhaben, daß die westlichen Regierungen, die sich in der Vergangenheit für die Aufrüstung Georgiens stark gemacht haben, für Saakaschwilis Verbrechen moralische und politische Mitverantwortung tragen. Daß die USA, die NATO und Deutschland nun vor der ganzen Welt zwangsläufig unter Verdacht stehen müssen, Saakaschwili zu seinem mißglückten Angriffskrieg angestiftet zu haben. (Frage: Warum haben die vor Ort zahlreich anwesenden CIA- und BND-Agenten nichts von den Angriffsvorbereitungen gemerkt?) Doch niemand kommt auf die Idee gekommen, Herrn Steinmeier oder Frau Rice zum Rücktritt aufzufordern.
3.) Alle werfen Rußland vor, seine Reaktion sei „unangemessen“ und „überzogen“ – aber keiner macht sich die Mühe, zu erklären, worin genau diese Unangemessenheit eigentlich besteht und auf welches Verständnis von Kriegsvölkerrecht sie sich dabei beziehen. Sind sie etwa der Meinung, das angegriffene Russland habe kein Recht, militärische Ziele im Hinterland anzugreifen? Oder sind sie der Meinung, die russische Armee müsse metergenau auf der bisherigen Grenzlinie stehen bleiben? Und halten unsere Chefredakteure etwa auch die Zerstörung von Waffenlagern für ein Kriegsverbrechen? Das müssen sie schon etwas genauer sagen.
4.) In kaum einem Kommentar wurde der traurige Umstand gewürdigt, daß die westliche Staatengemeinschaft in den letzten 10 Jahren mehrere Angriffskriege geführt und gleichzeitig zahllose Militärschläge Israels toleriert hat, die nach traditioneller Auffassung zweifellos völkerrechtswidrig waren. Und daß der Westen folglich keine Möglichkeit mehr hat, von Rußland oder anderen Ländern die Einhaltung der Normen des traditionellen Völkerrechts einzufordern. Daß Rußland die neuen Spielräume für sich nutzt, ist nur natürlich. Tatsächlich orientiert sich Rußland aber immer noch viel stärker am traditoinellen Völkerrecht als Israel oder die Nato das tun.. Es spricht nicht für die Glaubwürdigkeit unserer Presse, daß die der Frage, ob das Völkerrecht nun für alle Staaten gilt oder nur für manche, immerzu ausweichen will.
5.) Kaum ein Chefredakteur hielt es für nötig, die Hintergründe der ethnischen Konflikte, insbesondere die Vorgeschichte des georgischen Bürgerkriegs 1990-1992, genauer recherchieren zu lassen. Der abgedroschene Gemeinplatz, daß die Zukunft nur in Kenntnis (bzw. „Aufarbeitung“) der Vergangenheit bewältigt werden kann, scheint in Bezug auf Georgien keine Geltung zu haben Anonsten hätte unseren Journalisten auffallen müssen, daß die ethnischen Konflikte auch unabhängig von Moskauer Einflußnahme existieren und daß die georgische Demokratiebewegung schon 1990 von völkisch-chauvinistischen nicht ganz frei war. Daß es schon damals zu ethnischen „Säuberungen“ kam und daß es schlechthin zynisch ist, die Frage nach den Sicherheitsgarantien für die Minderheiten ausschließlich unter geopolitschen Aspekten zu betrachten -- nicht auch unter humanen. Nehmen wir an, es Saakaschwili gelungen, Südossetien und Abchasien mit NATO-Hilfe im Blitzkrieg zu erobern – wer hätte dann dafür garantieren können, daß diese Minderheiten nicht das gleiche Schicksal erleiden wie die kosovarischen Serben? Es wäre unweigerlich zu einer Massenflucht nach Rußland gekommen. Das Eintreffen zehntausender Flüchtlinge im russischen Nordkaukasus hätte aber wiederum zu einer Instabilisierung dieser ohnehin prekären Region führen müssen. (Und tatsächlich hat Christian Neef auf SPIEGEL-Online (9.8.) den Vorschlag gemacht, den ossetischen Konflikt durch Deportation zu „lösen“). Wenn Rußland die beiden abtrünnigen Regionen schützt, dann womöglich nicht nur aus „Rache“ für den Kosovo, sondern es verteidigt auch seine ureigenen Sicherheitsinteressen. Rußland ist, in dieser Gegend selbst viel zu schwach und viel zu verwundbar, als daß es sich leisten könnte, die Situation mutwillig zu destabilisieren. Russische Analytiker behaupten seit langem, daß es die Nato ist, die den Kaukasus bewußt destabilisiert, um Rußland zu schwächen -- und die jüngsten Ereignisse haben diesen Verdacht nicht unbedingt entkräftet.
6.) Der miserable Zustand der georgischen Demokratie unter Saakaschwili wurde schon in den letzten Jahren systematisch schöngeredet. Das Verhalten dieses Menschen spricht für sich, darum spare ich mir lange Ausführungen. Georgien ist derzeit ungefähr so demokratisch wie Serbien unter Milosewitsch. Die Behauptung, der Westen hätte sich in den letzten Jahren „für die georgische Demokratie“ eingesetzt, ist ebenfalls unzutreffend – richtig ist nur, daß er Georgien militärisch aufgerüstet hat, um Rußland unter Druck zu setzen. Von einer besonderen Förderung demokratischer Institutionen oder von beharrlichen Ermahnungen zur Einhaltung demokratischer Regeln, ist hingegen wenig bekannt geworden. In anderen osteuropäischen Ländern unterstützt der Westen die „demokratische“ Opposition finanziell und politisch, in Saakaschwilis Georgien hat er das aus irgendwelchen Gründen leider unterlassen.
7.) Nun noch ein Wort zur Russophobie, die manche Meinungsverantwortliche verleitet, tief unter die Gürtellinie zu schlagen. So wie Richard Cohen, der sich nicht zu blöde war für die Festellung, daß „schon seine Großmutter George W. Bush hätte sagen können, daß Rußland immer betrügt“, die häufige Unterscheidung zwischen dem „zivilisierten“ Westen und dem nicht ziviliserten, mithin barbarischen Rußland; die umstandslos bemühten Analogien zu Nazi-Deutschland (Warnung vor „Appeasment“-Politik) und zur Breschnew-Doktrin, der Vergleich mit Prag 1968 (welch eine unverfrorene Beleidigung für die Tschechen!) usw./usf. Warum vergleichen alle mit Hitler und Breschnew, warum vergleicht niemand mit den USA, der Nato, mit Israel?
8.) Die obszöne Einseitigkeit unserer Presse ist nicht nur moralisch inakzeptabel, sondern auch überaus schädlich. Schädlich für uns, für unser Demokratie und das Prestige unserer Demokratie in der übrigen Welt. Ist unserer Journaille denn gar nicht bewußt, daß man sie auch im Ausland liest? Daß auch die politisch interessierte Jugend in Asien, Rußland und Lateinamerikas mitliest? Glauben unsere Journalisten wirklich, z.B. durch solche Berichterstattung jemanden für die westliche Demokratie gewinnen zu können?
von HansMeier555 aus dem zeit forum
ein unverbesserlicher, der noch meint was daran ändern zu können.
was keinen sinn macht ist, als grundlage von diskussionen, die "seriösen westlichen Medien" zu nutzen. die 1,90 bis 5€ pro ausgabe kann man sich wirklich sparen.
naviagtorc
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