Vor neuer Nato-Offensive in AfghanistanNato will eine Bezirkshauptstadt zurückerobern, die von den Taliban eingenommen wurde. Der scheidende Nato-Oberkommandierende Richards sieht Taliban gescheitert; sie hätten keins ihrer Ziele erreicht: "Der Sieg ist zum Greifen nahe"VON BERNARD IMHASLY In der südafghanischen Provinz Helmand bereitet die Nato eine neue Offensive vor, deren Ziel es ist, die wichtige Bezirkshauptstadt von Musa Kala zurückzuerobern. Sie war am Donnerstag in die Hände der Taliban gefallen, als diese die wichtigsten Punkte der Stadt besetzten. Dem Handstreich waren keine Kämpfe vorangegangen, denn vor vier Monaten hatten die britischen Nato-Soldaten den Ort geräumt, nachdem lokale Stammesführer mit den Taliban eine Vereinbarung getroffen hatten, wonach diese die lokale Stammeskontrolle respektieren würden, falls die Nato abziehe. Der Rückzug war damals heftig kritisiert worden, da den Taliban nicht zugetraut wurde, dass sie sich an eine quasiinternationale Vereinbarung halten würden. Nato-Oberkommandierender General David Richards hatte den Schritt aber verteidigt als Teil eines Versuchs, die lokalen Strukturen zu stärken, anstatt mit einer militärischen Besetzung Ressentiments unter der Bevölkerung zu nähren. Die Nato folgte damit auch dem Druck von Präsident Hamid Karsai, der immer wieder davor warnt, die politische Sprengkraft ausländischer Besatzungstruppen in Afghanistan zu unterschätzen. Sein Außenminister, Rangin Dadfar Spanta, allerdings äußerte jetzt Kritik am Vorgehen der Nato: Er sei "von Anfang an" misstrauisch gewesen, sagte Spanta am Sonntag vor Journalisten. Daher sei er nun "froh, dass dieses verdächtige Abkommen" gebrochen sei. Mit der militärischen Besetzung von Musa Kala durch die Islamschüler scheint das Experiment misslungen. Allerdings gab es auch afghanische Stimmen, die den Vertragsbruch mit einem Luftangriff der Nato auf einen Taliban-Kommandanten vor Wochenfrist im gleichen Distrikt erklärten. Für die Taliban sei die Besetzung des Distrikthauptorts ein Racheakt gewesen. Sie erfolgte unter dem Kommando von Mullah Abdul Gafur, dem Bruder des getöteten Taliban. Ein Nato-Sprecher wies diese Version zurück und erklärte, der Anschlag auf den Kommandanten sei außerhalb der vereinbarten Region um die Stadt erfolgt. Gafur selbst wurde am Samstag bei einem Luftangriff getötet. Talibansprecher Jusuf Ahamdi sagte der Nachrichtenagentur AFP unterdessen, die Kämpfer seien bereit, sich wieder aus der Stadt zurückzuziehen. Bedingung dafür sei, dass die Internationale Afghanistan-Schutztruppe Isar den Stammesältesten von Musa Kala verbindliche Garantien gebe, die Stadt nicht mehr zu bombardieren. Unterdessen hat General Richards am Wochenende nach neun Monaten das Nato-Oberkommando in Afghanistan abgegeben. Dem Briten folgt mit General Dan McNeill der erste Amerikaner an der Spitze der 35.000 Mann starken Nato-Truppe in Afghanistan, die inzwischen auch die internationale Schutztruppe Isaf einschließt. Unter Richards hatte die Kampftätigkeit eine bisher nie gesehene Intensität angenommen, mit rund 150 Selbstmordattentaten und zahlreichen militärischen Gefechten; insgesamt kamen im letzten Jahr über 4.000 Menschen ums Leben, drei Viertel von ihnen Taliban-Kämpfer. Richards erklärte, militärisch fielen die Resultate zugunsten der Nato aus, und es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Taliban geschlagen seien. "Der Sieg ist zum Greifen nahe", sagte er. Er verband damit die Hoffnung, dass damit auch die Stimmung unter der Bevölkerung zugunsten der staatlichen Einrichtungen kippe, was den Taliban einen wichtigen Nährboden entzöge. Richards kündigte eine neue Frühjahrsoffensive an, die diesmal nicht von den Taliban, sondern von der Nato kommen werde. Eine wesentliche Bedingung für einen militärischen Erfolg wird die Fähigkeit sein, den Nachschub von Kämpfern und Suizidtätern aus Pakistan zu unterbinden. Am Freitag erklärte dessen Präsident Musharraf ein weiteres Mal, sein Land stehe im Kampf gegen den Terror voll auf der Seite der internationalen Gemeinschaft. Er gab zu, dass es an der Grenze zu Afghanistan manchmal Lücken gebe. Dies sei aber aber lokalen und persönlichen Umständen zuzuschreiben und nicht dem mangelnden Willen Pakistans. Er wiederholte seinen Vorsatz, die Grenze zu verminen und/oder mit Sperrzäunen auszulegen. taz |