"Das kann tödlich sein" An diesem Wochenende geht es bei der Tour de France ins Hochgebirge. Professor Jürgen Reul, Chefarzt der Neuro-Radiologie im Kreis-Klinikum Siegen und Hobbyradler, fuhr im Vorfeld zweimal die berühmten 21 Serpentinen ins 1850 Meter hohe Alpe d'Huez hinauf. Am 21. Juni "sauber", am 4. Juli nach einer zweiwöchigen Epo-Kur gedopt. Der 50- Jährige ist sportlich sehr aktiv, legt jährlich zwischen 6000 und 8000 Kilometer auf dem Rad zurück, läuft Marathon und nimmt regelmäßig am Roth-Triathlon teil.
Lance Armstrong wurde 2004 als Sieger des Zeitfahrens für die 13,9 km in 39:41 Minuten gestoppt. Und Sie?
Jürgen Reul: "Für die selbe Strecke habe ich ungedopt 70 Minuten gebraucht, gedopt 66 Minuten. Ein durchschnittlicher Hobbyfahrer braucht für diese Strecke rund 90 Minuten. Ich bin gut trainiert. Jemand, der das nicht ist, dem hilft auch Doping nichts. Ohne Training wäre diese Zeit für mich nicht möglich gewesen."
Sie haben sich also um gut fünf Prozent verbessert.
Jürgen Reul: "Das wird ja immer noch sehr kontrovers diskutiert. Manche sagen, es sind nur Steigerungen von einem Prozent möglich, andere gehen von sieben bis 15 Prozent aus. Bei mir wäre die Auswirkung bei gleichen Bedingungen wohl deutlich stärker gewesen."
Wieso?
Jürgen Reul: "Beim ersten Versuch hatte ich optimales Wetter. Es war 22 Grad warm, sonnig, wolkenlos und windstill. Beim zweiten Mal hatte es nur drei Grad, es war bitterkalt. Zum ekligen Regen und der nassen Straße kamen noch Böen und Gegenwind. Und trotzdem bin ich vier Minuten schneller unterwegs gewesen. Das lag eindeutig am höheren Hämatokritwert. Normal lag er bei 48, nach der Manipulation mit Epo bei 53."
Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Jürgen Reul: "Ich habe das auch gemacht, um die Gefühlslage bei solchen Manipulationen nachempfinden zu können. Man hat keinerlei Hemmschwellen mehr. Man hat ein Gefühl, als ob man unendlich und ununterbrochen Gas geben könnte und fühlt sich am Ziel noch nicht einmal völlig ausgepowert. Ich habe streckenweise nicht einmal verspürt, dass ich einen sehr steilen Berg hinauf fahre, das kam mir phasenweise eher wie eine Flachetappe vor. Man hat außerdem eine höhere Kampfmoral und unterschwellige Aggressionen."
Gedopt fährt es sich also leichter?
Jürgen Reul: "Richtig. Gerade deshalb sind diese Manipulationen höchst unsportlich. Das ist ungefähr so, als ob jemand bei einem Marathon zwischendurch zehn Kilometer lang die U-Bahn benutzt. Das hat nichts mehr mit dem Ethos des Sports zu tun. Es ist schon deswegen nicht fair, weil es sich nicht jeder Fahrer leisten kann, für zwei Wochen Epo-Doping 2500 Euro auszugeben. So viel hat mich diese 'Kur' gekostet."
War der Versuch medizinisch unbedenklich?
Jürgen Reul: "Überhaupt nicht, das war ein erheblicher gesundheitlicher Eingriff. Die Gefahren sind riesig: Herzinfarkt, Schlaganfall, Lungenembolie, das kann tödlich sein. Wer so etwas macht, der ist ein Kamikaze-Fahrer. Die Leute unterschätzen das Risiko."
Hatten Sie Angst?
Jürgen Reul: "Ja, mir war mulmig zumute. Ich kam mir außerdem mies vor, weil ich nicht das Gefühl hatte, eine eigene sportliche Leistung vollbracht zu haben. Man fühlt sich so, als wäre man nicht selber, sondern mit einem Hilfsmotor hoch gefahren. Nach dieser Erfahrung ist für mich klar: Wenn Mediziner Dopingmittel einsetzen, ist das kriminell. Ich kann keinen Kollegen verstehen, der sich auf so etwas einlässt."
"Haben Sie sich strafbar gemacht?"
Jürgen Reul: "Wenn ich einen anderen gedopt da hoch geschickt hätte, dann ja. Deshalb war der Selbstversuch die einzig legale Möglichkeit. Ich habe mir sogar das Epo-Rezept selber ausgestellt. Epo ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Wenn es sich jemand vom Schwarzmarkt oder anderweitig besorgt, dann ist das illegal und strafbar."
"Verfolgen Sie die Tour jetzt mit anderen Augen?"
Jürgen Reul: "Ich weiß jedenfalls, was in den Fahrern vorgeht und wie es in ihnen aussieht. Vielleicht kann meine Erfahrung zu noch mehr Aufklärung beitragen. Ich fände es gut, wenn dieses Jahr bei der Tour nur ein Schnitt von 35 km/h statt über 40 km/h gefahren würde. Das Faszinierende ist doch das Rennen an sich und nicht die Geschwindigkeit des Einzelnen oder des ganzen Feldes."
Das Interview führte Andreas Müller (sid)
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