SPIEGEL ONLINE - 15. Mai 2007, 16:28 URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,483045,00.html
CHRYSLER-VERKAUF
Wie sich die IG Metall mit einer Heuschrecke einlässt
Von Anselm Waldermann
Vor ein paar Wochen war das noch undenkbar: Der US-Autobauer Chrysler wird an eine Heuschrecke verkauft. Doch nun stimmen selbst die Gewerkschaften dem Geschäft zu. Die IG Metall hüllt sich in Schweigen.
Hamburg - Wer auf eine offizielle Erklärung hofft, der wartet vergebens: Die IG Metall äußert sich zum Verkauf von Chrysler an den Finanzinvestor Cerberus nicht. "Da halten wir uns zurück", sagt ein Gewerkschaftssprecher in Baden-Württemberg. Auch in der Bundeszentrale in Frankfurt gibt man sich schweigsam. Eigene Stellungnahmen formulieren die IG-Metall-Funktionäre nicht, stattdessen wird auf die Pressemitteilung des Gesamtbetriebsrats von DaimlerChrysler verwiesen. "Dem gibt es nichts hinzuzufügen", sagt ein Gewerkschaftssprecher knapp.
Chrysler-Stern: Von internationaler Solidarität keine Spur DDP
Chrysler-Stern: Von internationaler Solidarität keine Spur
Die Verschwiegenheit der größten deutschen Industriegewerkschaft hat ihren Grund. Denn bisher war die IG Metall an vorderster Front dabei, wenn es darum ging, den Heuschrecken-Kapitalismus zu bekämpfen. Noch im Herbst plante sie ein Informationsnetzwerk aus Betriebsräten, an das sich Mitarbeiter wenden können, wenn ihre Firma von Finanzinvestoren übernommen wird. "Eine Art erste Hilfe" nannte das Bundesvorständlerin Babette Fröhlich. Sogar auf den Titel ihres Monatsmagazins hob die IG Metall die angeblichen "Aussauger".
Doch nun ist davon nichts mehr zu hören. Im Gegenteil: Auch die Arbeitnehmervertreter der IG Metall wollen im Aufsichtsrat von DaimlerChrysler für den Verkauf der US-Sparte an Cerberus stimmen - von internationaler Solidarität keine Spur.
Im Aufsichtsrat des deutsch-amerikanischen Konzerns spielen die Arbeitnehmervertreter traditionell eine gewichtige Rolle: Gegen ihren Willen geschieht fast nichts. Umso erstaunlicher ist der Sinneswandel der IG Metall. Was hat die Gewerkschafter dazu bewogen?
Bisher machten die zehn Arbeitnehmervertreter im DaimlerChrysler-Aufsichtsrat - neun Deutsche und ein Amerikaner - keinen Hehl daraus, dass sie sich gegen den Verkauf an einen Finanzinvestor stemmen würden, falls Vorstandschef Dieter Zetsche dies vorschlagen sollte. "Für uns ist wichtig, dass Chrysler nicht zerstückelt wird", sagte Gerd Rheude, Betriebsratsvorsitzender im Wörther Lastwagenwerk und Mitglied im Aufsichtsrat des Konzerns. Vielmehr müsse eine Lösung gefunden werden, "durch die die Jobs unserer amerikanischen Kollegen gesichert bleiben".
Noch deutlicher äußerte sich Helmut Lense, Betriebsratschef im Motorenwerk Untertürkheim. Sollte sich DaimlerChrysler demnächst von seiner amerikanischen Hälfte trennen, dürften auf keinen Fall Finanzinvestoren zum Zuge kommen. "Den Verkauf an Private-Equity-Investoren, die nur die Filetstücke herausschneiden, unterstützen wir nicht", sagte Lense, der ebenfalls dem Kontrollgremium des Autokonzerns angehört.
Zu diesem Zeitpunkt bestand noch Hoffnung, dass der schwäbisch-amerikanische Konzern um einen Deal mit einer Heuschrecke herumkommen würde. Denn neben den Private-Equity-Firmen Cerberus, Blackstone und Centerbridge Partners galt vor allem der kanadische Autozulieferer Magna als ernster Interessent für Chrysler.
Den Klotz am Bein loswerden
Doch hinter den Kulissen war schnell klar, wer das Rennen machen würde. So lässt sich wohl auch erklären, warum ausgerechnet Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm zu der heiklen Frage bedeutsam schwieg. Zu den möglichen Interessenten für Chrysler hieß es von ihm stets: "Kein Kommentar." Nur eine Aussage war ihm zu entlocken: Er werde sich für "die nachhaltige Sicherung der Zukunft der Chrysler-Arbeiter und ihrer Familien" einsetzen.
Tatsächlich jedoch war das Mitgefühl der deutschen Beschäftigten mit ihren amerikanischen Kollegen nie besonders groß. Die meisten wollten Chrysler lieber heute als morgen abstoßen - und so den lästigen Klotz am Bein loswerden. Klemm höchstpersönlich warnte vor negativen Folgen für den Konzern durch die Verluste von Chrysler. "Die Menschen sind weit auseinander", sagte er einmal. "Der Kollege am Fließband in Sindelfingen und der in Detroit - die kennen sich nicht."
Entsprechend leicht fiel es der Konzernspitze, das Ja der deutschen Belegschaft zum Chrysler-Verkauf zu erwirken. Schließlich drohte das Milliarden-Minus bei Chrysler den Gesamtkonzern mit nach unten zu ziehen. "Ich glaube, die Not war noch viel größer, als wir alle je gedacht haben", sagt Guido Reinking, Chefredakteur der "Automobilwoche", im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Nur so lässt sich erklären, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat diesem Verkauf zustimmen wollen."
Den Ausschlag gab aber wohl das Votum der amerikanischen Gewerkschaft UAW. Für die deutsche Seite sei die Zustimmung der amerikanischen Kollegen entscheidend gewesen, sagt Thomas Klebe, der für die IG Metall im Aufsichtsrat des Konzerns sitzt. "Das war für uns eine wichtige Orientierung."
Ähnlich formuliert es Betriebsratschef Klemm. Da sich Ron Gettelfinger, der Präsident der UAW, mit dem Verkauf an Cerberus zufrieden gezeigt habe, "fällt es den anderen Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat leicht, diese Entscheidung mitzutragen". Die Mitarbeiter könnten nun sowohl bei Chrysler als auch bei der künftigen Daimler AG in eine "gesicherte Zukunft" blicken.
Noch vor wenigen Tagen hatte sich das ganz anders angehört. UAW-Chef Gettelfinger machte sich immer wieder für den vollständigen Verbleib von Chrysler im Konzernverbund stark. Vor allem den Verkauf an einen Finanzinvestor lehnte er ab. Wenn Chrysler schon abgestoßen werde, dann, so forderte er, bitteschön an den kanadischen Autozulieferer Magna, also an ein klassisches Industrieunternehmen.
Eineinhalb Stunden Überzeugungsarbeit
Auch die kanadische Gewerkschaft CAW hätte sich Magna als neuen Eigentümer für Chrysler gewünscht. Dem Finanzinvestor Cerberus stehen die Kanadier noch heute skeptisch gegenüber. Er sei "enorm besorgt", sagte CAW-Präsident Buzz Hargrove. Die Gewerkschaft habe in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen mit solchen Unternehmen gemacht.
Wirklich wichtig war jedoch nur Gettelfingers Votum. Die nötige Überzeugungsarbeit übernahm Konzernchef Zetsche persönlich. Eineinhalb Stunden nahm er sich Zeit, um den US-Gewerkschafter in Stuttgart auf Linie zu bringen. Punkt für Punkt erläuterte der Manager, warum Chrysler jetzt an Cerberus gehen müsse. Gettelfinger machte dabei einen "allerletzten, verzweifelten Versuch", wie er es beschreibt, den Deal doch noch zu verhindern. Zu spät. Am Ende des vertraulichen Tete-à-tetes gab der Arbeiterführer zähneknirschend seinen Segen.
Ein Argument war für Gettelfinger schließlich entscheidend: Cerberus versicherte ihm, die Chrysler-Pensionen, die den Konzern mit 18 Milliarden Dollar belasten, unangetastet zu lassen. Zurück in Detroit beruhigte der Gewerkschafter seine Leute: Der Verkauf an den Finanzinvestor sei "im besten Interesse unserer Mitglieder".
Theorie und Praxis klaffen auseinander
Für die Private-Equity-Branche ist das wie ein Ritterschlag. Nach jahrelangen Anfeindungen bekommen die Unternehmen nun von den Gewerkschaften offiziell bestätigt, dass sie gar nicht so schlimm seien. "Der Begriff 'Heuschrecke' wird bald der Vergangenheit angehören", jubelt eine Mitarbeiterin aus der Branche.
Manfred Jäger hält diese Entwicklung für durchaus stringent. Er ist Ökonom am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft und beobachtet die Private-Equity-Branche seit Jahren. "Die Gewerkschaften schauen sich unabhängig vom politischen Disput die Lage des einzelnen Unternehmens an", sagt er zu SPIEGEL ONLINE. "Dabei merken sie oft, welche positiven Impulse von Private-Equity-Firmen ausgehen können. Vor Ort sieht das dann oft anders aus als in der politischen Theorie."
Allerdings: In der offiziellen Programmatik der Gewerkschaften findet sich diese Erkenntnis noch nicht wieder. Die Arbeitnehmerorganisationen hätten deshalb "ein Darstellungsproblem", konstatiert Jäger. "Der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften hilft das nicht gerade."
Mit Material von dpa/dpa-AFX/Reuters
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