....Ein von der OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone vorgelegter Vergleich der Entwicklung der Arbeitsmärkte und der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bestätigt die Einschätzung, dass der Wirtschaft in der Eurozone ein mit den Vereinigten Staaten vergleichbarer Schwung (noch) fehlt. Und anders als in Amerika sind bislang kaum Anzeichen für eine deutliche Verteuerung der Löhne erkennbar. Das unterstützt die Position derjenigen, die von einer Dramatisierung der Inflationsgefahren in der Eurozone warnen.
Sie sehen sich in ihrer Einschätzung durch die Erwartungen an den Finanzmärkten bestätigt, die sich zusammen mit Prognosen der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung durch die EZB in einer Inflationsprognose der Zentralbank von jeweils 1,8 Prozent für die Jahre 2023 und 2024 niederschlagen. Damit läge die Rate der Geldentwertung sogar leicht unter der mittelfristigen Zielrate von 2 Prozent. Eine Verschärfung des Kurses, der wegen der Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik die aktuelle Inflationsrate ohnehin nicht beeinflussen könne, sei daher unnötig, heißt es. Schäden für die Konjunktur, die aus einer vorzeitigen Straffung entstehen könnten, würden damit vermieden. „Die Kriterien für Veränderungen der Leitzinsen sind daher nicht vorhanden. Das bleibt unsere Sichtweise“, befindet Lane.
Der mit dieser Haltung verbundene wachsende Erklärungsbedarf bleibt den EZB-Oberen immerhin nicht verborgen, zumal die Zentralbank – wie viele Ökonomen – den aktuellen Inflationsschub unterschätzt und stattdessen kommuniziert hatte, das eigentliche Problem bestehe in der Gefahr, dass die Inflationsrate künftig zu niedrig sein könnte. Dies hatte sich als ein kommunikatives Desaster erwiesen, das man nun korrigieren möchte. „Uns ist bewusst, dass steigende Preise vielen Menschen Sorge bereiten, und wir nehmen diese Sorge sehr ernst“, sagte Präsidentin Christine Lagarde vor wenigen Tagen anlässlich der Amtseinführung des neuen Bundesbankpräsidenten Joachim Nagel. „Die Menschen können sich darauf verlassen, dass wir unerschütterlich an unserem Preisstabilitätsziel festhalten. Es ist entscheidend für die feste Verankerung der Inflationserwartungen und für das Vertrauen in unsere gemeinsame Währung.“
Derweil verdichten sich die Anzeichen für einen Kurswechsel in der EZB: Nachdem Lagarde und Lane einschränkend betonten, dass eine sich ändernde Datenlage auch eine Änderung der Geldpolitik mit sich bringen könnte, versicherte nun auch der Gouverneur der Banque de France, François Villeroy de Galhau, die Prognosen der EZB seien nicht als „blinde Sicherheit“ zu verstehen. Stelle sich der Preisauftrieb als dauerhaft heraus, werde die EZB handeln. Die Unterstützung für Lanes bisherigen geldpolitischen Kurs scheint nachzulassen.
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A.L.: Wenn in USA und Europa die Zinsen steigen und QE zurückgefahren wird, droht den Aktienmärkten 2022 eine kräftige Korrektur. Technologieaktien wie Netflix nehmen dies bereits vorweg. |