Zu den Klageaussichten Tilp Ich hatte in meinen Videos zu diesen Klagen, unabhängig von anderen prinzipiellen juristischen Bedenken und Sinnhaftigkeit solcher Musterfeststellungsklagen (z. B. wenn Aktionäre die Gesellschaft verklagen, an der sie finanziell beteiligt sind, sich also selbst verklagen, Schuldfeststellung des Vorstandes, etc.) dargelegt, dass ich der Auffassung bin, dass Steinhoff von seiner Mitteilungspflicht nach Art. 17 Absatz 4 Unterabsatz 1 MMVO befreit sein könnte. Voraussetzungen nach Art. 17 Absatz 4 Unterabsatz 1 MMVO (4) Ein Emittent oder ein Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate, kann auf eigene Verantwortung die Offenlegung von Insiderinformationen für die Öffentlichkeit aufschieben, sofern sämtliche nachfolgenden Bedingungen erfüllt sind: a) die unverzügliche Offenlegung wäre geeignet die berechtigten Interessen des Emittenten oder Teilnehmers am Markt für Emissionszertifikate zu beeinträchtigen, b) die Aufschiebung der Offenlegung wäre nicht geeignet, die Öffentlichkeit irrezuführen, c) der Emittent oder Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate kann die Geheimhaltung dieser Informationen sicherstellen. Nach Art. 17 Absatz 4 MMVO kann sich ein Emittent von der Pflicht zur Mitteilung einer Insiderinformation befreien. Das setzt zum einen voraus, dass die unverzügliche Offenlegung geeignet wäre, berechtigte Interessen des Publizitätspflichtigen zu beeinträchtigen. Ein Interesse ist gemäß § 6 Absatz 1 Satz 1 WpAIV berechtigt, wenn es im Einzelfall ein größeres Gewicht als das allgemeine Interesse an der rechtzeitigen Information des Kapitalmarkts besitzt. Hier das Gesetz: Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (Wertpapierhandelsanzeigeverordnung - WpAV) § 6 Berechtigte Interessen für eine verzögerte Veröffentlichung Berechtigte Interessen, die nach Artikel 17 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 von der Pflicht zur sofortigen Veröffentlichung nach Artikel 17 Absatz 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 befreien können, liegen vor, wenn die Interessen des Emittenten an der Geheimhaltung der Information die Interessen des Kapitalmarktes an einer vollständigen und zeitnahen Veröffentlichung überwiegen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn 1. das Ergebnis oder der Gang laufender Verhandlungen über Geschäftsinhalte, die geeignet wären, im Fall ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis erheblich zu beeinflussen, von der Veröffentlichung wahrscheinlich beeinträchtigt würden und eine Veröffentlichung die Interessen der Anleger erheblich gefährden würde, oder 2. durch das Geschäftsführungsorgan des Emittenten abgeschlossene Verträge oder andere getroffene Entscheidungen zusammen mit der Ankündigung bekannt gegeben werden müssten, dass die für die Wirksamkeit der Maßnahme erforderliche Zustimmung eines anderen Organs des Emittenten noch aussteht, und dies die sachgerechte Bewertung der Information durch das Publikum gefährden würde, wenn der Emittent dafür gesorgt hat, dass die endgültige Entscheidung so schnell wie möglich getroffen wird. Nach § 6 Absatz 1 Satz 2 WpAIV liegt im Regelfall ein berechtigtes Interesses vor, wenn sich die Information auf laufende Geschäfte oder Verhandlungen bezieht, deren Bekanntwerden den Börsen- oder Marktpreis erheblich beeinflussen und Interessen der Anleger gefährden kann. Häufig trifft dies beispielsweise auf Unternehmenskäufe zu, da eine verfrühte Veröffentlichung entsprechender Informationen die Durchführung des Kaufs gefährden kann. Ein Geheimhaltungsinteresse kann ebenfalls hinsichtlich der Vorbereitung einer Sanierung bestehen. Zum anderen darf sich die Aufschiebung der Veröffentlichung nicht dazu eignen, die Öffentlichkeit irrezuführen. Dem Emittenten ist es somit verboten, am Markt ein Verhalten zu zeigen, das im Widerspruch zur geheim gehaltenen Insiderinformation steht. Schließlich muss der Pflichtige gewährleisten können, dass die Informationen bis zu ihrer Veröffentlichung geheim gehalten werden. Hierzu muss er gemäß § 7 WpAIV sicherstellen können, dass die Information nur an solche Personen gelangt, die auf diese zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben beim Emittenten angewiesen sind. Dass die Vertraulichkeit der Information nicht mehr gewährleistet ist, kann nach Art. 17 Absatz 7 Unterabsatz 2 MMVO vermutet werden, wenn ein hinreichend präzises Gerücht über die Information bekannt wird. Liegen diese drei Voraussetzungen vor, ist der Emittent berechtigt, die Information zurückzuhalten. Dieses Recht zur Selbstbefreiung besteht, solange sämtliche Voraussetzungen gegeben sind. Fällt eine Voraussetzung nachträglich weg, muss der Emittent die Veröffentlichung daher nachholen. Ich bin der Auffassung, dass Steinhoff das Recht hatte, die untestierten Bilanzen (nach Verweigerung des Testats durch die WPG) solange zurückzuhalten, bis belastbare Beweise für die Unregelmäßigkeiten seitens der verantwortlichen Vorstandsmitglieder, da diese Umstände, in vertretbarer Weise geeignet waren, im Fall ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis erheblich zu beeinflussen, von der Veröffentlichung wahrscheinlich beeinträchtigt würden und eine Veröffentlichung die Interessen der Anleger erheblich gefährden würde, was sich ja auch dann unmittelbar am Aktienkurs zeigte. An RA Tilps Stelle würde ich sehr schnell einen Vergleich anstreben, anstatt jahrelang zu prozessieren. Denn hier sind die gesamten Tatbestandsmerkmale hinsichtlich der behaupteten Verletzungshandlungen schlüssig und unangreifbar seitens der Kläger, also durch Tilp, darzulegen. Und nochmals: Selbst, wenn ich in meiner juristischen Auffassung danebenliegen sollte ist eines ganz sicher: Die Musterfeststellungsklage gibt dem Kläger im Falle des Obsiegens in der Musterfeststellungsklage noch keinen Zahlungsanspruch gegen Steinhoff, sondern hier bedarf es einer nachfolgenden individuellen Leistungsklage, die allenfalls mit Mitstreitern als subjektive Klagehäufung sinnvoll wäre. Die Kläger hätten ein hohes Kostenrisiko. Die Anwälte dagegen verdienen immer, vor allem an einem Vergleich! Ich empfehle allen, die mit dieser Rechtsmaterie nicht vertraut sind, nochmals meine Videos anzuschauen, da es noch andere prozessuale Unwägbarkeiten gibt, die den Rahmen dieses Artikels sprengen würden.
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