Aus der FTD vom 2.8.2002 Ampel fällt für Kanzler Schröder aus Von Gerrit Wiesmann und Claus Hulverscheidt, Berlin
Die Optionen von Bundeskanzler Gerhard Schröder für eine Regierungsbildung nach der Wahl schwinden. Nachdem nun auch an der SPD-Spitze die Fortsetzung des rot-grünen Bündnisses als kaum realistisch gilt, erteilten am Donnerstag Politiker von Grünen und FDP einer Ampelkoalition eine Absage.
Schröder hatte am Montag bei einem Gespräch mit Journalisten seine Wahlziele zurückgesteckt: es solle keine Regierung gegen die SPD gebildet werden. Während Schröder bei dieser Gelegenheit die Wiederauflage der Koalition nicht mehr erwähnte, sagte Regierungssprecher Bela Anda der FTD am Donnerstag, Rot-Grün sei noch das Wahlziel des Kanzlers.
FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper dagegen begrüßte "die Abkehr des Bundeskanzlers von Rot-Grün". Zugleich lehnte sie ein rot-gelb-grünes Bündnis ab. "Jede Hoffnung auf eine Verlängerung einer Regierung unter Gerhard Schröder per Ampel scheitert an unserem klaren Nein", sagte sie der FTD. Zu einer "Zweier-Koalition" sei die FDP allerdings bereit. "Ob Schwarz-Gelb oder Rot-Gelb - beides ist besser als Rot-Grün."
Angesichts des Umfragetiefs hatte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering mit dem Hinweis "alle demokratischen Parteien können miteinander" jüngst die Bereitschaft der Sozialdemokraten signalisiert, bei einer Niederlage von Rot-Grün am 22. September andere Bündnisse einzugehen. Nach jetzigem Umfragestand könnte die SPD nur durch eine Koalition mit der Union oder ein Dreier-Bündnis mit zwei kleinen Parteien an der Macht bleiben.
Farbenlehre
Rot Sie SPD hinkt der Union in den Umfragen hinterher. Neben einer großen Koalition kommt nur ein Dreierbündnis in Frage.
Gelb Die Liberalen wollen mit der Union oder mit der SPD koalieren. Eine rot-gelb-grüne Ampel lehnen sie ab.
Grün Die Grünen geben wegen der SPD-Schwäche die Hoffnung auf eine Verlängerung Auch sie wollen keine Ampel.
Sowohl FDP- als auch Grünen-Politiker geben sich deshalb überzeugt, dass Schröder im Falle eines Sieges der Union versuchen wird, eine Ampelkoalition zu schmieden. "Lieber Chef einer Ampel als Juniorpartner in einer große Koalition", beschreibt ein FDP-Stratege die vermutliche Strategie eines Wahlverlierers Schröder. "Wenn ich Kanzler wäre und gegen Stoiber verlieren würde, würde ich auch die Ampel versuchen", sagte auch ein führender Grünen-Politiker. Vertreter von Gelb und Grün sind aber sicher, dass ihre Parteien das ablehnen würden - auch wenn es einige Sympathisanten gebe.
"Ein Ja zu einer Ampel würde das strategische Ziel der FDP zerstören, dritte Kraft neben Union und SPD zu werden", heißt es in der Parteizentrale. Nach dem klaren Nein zur Ampel sei eine Kehrtwende ohnehin nicht mehr möglich. "Dann würden die Bürger erst recht sagen, die Liberalen machen alles mit, um an die Regierung zu kommen." Im Parteivorstand würde deutliche Mehrheit vier weitere Oppositionsjahre im Falle einer großen Koalition in Kauf nehmen. "Dann werden wir eben größte Oppositionspartei", heißt es.
Experten: Ampel macht keinen Sinn
Ähnlich sehen das die Grünen. "Wir können nicht auf der einen Seite sagen, die FDP sei unser Hauptkonkurrent, und auf der anderen Seite mit ihr koalieren", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Verbraucherschutz- und Agrarministerium, Matthias Berninger, der FTD.
Ein Bündnis aus einer großen und zwei kleinen Parteien ergibt nach Einschätzung von Parteistrategen aber auch grundsätzlich keinen Sinn. "FDP und Grüne haben in ihren jeweiligen Koalitionen bewiesen, dass sie es sind, die den großen Partner zu Reformen drängen", sagte ein führender Grüner. "Wenn aber nun zwei Schlepper den großen Tanker SPD ziehen sollen, dann funktioniert das nur, wenn beide in die gleiche Richtung fahren. Bei einer Ampel würde aber wohl eher der eine Kapitän am Bug und der andere am Heck ziehen."
Die Grünen müssten sich aber außerdem überlegen, was ihnen mehr bringe: die Beteiligung an einer "Krampf-Koalition" oder die Freiheit einer Oppositionspartei mit einem starken Oppositionsführer Joschka Fischer. "Das wird wie in den 90ern, als die SPD unter Rudolf Scharping am Boden lag und die Grünen zweistellige Ergebnisse erzielten", heißt es in Parteikreisen. "Von daher ist diese Option für uns gar nicht so unattraktiv."
Berninger teilt die These führender SPD-Politiker, wonach es in Deutschland keine strukturelle Mehrheit für Mitte-links gibt. Die Schlussfolgerung von SPD-Wahlkampfchef Matthias Machnig, Rot-Grün sei deshalb 1998 eine Art Betriebsunfall gewesen, sei aber falsch: "Wir sind nicht einfach eine linke Partei. Wir stehen vielmehr in manchen Politikbereichen - etwa in der Wirtschafts- und Finanzpolitik - mehr in der Mitte als die SPD". © 2002 Financial Times Deutschland |