Abzocke im TV
Wer stoppt dubiose Gewinnspiele? hr, Dienstag, 8. Mai 2007
Sie wollen, dass Sie anrufen. 9Live, Viva, DSF. 50 Cent der Anruf, ob Sie durchkommen oder nicht - und die Zuschauer rufen an. Eine ältere Dame spielt beim Marktführer 9Live und zahlt. 50 Cent pro Anruf.
Mitschnitt bei 9Live: Ach Gott ich habe heute Mittag schon 300 mal angerufen. Moderator: Bitte was? Anruferin: Man kommt nicht rein. Anruferin: 3.100 Euro Moderator: Haben Sie gewonnen? Anruferin: Nein, Telefonkosten Moderator: Also, entweder Sie machen was falsch oder ich.
Der 9Live-Moderator gibt sich besorgt, trotzdem gibt der Sender alles, damit kräftig angerufen wird. 9Live hält sich dabei nicht an die Spielregeln der Medienwächter. Dort heißt es klipp und klar: „Die Aufforderung zum Mitmachen darf keinen besonderen Anreiz zu wiederholtem Anrufen enthalten.“ Mitschnitt bei 9Live: „Selbst, wenn Sie es jetzt 3,4, 10 oder 15 mal probieren sollten: Jeder Anruf kann der richtige sein. Und jeder Anruf kann hier eine Leitung treffen. Und gibt es jetzt noch einen Zuschauer, der ein Tier hat, der wählt jetzt, bis die Finger bluten.“
Mit immer neuen Countdowns und Einblendungen der Uhrzeit wird dem Zuschauer suggeriert, dass er genau jetzt anrufen müsste. Dabei ist das auch nicht zulässig, wie die Spielregeln der Medienwächter festhalten: „Der Aufbau von nicht vorhandenem Zeitdruck ist unzulässig.“ Regeln und Tatsachen Mit Regeln hält es 9Live nicht so genau. Das bestätigen ehemalige Mitarbeiter von 9Live, die sich erstmals in der Öffentlichkeit äußern. Ein Moderator und eine Redakteurin erzählen uns von Missständen bei Deutschlands erstem Quizsender.
„Das ist meiner Meinung nach moralisch verwerflich, und stolz bin ich nicht drauf, dass ich da gearbeitet habe“, erklärt eine ehemalige Redakteurin. Auch ein ehemaliger Redakteur findet keinen Gefallen an den dort greifenden Mechanismen: „Das ist eine Geschichte, die mir selber so auch nicht gefallen hat, aber: That‘s Showbusiness.“ Der Hot Button: Zufall oder Kalkül? Kern eines jeden Gewinnspielsenders ist der Hot Button. Ein angeblicher Zufallsgenerator, der die Anrufer auswählt. Genau an diesem Instrument entscheidet es sich, wie sauber, wie ehrlich das Gewinnspiel ist.
19 Uhr. 9Live. Der Hot Button ist gestartet. Trotzdem wartet Moderator Jürgen vergeblich auf den nächsten Zuschauer, der ihm Tiere nennt, die mit MA beginnen. Stundenlang geht das so. Nichts passiert. 22 Uhr. Jetzt mit Moderator Max das gleiche Spiel: Kein Anrufer kommt durch. Die Vorgaben der Medienwächter sind klar: In den Anwendungsregeln heißt es: „Nach Auslösung des technischen Mechanismus wählt dieser ... zu einem beliebigen Zeitpunkt eine beliebige stehende Telefonleitung zur Durchstellung in die Sendung (Hot Button Buzzer) aus.“
23 Uhr 18, auch nach über vier Stunden wurde noch kein Zuschauer durchgestellt. Kein Wunder: der Zeitpunkt soll eben nicht beliebig sein, der Hot Button soll zu einem festgelegten Zeitpunkt zu schlagen, so der Insider. Der ehemalige Redakteur erklärt gegenüber plusminus: „Der Redakteur selber entscheidet, wann der Hot Button zuschlägt. Wenn der Redakteur der Meinung ist, auf Grund der gegebenen Umstände, das passt jetzt, das ist okay jetzt, jetzt kann ich einen reinlassen, dann entscheidet der Redakteur, und lässt einen Anrufer durchstellen.“
Der Redakteur sitzt in der Regie von 9Live. Hier wird entschieden, wann der vermeintliche Zufallsmoment stattfindet. Redakteure bei 9Live haben vor allem eins im Blick: Die Zahl der Anrufe. Eine ehemalige Redakteurin berichtet von ihren Erfahrungen: „Wenn man als Anfängerredakteur da oben sitzt, und man möchte spontan, weil gerade so viele Leute anrufen, jemanden vom Call Center durchstellen lassen, dann steht immer ein erfahrener Redakteur hinter einem und sagt: ‚Bist du blöd. Mach das nicht. Lass die kommen. So lange wie das steigt, jeden mitnehmen. Das heißt alle, die gerade anrufen betrügt man um ihr Glück und erst wenn sie das Interesse verlieren schaltet man einen rein.“ Schweigen bei 9Live Marktführer 9Live will sich vor der Kamera nicht zu den Vorwürfen äußern. Schriftlich teilt uns das Münchner Unternehmen mit: „9Live [stellt] über unterschiedliche – auch technische – Systeme sicher, dass für Anrufer in unseren Gewinnspielen jederzeit die Chance besteht, ausgewählt und ins Studio gestellt zu werden.“
Die Beschwerden von Zuschauern häufen sich. Vergangenen Donnerstag haben die Landesmedienanstalten die Gewinnspielsender nach München geladen, aber richtig durchgreifen können sie nicht. Norbert Schneider von der Landesmedienanstalt NRW bedauert die fehlende Verbindlichkeit: „Im Moment ist alles im Modus der Verabredungen. Und wenn sich bei Verabredungen jemand nicht daran hält, dann können Sie nur sagen, DU bist moralisch nicht ganz in Ordnung, aber Sie können ihn nicht bestrafen. Das ist eine Sache für die Staatsanwälte.“ Fingierte Anrufe Staatsanwälte sollten sich sehr wohl für das 9Live-Programm interessieren, wenn die Vorwürfe stimmen, die die ehemalige 9Live-Redakteurin erhebt. Sie spricht sogar von fingierten Anrufen: „Fingierte Anrufe wurden schon einmal umgesetzt, wenn so gar keiner angerufen hat, und man wirklich ein paar Minuten mit einem leeren Peak da saß, dann wurde der Hot Button einfach per Sound eingespielt, und der Moderator hat dann gesagt: Oops, da hat wohl jemand wieder einer aufgelegt. In Wirklichkeit hat aber niemand angerufen.
Vergangen Donnerstag: Die Landesmedienanstalten beschließen, die Spielregel müssen noch einmal überarbeitet werden. Doch ausgerechnet die, die sie täglich brechen – 9Live und Co. - sollen das unter sich ausmachen.
Autor: Peter Onneken
Quelle: http://www.daserste.de/plusminus/...g.asp?uid=b5qb6ljo2gso2ooj&cm.asp |