Wahl zwischen Alt und Neu Leitartikel von Herbert Kremp
Gerhard Schröder wartet auf einen Wunderschub; wenn der ausbleibt, verläßt das Schiff den Lotsen. Abzusteigen, keinen Platz mehr zu finden ist für einen Mann seines Naturells ein undenkbares Geschehen. Der Auftritt beim SPD-Parteitag im Berliner "Estrel"-Hotel geriet meisterhaft. Die Wasserflut in Deutschland ist abgelaufen, und auch der Kriegsgott Mars versagt diesmal seinen Dienst - so blieb Bundeskanzler Schröder der tolle Lanzenritt gegen Windmühlen.
Dabei allerdings unterlief ihm ein Fehler: Es paßt nicht zur Siegesgewißheit des Kämpfers, schon während der Schlacht die Schuldigen an der Niederlage zu benennen: Die Medien, die Meinungsforscher, die Unternehmer. Das klingt wie eine frühe Klage.
Die Passage für Schröder ist ja auch so eng wie ein Nadelöhr. Die Existenz als Bundeskanzler ist an Rot-Grün gebunden, und wenn es unter den Bürgern einen Wahlwunsch gibt, dann findet sich diese Alt-Kombination an abgeschlagener Stelle. Auch Hartz gilt als Alt-Hartz, über die SPD hinaus, deshalb nimmt Schröder den schalen Namen nicht mehr in den Mund, sondern spricht von "seinen" Reformen - in welche die sozialdemokratische Parteiklientel schon Wasser der "Gerechtigkeit" gegossen hat. Käme das Auferstehungswunder zustande, dann käme es der Politik des Kanzlers doch nicht mehr zugute. Die SPD ist schon wieder im Schneckenhaus, eyes wide shut - der Kontakt mit der Wirklichkeit der ökonomisierten Welt kostete sie Identität. Somit hat Schröders bemerkenswerter Heroismus das Zeug zur erhabenen Zwecklosigkeit.
Wo kann er noch sammeln? Zwei geballte Wochen lang werden wir hören, daß ein Merkel-Regime soziale "Unmenschlichkeit" bedeute. Diese Behauptung stößt in die offenen Unschärfen der Unionsdiskussionen. Sie rührt aber auch an die Sinne der lafo-gysischen Linkskohorten, die man flugs zu "verzweifelten Keynesianern" erklärt, um zumindest flüchtigen Gewerkschaftern eine Brücke zur sozialdemokratischen Scholle zu schlagen. Es wird Spätheimkehrer geben; Blessierte, die sich zurückschleppen; bislang Unentschiedene, die das Schrecklichste befürchten, das Deutschen begegnen kann: das Risiko. Wenn Gerhard Schröders Heroismus am Ende doch noch ein Zweck beschieden sein sollte, wäre es die Rettung in die Arche der großen Koalition. Frage: Kann der Kanzler so ironisch sein, die Partei in einen Container zu verladen?
Demgegenüber entstammt die Wahrnehmung, daß Angela Merkel sich festigt, nicht der Heldensage. Wenn jemand von ihrer Art im Studiengang der Macht promoviert, geschieht dies kaum sichtbar, bis sich faktisch ergibt, daß sie Eignung besitzt. Die Kandidatin kommt aus der Schüchternheit, aus der Introversion, sucht immer noch im Mantel des Mißtrauens Schutz - bei aller Entschiedenheit, die ihre Stimme entwickelt. Sie machte eigenwillige personelle Entdeckungen. Caesars Wort: "Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein mit glatten Köpfen und die nachts gut schlafen", diente dabei nicht als Leitfaden. Sie sucht "ihre" Leute; darunter dürfen "Visionäre" sein, den "hohlen Blick" des Cassius sollen sie nicht haben. Frage: War es richtig, den Praktiker Friedrich Merz wegzutauschen?
Nicht unbemerkt bleibt, daß der bescheidenen Polemik Angela Merkels jede Bösartigkeit fehlt, jene verbale Militanz, die Gerhard Schröder als "letzter General" jetzt aufsetzt. Auch das Gelübde, ehrlich zu sein, nichts zu versprechen, was man nicht halten kann, stets zu tun, was man sagt, diese lutherischen Pfarrhausregeln wirken bei ihr nicht "gemacht". Tugenden sind mit politischer Führungsfähigkeit nicht zu verwechseln, und man darf auch fragen, wie viele Tage des Handelns und Abende des Kompromisses die Regierungsdevise der Wahrhaftigkeit übersteht. Dennoch - die gefühlte Wahrnehmung vermittelt den Eindruck eines "anderen", neuen Politikertyps. Man beginnt Angela Merkel zu beachten.
So kann es sein, daß der Wahlkampf doch noch eine deutliche Alternative bietet: Das "Neue", noch nicht verschauspielert, steht gegen das Alte, das den kalten Schatten des Hades fürchtet. Merkels Ehrlichkeit hat allerdings einen riskanten Doppelklang: Diejenigen, denen das Gewohnte heilig ist, hören die Drohung heraus, nun komme alles auf den Prüfstand. Die nichts Heiliges darin sehen wollen, die Zukunft zu verfehlen, erkennen eine Chance. Welches Gewicht wiegt schwerer?
Artikel erschienen am Fr, 2. September 2005 |