Interview mit Jochen Pape
Wie erreicht man mehr Qualität in Online-Debatten? Seit 01.05.2010 versucht ARIVA.DE auf seiner Webseite den Wert der Postings durch Klarnamen zu erhöhen. Jochen Pape, Vorstandsmitglied von ARIVA.DE im Interview, was die Beweggründe für diesen Schritt waren und welche Schlüsse er aus den ersten Tagen zieht
Seit kurzem können Nutzer auf ariva.de nur noch unter Klarnamen posten. Wie läuft es seit dem?
Erstmal gab es sehr emotionale und heftige Reaktionen unserer Nutzer. Wir hatten die User schon einige Wochen vor der Umstellung eingeladen, grundsätzlich über das Thema Moderation von Postings mit uns zu diskutieren. Dabei hatten wir – mehr oder weniger unverklausuliert – angekündigt, dass wir diesen Schritt gehen wollen. Bei einigen Alt-IDs haben wir daraufhin eine deutliche Ablehnung festgestellt. Die wichtigsten Gegenargumente waren der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre: Wir wollen nicht mit unseren richtigen Namen über Google gefunden werden.
Und bei der Umstellung?
Der Thread, in dem wir deie Änderung der Forumregeln bekannt gegeben haben, erhielt eine Flut von Postings. Es waren mehr als 100 Postings, in schätzungsweise 75 Prozent der Beiträge wurde unser Schritt negativ oder skeptisch bewertet. Das haben wir aber auch erwartet.
Trotzdem habt Ihr den Schritt vollzogen. Eine richtige Entscheidung?
Wir haben jetzt erste Zahlen und die zeigen, dass das Postingvolumen im Vergleich zum Vormonat um 20 bis 25 Prozent zurückgegangen ist. Ich persönlich hatte mit einem deutlich stärkeren Rückgang gerechnet. Es ist so, dass es unmittelbar nach der Einführung etwa 10 User gegeben hat, die ihren Account gelöscht haben …
… was macht das prozentual aus?
Das ist ein sehr kleiner Anteil aller IDs. Und: Viele haben sich auch wieder angemeldet. Wir haben quantitativ also einen vergleichsweise moderaten Rückgang zu verzeichnen.
Und in Bezug auf die Qualität der Postings?
Die Qualität der Postings hatte sich bereits vor der Umstellung peu à peu verbessert. Da sind wir durch die Umstellung nochmal einen Schritt vorwärts gekommen, aber es ist trotzdem noch nicht so, dass ich sagen würde: Wir haben das Optimum erreicht.
Sind die Postings denn besser geworden?
Die Umstellung hat durchaus den Effekt gehabt – verbunden mit einer strengeren Moderation – dass der Ton zivilisierter geworden ist …
… weil die Leute sich etwas mehr zurückhalten, weil sie sich nicht hinter der Anonymität verstecken können?
In der Theorie sollte es so funktionieren. Wir kontrollieren in der Praxis aber nicht, wer sich hinter einem Klarnamen verbirgt. Ich halte es technisch nicht für machbar, wirklich zu überprüfen, ob Klaus Dieter auch tatsächlich Klaus Dieter ist – und eigentlich auch für nicht wünschenswert, das so stark zu reglementieren. Deshalb ist es so, dass diejenigen, die als Trolle unterwegs sein wollen, das auch weiterhin tun können. Der Schritt war aber dennoch wichtig und richtig, weil er eine ganz deutliche Signalwirkung hatte für all die User, die ernsthaft diskutieren wollen. Diese User sollen nicht durch Pöbler und anonyme Heckenschützen abgeschreckt werden. Es ist uns ein sehr wichtiges Anliegen, eine sachliche, fundierte Diskussion auf ariva.de zu ermöglichen.
Was war schlussendlich der Hauptgrund, der Euch bewogen hat, diesen Schritt zu gehen?
Ein wichtiger Aspekt war die Marke. Ein Börsenforum ist ein glaubwürdiges, seriöses Qualitätsprodukt. Und da war schon die Befürchtung – vorstandsübergreifend und die teile ich auch – dass die Marke durch eine schlechte Diskussionskultur beschädigt werden könnte.
Und das wolltet Ihr vermeiden?
Wir sind der Meinung, dass ein Klima, in dem gepöbelt wird, in dem man sich beleidigt, einfach nicht zu einem Börsenforum passt. Deshalb haben wir uns die Frage gestellt: Welche Maßnahmen können wir ergreifen, um einerseits weiterhin ein möglichst liberales System zu haben und trotzdem das Klima zu verbessern? Denn natürlich wünschen wir uns ein offenes Debattenportal.
Deshalb werden die Nutzer jetzt gebeten, einen Klarnamen zu verwenden, Ihr kontrolliert das aber nicht. Habt Ihr langfristig vor, das mit Angeboten zu verbinden, die Namen tatsächlich verifizieren?
Wenn ich die amerikanischen Blogs verfolge, wird genau das ja gerade diskutiert: eine Anbindung an Social Identity Provider, also Anbieter, die die Namen verifizieren. Wir beobachten das mit Interesse, aber es ist nicht konkret geplant. Wir glauben aber, dass es kein Patentrezept gibt, um ein gutes Kommentarklima zu schaffen. Wie überall im Internet ist es wichtig, Sachen auszuprobieren und gegebenenfalls eine falsche Entscheidung auch rückgängig zu machen.
Der Schritt hin zu Klarnamen war aber keine falsche Entscheidung?
Nein, unter dem Strich, sind wir zufrieden damit, wie es sich entwickelt. Richtig ist aber auch: Klarnamen sind nur eine von mehrere Stellschrauben, die positiv auf das Debattenklima einwirken können. Der wichtigste Erfolgsfaktor ist meiner Meinung nach, dass die Moderatoren kontinuierlich in den Threads präsent sind und damit zeigt: Wir kümmern uns um unser Gärtchen.
Du hattest angedeutet, dass der Vorstand und auch die Werbepartner Befürchtungen hatten, dass die Postingkultur sich negativ auf die Marke auswirken könnte. Seid Ihr dann auch entsprechend ausgestattet worden, um darauf zu reagieren? Oftmals wird Community-Management ja quasi als Nebenbei-Tätigkeit verstanden, die jemand zusätzlich auch noch erledigen kann, neben seinen anderen Aufgaben …
Uns stand in den vergangenen Monaten eine zusätzliche Mitarbeiterin für das Community-Management zu Verfügung und wir können auch weiterhin studentische Hilfskräfte als Verstärkung disponieren, wenn es notwendig ist. Die Unterstützung ist also da. Und wenn wir wirklich grundsätzlich über das Thema Ressourcen im Bereich Community-Management sprechen, stelle ich eine große Offenheit im Vorstand fest, neue Wege zu gehen. Denn: Wenn Community-Management ein wesentlicher Teil des Tagesgeschäfts ist, kann man ohne diese notwendigen Ressourcen kein seriöses Qualitätsversprechen abgeben. In Breaking-News-Situationen oder zu Randzeiten können wir einfach nicht beide Sachen parallel erledigen. Und in solchen Momenten kracht es gerne im Kommentar-Bereich. Deshalb braucht es Personen, die die Qualifikation und die Zeit haben, sich kontinuierlich mit dem Thema zu beschäftigen. Ich glaube, dass die Forenanbieter kurz- bis mittelfristig nicht an dem Thema Community-Management vorbei kommen. Es braucht einfach jemanden, der sich konsequent um die vielen Schnittstellen kümmert – sei es in den eigenen Postings, bei Facebook und Twitter oder sonst wo im Internet.
Quelle: http://www.dirkvongehlen.de/index.php/netz/...erview-mit-jochen-pape/ |