Die Bullen wittern Morgenluft
Von Andreas Hoose
Die Stimmung an den Boersen hat sich aufgehellt. Aber eigentlich muesste man es anders formulieren: Die momentane Situation an den Aktienmaerkten bereitet saemtlichen Lagern das hoechstmoegliche Mass an Unwohlsein. Viele Bullen sind noch nicht oder nur sehr spaerlich investiert, sitzen nach drei Jahren Baisse auf beachtlichen Cashbestaenden und schauen fassungslos den steigenden Kursen hinterher. Die Baeren betrachten das Kursfeuerwerk erst recht mit gemischten Gefuehlen. Manch einer sieht die Gewinne aus bestehenden Short-Engagements dahinschmelzen wie Schnee in der Fruehlingssonne. Ganz aehnlich geht es jenen, die sich bislang voellig herausgehalten haben und das Geschehen von der Seitenlinie aus beobachten: Die Nervositaet steigt allenthalben. Seit den Tiefstaenden im Maerz bei 2188 Zaehlern hat der deutsche Aktienindex rund 32 Prozent zugelegt. Kein Wunder, dass viele Bullen Morgenluft wittern und das Ende der Baisse feiern.
Vielleicht werden mich manche fuer stur und unbelehrbar halten. Vorerst bleibe ich bei dennoch bei meiner Meinung: Auch wenn die Kurse momentan wieder klettern - eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und die paar Gewinnprozente sind nach den Kursverlusten der vergangenen Jahre nicht mehr als ein laues Fruehlings-Luefterl. Einiges spricht dafuer, dass wir das Ende der Durststrecke noch laengst nicht gesehen haben. Doch eines ist auch klar: Sollte sich der juengste Trend bestaetigen, die Maerkte aus ihrer jahrelangen Abwaertsbewegung nach oben ausbrechen, erscheint ein rascher Einstieg ratsam. Doch immer mit der Ruhe.
Vorerst gibt es gute Gruende, warum man weiterhin misstrauisch bleiben sollte. Wie war das noch mit der Kriegsrallye? Seit Monaten galt es als ausgemacht, dass nach einem Ende des Irak-Konflikts die Aktienmaerkte in den Steigflug uebergehen, Gold und Oel einbrechen wuerden. Tatsache ist, dass die Aktienmaerkte trotz der deutlichen Entspannung im Irak zuletzt zwar recht freundlich tendierten, vor allem hier zu Lande. In den USA sieht das Bild dagegen anders aus. Von Nachkriegs-Euphorie ist nichts zu spueren. Auch der Goldpreis haelt sich stabil, tendierte zuletzt eher auf- als abwaerts.
Ein weiterer Aspekt gibt zu denken: Am Dienstag dieser Woche meldeten die Technologie-Schwergewichte Microsoft und Intel gute Zahlen fuer das abgelaufene Quartal. Oder besser gesagt: Beide Konzerne uebertrafen die im Vorfeld drastisch reduzierten Erwartungen. Dennoch kamen S&P 500 und Dow Jones nicht recht aus den Schuhen. Beide Indizes rutschten schon am naechsten Tag ab. Und das soll die neue Hausse sein?
Rechenkuenstler
Sehen wir uns lieber ein paar Fakten an: Da waeren zum einen die Kosten des Irak-Konflikts. Erst in den kommenden Monaten wird sich herausstellen, welche Summen die militaerische Praesenz der US-Truppen am Golf wirklich verschlingen wird. Da Regierungen bei derartigen Rechnungen seltsamerweise so gut wie immer ausserordentlich schief liegen, darf man erwarten, dass die 80 Milliarden US-Dollar, die US-Praesident Bush fuer die Aufraeum-Aktion im Irak veranschlagt hatte, bei weitem zu tief gegriffen sind. Viel wird davon abhaengen, wie lange die Anwesenheit der Amerikaner am Golf notwendig sein wird. Wenn man hoert, dass jetzt mit Syrien "ernste Gespraeche" gefuehrt werden, koennte sich die Sache durchaus noch eine Weile hinziehen.
Schlechte Nachrichten kommen auch von einer tragenden Saeule der US-Wirtschaft: Die Immobilienblase in den USA ist offenbar dabei, deutlich Luft abzulassen. In zahlreichen Regionen der Vereinigten Staaten ist der Trend klar: Die Preise geben nach, zum Teil recht massiv. Die Gruende fuer das Ende der Party sind schnell ausgemacht: Auch in den USA steigt die Zahl der Menschen ohne Job. Angesichts des niedrigen Zinsniveaus sind Senkungen bei den Hypothekenzinsen vorerst kaum zu erwarten. Schlechte Zeiten fuer Haeuslebauer.
Ein Problem, das zwar gelegentlich auf der Agenda erscheint, das aber noch laengst nicht ins Bewusstsein der Anleger vorgedrungen ist, sind die bei vielen Unternehmen anstehenden Pensionszahlungen. Erst sehr langsam wird klar werden, wie sehr die Gewinne vieler Firmen durch die Zahlungen an fruehere Mitarbeiter in Zukunft belastet werden. Auch den Pleiten bei Enron und Worldcom werden weitere folgen. Bei American Airlines, der weltgroessten Fluglinie, steht der Konkursverwalter bereits vor der Tuer.
Es sage nun niemand, alle diese Probleme seien in den Aktienkursen laengst enthalten. Zum Teil mag das stimmen. Dennoch sollte man auf weitere unangenehme Ueberraschungen gefasst sein. Zu sehr waren die Anleger waehrend der vergangenen Monate fast ausschliesslich mit dem Irak-Konflikt beschaeftigt.
Daher waere es wohl zu frueh, sich jetzt wieder auf die lange Seite lehnen. Dazu ist die Stimmung unter den Anlegern im Moment zu positiv. Ein Blick auf die Entwicklung des VIX, der die Schwankungsbreite im S&P 500 misst, zeigt: Derzeit macht sich Euphorie breit. Aktuell notiert das Stimmungs-Barometer knapp unter 25. Wendepunkte wurden waehrend der laufenden Baisse regelmaessig im Bereich um die 20 Punkte markiert. Auch MACD und Stochastik naehern sich ihren unteren Wendezonen. Zur Erinnerung: Wenn die Volatilitaet steigt, dann geht dies in der Regel mit fallenden Kursen einher - und umgekehrt.
Ein Indiz dafuer, dass man sich noch zurueckhalten sollte, liefert auch ein Vergleich des Dow Jones Industrials mit seinem kleineren Verwandten, dem Dow Jones Transportindex. Gemaess Dow-Theorie liegt eine Trendwende dann vor, wenn ein Hoch im Transportindex durch den Dow Jones bestaetigt wird. Kuerzlich hat der Transportindex sein Hoch vom Maerz dieses Jahres uebertroffen. Beim Dow Jones steht dieses Signal noch aus. Entscheidend waere eine Schlussnotierung beim Dow Jones oberhalb von 8522 Zaehlern.
Geht man der Frage nach, ob die juengste Aufwaertsbewegung den Anfang eines neuen Bullenmarktes markiert, ist es hilfreich, sich die Stimmungslage vor etwa drei Jahren vor Augen zu halten. Im Maerz des Jahres 2000 gab es an den Stammtischen nur ein einziges Thema: "Wie werde ich mit Aktien moeglichst schnell zum Millionaer?" Die Ueberschriften in den Gazetten sprangen einem die Aktientipps nur so ins Auge und selbst die Bild-Zeitung war sich nicht zu schade, in grossen Lettern vom Reichtum an der Boerse zu schwadronieren. Interessanterweise waren es gerade jene Artikel in Deutschlands "Bildungsorgan Nummer Eins", die das Ende der Hausse markierten.
Die Parallelen zu heute sind leider laengst nicht so gross, wie sich das viele Anleger im Zuge der juengsten Aufwaertsbewegung wuenschen. Ein Beispiel: Hat irgendjemand in den vergangenen Wochen irgendwo eine Zeile darueber gelesen, dass Aktienengagements auf laengere Sicht zu meiden seien? Also ich kann mich an keine einzige Aussage dieser Art erinnern. Der Tenor lautet vielmehr: "Endlich geht es wieder aufwaerts. Nach drei Jahre Kursverlusten ist das Groebste jetzt ueberstanden". Was mir daran besonders missfaellt, ist das Geschrei, das sofort einsetzt, sobald der Dax drei Tage in Folge zulegt.
Erheiternd ist auch folgende Logik, die den Skeptikern beim Blick auf die laengerfristige Perspektive gerne vorgehalten wird: Drei Jahre in Folge sind die Indizes nun gefallen. Ein viertes Baissejahr sei schon deshalb ausgeschlossen, weil es eine derartige Abfolge erst einmal in der Geschichte gegeben habe. Und waehrend der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre haetten schliesslich voellig andere Voraussetzungen vorgelegen.
Den Daueroptimisten sei gesagt: Nur weil ein Ereignis selten auftritt, heisst das noch lange nicht, dass es sich nicht irgendwann doch wiederholt.
In der Baisse geht es schliesslich nicht darum, die Jahre mit Minuszeichen zu zaehlen - es geht darum, die Uebertreibungen der vorangegangenen Hausse zu korrigieren. Und die war groesser als alles, was es zuvor jemals gegeben hat. Als die Aktienkurse waehrend dieser Zeit zwoelf Jahre in Folge (!) gestiegen sind, hat ja auch niemand behauptet, so etwas koenne es nicht geben. Wer´s nicht glaubt, kann das selbst ueberpruefen: Auf Basis Monatsende Maerz sind die Kurse beim Dow Jones Index von 1988 bis 2000 jedes Jahr gestiegen.
Ich bleibe deshalb dabei: Erst wenn wirklich der letzte Bulle das Handtuch geworfen hat, sollte man sich auf die bevorstehende Hausse konzentrieren. Wenn in den Medien das Ende der Aktienanlage verkuendet wird, die Boersianer bei jedem Aufschwung im Dax nur noch frustriert abwinken und sich wirklich niemand mehr fuer die Boerse interessiert. Dann ist es soweit. Bis dahin kann es aber noch eine ganze Weile dauern.
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