Börsenbriefe köderten im vorigen Jahr gern mit kanadischen Rohstoffaktien. In diesem Jahr sind Schweizer Pennystocks der große Zock, warnt Matthias Schrade von GSC Research. Bild zum Artikel
boerse.ARD.de: Immer wieder schaffen es unseriöse Börsenbriefe, Anlegern Geld aus der Tasche zu ziehen. Wie machen die das, dass Investoren auf sie reinfallen?
Schrade: Der Trick ist der geringe Nennwert der Aktien. Aktien können dadurch scheinbar billig angeboten werden zu Kursen von zum Beispiel einem Euro. Das Problem ist: Anleger beachten dabei den niedrigen Nominalwert nicht. Sonst würden sie sehen, dass die angebotenen Aktien viel zu teuer sind. Mehr zum Top-Thema
* Ratgeber: So schützen Sie sich vor Abzock-Aktien!
boerse.ARD.de: Haben Sie da ein Beispiel?
Schrade: Eine neue Empfehlung des Deutschen Investment Reports ist beispielsweise die TUNC Holding. Ein Kursniveau von 0,50 Euro je Aktie ist nur scheinbar niedrig. Durch die enorme Anzahl an ausstehenden Aktien billigt man dem Unternehmen selbst bei diesem optisch billigen Kurs bereits einen Börsenwert von 175 Millionen Euro zu.
Das ist zu viel für eine Gesellschaft, die keine Ist-Zahlen vorweisen kann, die keine Umsatz- oder Ergebniszahlen aus der Vergangenheit bekannt gibt und für die nicht einmal eine Bilanz verfügbar ist. Außerdem kennt man die Kunden des Unternehmens nicht, man weiß nicht, wer die Aktien besitzt. Und es gibt keine seriösen Prognosen, wenn man von marktschreierischen Neuigkeiten einmal absieht, die anderen Firmen keine Mitteilung wert sind.
Auffällig ist bei diesem aktuellen Push aber vor allem: Hier ist man in eine ganz neue Dimension vorgedrungen.
boerse.ARD.de: Inwiefern?
Schrade: Bisher hatten die empfohlenen Unternehmen meist eine Größe von etwa 60 Millionen ausstehenden Aktien. Bei TUNC ist das Grundkapital von 70 Millionen Franken aber sogar in 350 Millionen Aktien à 0,2 Franken eingeteilt. Auffällig ist auch, dass die Firma vor kurzem noch ein Grundkapital von nur 100.000 Franken hatte. Generell ist zu beobachten: Praktisch alle vom DIR in den vergangenen Monaten empfohlenen Werte haben mittlerweile drastische Verluste erlitten. Allein diese schlechte Trefferquote sollten Anleger als Warnhinweis werten.
boerse.ARD.de: Warum gibt es im Moment so viele Empfehlungen für Schweizer Unternehmen?
Schrade: In der Schweiz muss der Nennwert einer Aktie nur einen Rappen betragen, also nicht einmal einen Cent. In Deutschland ist mindestens ein Nominalwert von einem Euro erforderlich. Das heißt, bei Schweizer Aktien können die Initiatoren mit einem viel größeren Hebel arbeiten, sie können de facto also mehr „verdienen“. Ein Rechenbeispiel: Können die Initiatoren eine Aktie mit einem Nominalwert von 0,1 Franken - das entspricht etwa sieben Eurocent - zu einem Kurs von einem Euro absetzen, haben sie 1.300 Prozent Profit gemacht. Wollte man mit einer deutschen Aktie ähnlich viel erreichen, müsste man die Aktie von einem Euro Nennwert schon zu 13 Euro anbieten. Beim Anleger ist die Hemmschwelle bei diesem Kurs aber größer.
boerse.ARD.de: Allerdings ist der Nennwert doch nur eine rechnerische Größe.
Schrade: Das stimmt. Aber meist ist die Aktie nicht einmal diesen Betrag wert. Der Trick ist, dass das Unternehmen vor dem Listing eine Kapitalerhöhung durchführt und dadurch die Aktienanzahl aufbläht. Im Rahmen dieser Kapitalerhöhung wird oft eine Sacheinlage eingebracht, zum Beispiel eine GmbH, die dann als Tochter geführt wird. Die entscheidende Frage ist: Entspricht die Sacheinlage tatsächlich dem angegebenen Wert? Ist die neue Tochter werthaltig? Hier bietet sich eine Möglichkeit zum Betrug.
boerse.ARD.de: Aber es muss doch geprüft werden, ob eine Sacheinlage werthaltig ist.
Schrade: Das Unternehmen muss das Handelsregister davon überzeugen. Dazu muss ein Wirtschaftsprüfungsgutachten vorgelegt werden, das den Wert der eingebrachten Firma bestätigt. Das schafft man bei zweifelhaften Firmen in der Regel nur, wenn entweder der Wirtschaftsprüfer getäuscht werden konnte oder wenn der Wirtschaftsprüfer - gegen entsprechende Bezahlung natürlich - sehr ungenau hinschaut. Auf diese Weise hebeln Abzocker in Deutschland bei Mini-Unternehmen die Aktienanzahl auf viele Millionen Stück.
boerse.ARD.de: Und in der Schweiz schauen die Handelsregister nicht so genau hin?
Schrade: Das würde ich nicht sagen. Aber hier ist es sehr viel leichter, eine hohe Aktienzahl zu „produzieren“. So kann beispielsweise schon aus einem Grundkapital von 500.000 Franken eine Aktienzahl von 50 Millionen Stück gezaubert werden. Und das selbst ohne aufwändige Tricksereien mit Sacheinlagen oder ähnlichem. Der Nominalwert beträgt dann eben nur 0,01 Franken, das ist völlig legal. Gelingt dann der Abverkauf zu gut 1 Euro über die Börse, bedeutet das Gewinne von sagenhaften 15.000 Prozent.
Wenn die Abzocker es geschickt anstellen, bekommen sie das sogar praktisch ohne strafrechtliche Risiken hin. Denn im Prinzip sind die Anleger ja selbst schuld, wenn sie den 150-fachen Preis zahlen, den die Initiatoren hingelegt haben. Was können die schließlich dafür, dass der Anleger keine Risikoprüfung macht? In Deutschland ginge das theoretisch genauso – aber wenn ein Anleger 150 Euro pro Aktie berappen soll, schaut er meistens deutlich genauer hin.
boerse.ARD.de: Auch in den USA und Kanada können Aktien mit einem sehr geringen Nominalwert ausgegeben werden. Warum also jetzt die Schweiz?
Schrade: Weil die Schweiz ein seriöses Image hat. Damit können die Initiatoren Anleger locken. Diesen schönen Nebeneffekt nutzen die Unternehmen gern aus. Die Empfehlungen zu kanadischen Rohstoffunternehmen oder amerikanischen Pennystocks haben sich mittlerweile abgenutzt oder sind in Verruf geraten. Da kommt die Schweiz gerade recht. Generell sind Empfehlungen zu Pennystocks mit Vorsicht zu genießen. Und im Moment gilt das vor allem für Schweizer Pennystocks. Das ist die aktuelle Zockerwelle.
Das Interview führte Bettina Seidl.
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