an einem einzigen Tag wurde in Beirut das Erbe von Jahrtausenden gestohlen und zertrampelt –Experten gehen von Plunderungen auf Bestellung aus Von Hans Wagner EM – Als am 10. April die Plünderungen in der gefallenen irakischen Hauptstadt Bagdad begannen, wurden zuallererst das Erdölministerium und das Innenministerium von US-Truppen abgesichert. Die Ölquellen im Süden des Landes und auch die Förderanlagen in den nordirakischen Städten Kirkuk und Mossul waren gleich nach ihrer Eroberung von starken Truppenkontingenten der amerikanisch-britischen Invasionsarmee eingeschlossen und bewacht worden.Das Privateigentum der Menschen in den großen Städten, die übrigen 35 Ministerien der irakischen Hauptstadt, die Museen und Banken hingegen überließen die Besatzer dem Mob der Straße.Bilder, die kaum jemand für möglich gehalten hatte, gingen um die Welt. Nicht nur Altertumsexperten stockte vor Entsetzen der Atem. Das Fernsehen zeigte, wie Kulturschätze aus 8000 Jahren Menschheitsgeschichte auf Lastwagen geworfen und abtransportiert, wie sie verbrannt und zerschlagen wurden. Ein Vertreter der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO) in Jordanien sprach von rund 170.000 Kulturgegenständen, die Opfer der Plünderungen und Zerstörungen geworden seien.Unwiederbringliche Zeugnisse vom Beginn der menschlichen Zivilisation, zusammengetragen von Generationen von Archäologen, gingen binnen weniger Stunden für immer verloren. Die britische Archäologin Eleanor Robson sagte angesichts dieses Frevels voller Sarkasmus: „Es ist so, als ob jemand vor einem Autounfall gerettet wurde, nur um nun von einem Bus überfahren zu werden.“Michael Petzet, Vorsitzender des internationalen Rates für Denkmalschutz ICOMOS nannte die ungeheuerlichen Zerstörungen ein „Verbrechen an der Menschheit“. Es sei unfaßbar, daß dies geschehen konnte. Derartiges Verhalten widerspräche allen internationalen Konventionen. Die Besatzungsmacht sei verpflichtet gewesen, solche kriminellen Übergriffe zu unterbinden. Petzet: „Ein minimaler Aufwand hätte genügt, das Geschehen zu verhindern.“Augenzeugenberichte sprechen tatsächlich davon, daß die Plünderungen unter den Augen amerikanischer Soldaten geschahen - obwohl man sie immer wieder aufgefordert habe, ihnen Einhalt zu gebieten. Die New York Times berichtete beispielsweise darüber, wie der Archäologe Raid Abdul Ridhar Muhammed am 10.April Plünderer aus dem Bagdader Nationalmuseum vertreiben konnte, weil ihm zunächst fünf Soldaten der US- Marines dabei halfen, indem sie Warnschüsse abgaben. Aber eine halbe Stunde später seien die Plünderer wieder gekommen. Diesmal hätten sie ihr Unwesen ungehindert treiben können, denn die US-Armee habe sich plötzlich geweigert, zu helfen. „Das ist keine Befreiung sondern eine Demütigung“
Das Blatt zitiert den irakischen Wissenschaftler Raid Abdul Ridhar Muhammad schließlich mit einem Appell, den er an US-Präsident Bush gerichtet habe: „Die Identität eines Landes, sein Wert und seine Kultur bestehen in seiner Geschichte. Wenn die Kultur eines Landes geplündert wird, wie es mit unserer in diesen Tagen geschehen ist, ist seine Geschichte zu Ende. Bitte, sagen Sie das Präsident Bush. Bitte erinnern Sie ihn daran, daß er versprochen hat, das irakische Volk zu befreien. Aber daß dies keine Befreiung ist, sondern eine Demütigung.“
Der Bagdader Museums-Kurator Dr. Donny George erklärte in CNN, er sei am 12.April zusammen mit dem Vorsitzenden des Staatlichen Irakischen Kulturrats zum Hauptquartier der US-Marines im Hotel Palestine gegangen. George: „Wir warteten vier Stunden, bis wir einen Oberst trafen. Er versprach an jenem Tag, er werde gepanzerte Fahrzeuge schicken, um das zu schützen, was vom Museum noch übrig war. Aber bis jetzt ist nichts angekommen.“ Später habe Außenminister Colin Powell erklärt, man werde das Museum schützen. Aber auch dies seien leere Versprechungen geblieben.
Bei Mitarbeitern des Museums aber auch bei Passanten und internationalen Beobachtern lautete die spontane Einschätzung der unglaublichen Vorgänge: „Was sich hier abspielte, war gezielte Plünderung, war geplanter Raub!“ Donny George: „Die Täter kannten sogar die geheimen unterirdischen Depots. Das waren Kenner, organisierte Kunstdiebe. Sie haben nur die wertvollen Originale mitgenommen und ließen Kopien stehen“. Zu den Ereignissen gibt es eine Vorgeschichte
Im Januar 2003 sprachen amerikanische Archäologen im US-Verteidigungsministerium vor. Sie wiesen angesichts des bevorstehenden Krieges eindringlich auf die Gefährdung der wertvollen Kulturgüter im Irak hin. Dabei wurde das Pentagon auch genau über Ort und Wert der irakischen Altertümer unterrichtet.
Einer der Experten, der Archäologe und Irak-Kenner Prof. McGuire Gibson von der Universität Chicago, kam insgesamt sogar dreimal zusammen mit Kollegen ins Pentagon. Er warnte davor, daß ein einziger Tag Nachkriegschaos ausreiche, um das zentrale irakische Museum zu zerstören. „Sie müssen das Nationalmuseum vor Plünderungen sichern“, forderte er. Als die Luftangriffe auf den Irak bereits begonnen hatten, warnte er in einem Artikel vom 21.März, veröffentlicht im Wissenschaftsmagazin „Science“, noch einmal eindringlich vor der Gefährdung der irakischen Kulturgüter. Er berichtete über eine Initiative des Archäologischen Instituts Amerikas (AIA) und der Amerikanischen Vereinigung für Forschungen in Bagdad, die seit Monaten Angaben über Standorte archäologischer Stätten zusammentrugen und dem Pentagon übermittelten, um die Bedeutung des Iraks für das Weltkulturerbe deutlich zu machen. Die Liste umfaßte mehr als 4000 Stätten. Auch auf den dringenden sofortigen Schutz des Nationalmuseums wurde erneut hingewiesen. „Drei Wachen und ein Panzer würden ausreichen“, zitiert Gibson AIA-Direktor Waldbaum.
Bei den Besprechungen vom Januar 2003 im Pentagon wurden neben den Archäologen auch Mitglieder einer US-amerikanischen Lobbyisten-Vereinigung von Kunsthändlern und –sammlern vorstellig. Die private Vereinigung trat zum Entsetzen der AIA-Experten mit ganz anderen Forderungen an die Regierung Bush heran. Sie solle doch im Falle eines Regimewechsels in Bagdad dafür sorgen, die allzu strengen irakischen Ausfuhrbestimmungen für Kulturgüter zu lockern. Der sich „American Council for Cultural Policy“ (ACCP) nennende Verein war bis zu diesem Zeitpunkt vor allem dadurch aufgefallen, daß er sich für den in New York rechtmäßig wegen Hehlerei verurteilten Kunsthändler Frederick Schultz eingesetzt hatte. Schultz war zu knapp drei Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er einen in Ägypten gestohlenen Pharaonenkopf für 1,2 Millionen Dollar verkaufte. Das Diebesgut war einige Jahre zuvor als billiges Touristensouvenir getarnt außer Landes geschmuggelt worden.
Der Verein ACCP ist erst im vergangenen Jahr gegründet worden, als sich die US-Invasion des Iraks bereits abzeichnete. Daß ausgerechnet diese Gruppierung es schaffte, bei Vorsprachen der Archäologen im Pentagon anwesend zu sein, war für viele der Experten „in höchstem Maße beunruhigend“. Mit diesen Worten äußerte sich der bekannte britische Archäologe Alex Hunt, als er davon erfuhr.Der Vorsitzende des ACCP, Aston Hawkins, ist der ehemalige Vizepräsident und juristische Berater des New Yorker „Metropolitan Museum of Art“. Heute fungiert er als Rechtsberater der „New Gallery“, eines neuen Museums in New York. Er argumentiert reichlich ungeniert: „Nur durch den Export aus dem Irak können Kulturgüter vor der Unsicherheit in der Post-Saddam-Ära geschützt werden.“ Die US-Zeitschrift „Art Newspaper“ zitiert ihn mit der abenteuerlichen Behauptung, die weltweite Verstreuung von Kulturgütern sei ein Garant für deren Erhaltung.
Patty Gerstenblith ist Spezialistin für internationales Antiquitäten-Handelsrecht beim Archäologischen Instituts Amerikas (AIA). Sie ist außerdem eine exzellente Kennerin der Beziehungen zwischen der Bush-Regierung und den knallharten Interessenvertretern der Kunsthändler vom ACCP. Sie sprach lange vor der Katastrophe, ganz offen davon, daß sich die Sammler und Händler des exklusiven ACCP, die ihre Begehrlichkeit so unverblümt äußerten, die Schätze Mesopotamiens möglichst legal unter den Nagel reißen möchten. Das erklärte Ziel des ACCP bestehe darin, „Länder mit reichen archäologischen Ressourcen dazu zu bringen, ihre Gesetze für den Export von Antiquitäten zu lockern und die Vereinigten Staaten zu ermutigen, die Gesetze für den Import von kulturellen Objekten abzuschwächen“, so Gerstenblith. Sie sagte, die irakischen Gesetze stammten aus der Zeit vor Saddam Hussein und seien sehr gut. Die Sammler des ACCP wollten sich über die nunmehr geforderten Gesetzesänderungen die Schätze Mesopotamiens aneignen. Ihre Einschätzung: „Die Chancen dieser Leute sind gar nicht mal so schlecht. Es geht zwar nur um 50 Personen, aber ihr Wort wird in Washington gehört.“ |