Der amerikanische Freund
Wieder ist eine Neue-Markt-Firma zum Skandalfall geworden, die Justiz ermittelt. Vorstände und Aufsichtsräte der Hildesheimer Metabox AG haben sich immer wieder zu Billigpreisen neue Aktien besorgt - angeblich, um einem US-Großinvestor den Einstieg zu ebnen.
Der Aschenbecher auf dem Besuchertisch quillt über, das Grünzeug am Fenster hat bessere Tage gesehen. Doch in die Ruhe des Handelsregisters Hildesheim hat sich Hektik eingeschlichen. Die beiden Damen im Amtsgerichtsgebäude beschäftigt an diesem Morgen nur ein Thema: die Akte Metabox. Soeben hat die einstige Vorzeigefirma der Region aktuelle Registerauszüge ihrer eigenen Tochterfirmen angefordert. Die Gründe für diese Bestellung kennt hier niemand. Hat Metabox den Überblick verloren?
Auch sonst ist Büro 222 ganz gefangen von der rätselhaften Welt des Neuen Markts. "Was ist eigentlich eine Ad-hoc-Meldung?", fragt eine Beamtin. "Da geht es irgendwie um Großaufträge, die es gar nicht gibt", erklärt ein Kollege.
Der Mann hat Recht, irgendwie. Der gesamte Neue Markt ist in Verruf geraten, die erst im März 1997 gestartete Börse für vermeintliche Zukunftswerte kommt nicht zur Ruhe. Innerhalb weniger Monate haben sich die schlechten Nachrichten gehäuft: Zusammenbrüche, Finanzlöcher, Insiderverstöße, Scheingeschäfte. Vergangene Woche rutschte der Nemax, der Index des Neuen Markts, sogar unter 2000 Punkte - erstmals seit Herbst 1998. "Pleitegeier im Anflug", urteilte die "Frankfurter Allgemeine" über die Entwicklung.
Auch die Metabox AG aus Hildesheim ist mittendrin in Turbulenzen. Vergangene Woche wurde publik, dass die Staatsanwaltschaft in Hannover gegen Vorstände der Firma ermittelt - wegen des Verdachts auf Insiderhandel, Kursmanipulation und Anlegerbetrug. Es geht um großartige Erfolgsmeldungen über noch großartigere Bestellungen - denen dann aber keine konkreten Umsätze folgten. Und es geht um das mögliche Abkassieren von Insidern nach Jubel-News und Kursexplosionen.
Die Unterlagen des Handelsregisters spielen bei der Arbeit der Strafverfolger eine besondere Rolle. Aus den Papieren ergibt sich der Verdacht, Metabox könne ein Selbstbedienungsladen für Eingeweihte sein. Immer wieder haben sich Vorstände, Aufsichtsräte und befreundete Firmen bei Metabox zu Vorzugspreisen mit neuen Aktien eingedeckt - renommierte institutionelle Investoren sind bei den neun Kapitalerhöhungen kaum zu entdecken.
Es waren Ingenieure und Manager der Computerfirma Amiga Technologies, die 1996 beschlossen, an der Technik für Zukunftsfernsehen zu arbeiten. Aus ihrer Pios Computer AG wurde Metabox, und die ging im Juli 1999 an die Börse. Das Unternehmen setzt auf die Entwicklung eines TV-Zusatzgeräts namens "Metabox 1000" oder "Phoenix", mit dem Fernsehzuschauer DVDs und CDs spielen, Spielfilme bestellen und im Internet surfen können.
Bei so viel Vision griffen die Führungskräfte bei Kapitalerhöhungen gern zu. Anfang April 2000 gab die finanzhungrige Metabox AG 100 000 neue Aktien heraus, die nach einem Aktiensplit im September derzeit 500 000 Stück entsprechen. Der damalige Vertriebsvorstand Rainer Kochan räumte ab: Er bekam nach heutigem Stand 300 000 Stück zum Vorzugspreis von 0,20 Euro. Der bereinigte Marktkurs lag bei über 6 Euro, die Aktien waren also 30-mal so viel wert. Auch Hans Ullrich Sinner und Franz Jakob Simais, beide Manager der Konzerntochter Amstrad, erhielten - auf heutige Werte umgerechnet - 5000 beziehungsweise 95 000 Exemplare zum Niedrigpreis. Die Firma VKA AG strich mehr als 16 000 Aktien für je 0,20 Euro ein - hinter dem Kürzel verbirgt sich etwa Metabox-Aufsichtsratschef Manfred Drung, einst Mitgründer des Unternehmens. Metabox selbst hatte sich an VKA beteiligt und ist mit ihr über eine gemeinsame Immobilienfirma verbunden.
Vorstandschef Stefan Domeyer zahlte Anfang April für 3150 Stück jeweils 3,90 Euro. Zu diesem Preis erlangten auch Aufsichtsrat Geerd-Ulrich Ebeling, Manager Peter White und Ex-Fußball-Bundesliga-Schiedsrichter Wolf-Günter Wiesel Aktienpakete. Der Sportsfreund ist bei Metabox für besondere Aufgaben zuständig.
Kurz danach kamen gute News. Es gebe eine "strategische Allianz" mit einem ausländischen Unternehmen, hieß es in der Ad-hoc-Mitteilung vom 10. April. 500 000 Boxen seien verkauft. Der Jahresumsatz steige auf stolze 200 Millionen Mark, trommelte Metabox 24 Stunden später.
Das trieb den Kurs innerhalb kurzer Zeit um über 100 Prozent. Chef Domeyer, der unter anderem von einem britischen Investor geredet hatte, deckte sich Ende Mai - bereinigt - noch mal mit 500 000 Aktien ein, diesmal für 0,20 Euro. Der Börsenkurs lag da schon bei rund 17 Euro.
Und es kam noch schöner. Am 28. Juni explodierte der Kurs auf über 40 Euro. Diesmal war in einer Ad-hoc-Mitteilung vom "Letter of Intend" mit einem skandinavischen Konsortium namens Inter-Nordic die Rede. Der Vertrag über 1,8 Millionen Boxen werde in den nächsten Wochen unterschrieben. Und am 5. Juli wurde ein "Rahmenvertrag" mit der französischen Worldsat über 500 000 Geräte verkündet. In diesen Sommerwochen galt Metabox plötzlich als Segenspender der Kleinaktionäre, als heißer Tipp fürs Reichwerden.
Ein fataler Irrtum.
Die Lieferung von 500 000 Boxen aus dem April-Deal ist bis heute nicht vollzogen. Nicht mal der Kundenname ist bekannt, in einem Aktionärsbrief schwadronierte Domeyer vom "Israel-Geschäft". Offenbar ist die israelische Firma Ampa Investments involviert, die Anfang März 2000 - vor dem Aktienhype - einige Prozent am Kapital der Metabox übernommen hat. Ampa hat sich dazu bisher nicht geäußert.
Keinen Abschluss gibt es bis heute über das skandinavische Großprojekt. Im Sommer räumte Metabox-Vorstand Ebeling ein, sein Unternehmen sei mit mindestens zehn Prozent am Kapital des vorgeblichen Käufers Inter-Nordic beteiligt. Es gebe einen Anteil in dieser Höhe nur an einer Meta TV Nordic, heißt es heute.
Auch das Geschäft mit den Franzosen ist nicht perfekt. "Es gibt keinen Vertrag, keine Unterschrift", sagt eine Sprecherin von Worldsat, es gebe noch Gespräche.
Nun will die Justiz wissen, ob Metabox mit falschen oder ungenauen Angaben den Kurs gepusht hat - und wer mit einem Aktienverkauf womöglich abgesahnt hat. Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel hat in monatelangen Untersuchungen Indizien für auffällige Käufe und Verkäufe gefunden. Metabox dementiert. Weder er noch seine Vorstandskollegen hätten Aktien veräußert, erklärt Domeyer, es sei nichts Unrechtes passiert.
Die Wunder-Box Phoenix war bei aller Euphorie weit weg von der Marktreife. Erst im Dezember 2000 wurde eine Testversion vorgestellt, derzeit werden angeblich "Kleinstmengen" gefertigt, die Serienproduktion laufe im zweiten Quartal an. Das Geld allerdings wird knapp. Im Jahr 2000 setzte Metabox statt erhofften 200 Millionen Mark nur 50 Millionen um, bei 19 Millionen Verlust.
Alles kein Problem, beruhigte Domeyer immer wieder. "Einige große, bereits heute engagierte Investoren" hätten einen Finanzrahmen von 40 Millionen Mark zugesagt. Doch welche Investoren?
Der Metabox-Chef wartet jetzt mit einer überraschenden Story auf. Er habe im Herbst mit einer US-Investorengruppe verhandelt, sagt er dem SPIEGEL. Metabox habe kurzfristig frisches Kapital aufnehmen wollen, die Amerikaner hätten im Gegenzug sofort handelbare Aktien gefordert. Deshalb hätten einige Altaktionäre "auf eigenes Risiko" Wertpapiere aus ihren Beständen als Darlehen an die Metabox AG abgegeben, die sie zu "marktnahen Preisen" an die US-Firma weiterverkauft habe. Die geliehenen Aktien seien den Verleihern später wieder per Kapitalerhöhung zugeflossen. Vom Erlös aus dem Aktiendeal habe nur Metabox profitiert, sagt Domeyer. Den amerikanischen Freund will er nicht nennen.
Die selbstlosen Altaktionäre - Manager, Aufsichtsräte, Freunde - wurden nach dieser Version bei neuen Kapitalerhöhungen wieder befriedigt. Von den über 25 000 neuen Aktien, die am 27. November gezeichnet wurden, fiel fast die Hälfte an die Manager Simais und Sinner sowie die Pressesprecherin Aenne Schaper.
Anfang Dezember kamen beim "Wiederholungstäter Metabox" ("Capital") auch dubiose Firmen ins Spiel. So erhielt eine Bond Limited aus Zürich am 5. Dezember mehr als 130 000 Aktien zum Preis von je 4,61 Euro. Dahinter soll nach Aussage eines Ex-Metabox-Manns eine Briefkastenfirma auf den British Virgin Islands stecken, laut Domeyer sei es eine "Schweizer Anlagefirma". In Zürich finden sich jedenfalls weder im Handelsregister noch im Telefonbuch Spuren der Bond Limited.
Am gleichen Tag übernahm die ITG Treuhand GmbH aus Alfeld knapp 390 000 Aktien zum Stückpreis von einem Euro, weit unter Marktwert. Die Firma gehört unter anderem dem Metabox-Aufsichtsrat Siegfried Fleischer. Drei Tage später nahm auch die 100-prozentige ITG-Tochtergesellschaft IBEC AG ein Metabox-Paket ab - 40 000 Stück zu je 4,60 Euro. Bei der IBEC agiert Manfred Drung als Vorstandschef, der Aufsichtsratsvorsitzende von Metabox.
Der Mann wurde - laut Domeyer - für sein Aktiendarlehen am 29. Januar 2001 entschädigt. "Ich, Manfred Drung, zeichne hiermit 400 000 auf den Inhaber lautende Stückaktien ... zum Ausgabepreis von je Euro 1." Das steht auf dem Zeichnungsschein. Der Vorstand hatte erst am selben Tag die Ausgabe der Aktien beschlossen, "mit Zustimmung des Aufsichtsrats".
Mit dem Dumpingpreis von einem Euro bewegt sich Metabox rechtlich auf dünnem Eis. Bei einer Kapitalerhöhung wie bei Metabox dürfe der Preis der Neuaktien laut Gesetz "nicht mehr als fünf Prozent vom aktuellen Kurs abweichen", erklärt Wirtschaftsprüfer Klaus Schneider von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre.
Das Tohuwabohu ist kaum mehr einzugrenzen. Besorgt um Imageprobleme, hat sich bereits im Sommer 2000 die Nord/LB, die Metabox an die Börse gebracht hatte, als "Designated Sponsor" verabschiedet.
Im Aufsichtsrat nahm der frühere N-tv-Chef Karl-Ulrich Kuhlo im November 2000 nach vier Monaten Reißaus: "Ich fühlte mich schlecht informiert." Auch Wirtschaftsjournalist Manfred Schumacher, früher bei "Focus", legte vor zwei Wochen den Sitz im Kontrollgremium nieder.
Vorstandschef Stefan Domeyer ist Realist, die miese Stimmung ist ihm geläufig. Neukunden von Metabox wollten "wegen des schlechten Rufs des Unternehmens nicht genannt werden", sagt er - erst vergangenen Freitag platzte wieder ein Geschäft.
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