Man spricht deutsch Nach dem Zerplatzen der Multikulti-Illusion suchen Pädagogen nach neuen Wegen zur Integration. Die Deutschpflicht in einer Berliner Schule könnte zum Vorbild werden von Mariam Lau
Türkische Schülerinnen auf dem Hof einer Duisburger Schule. Foto: dpa Von Mariam Lau Von "Zwangsgermanisierung" und "Sprachterror" ist derzeit in Berlin die Rede. Der Anlaß: Eine Realschule im Problembezirk Wedding, die wie 50 andere Schulen der Stadt überwiegend Schüler "mit Migrationshintergrund" hat, beschloß vor 18 Monaten, auch auf dem Schulhof dürfe nur noch deutsch gesprochen werden. Eine Pressekonferenz, von der bedrängten Schulleitung einberufen, frequentierten Vertreter des Türkischen Bundes Berlin (TBB) und des Türkischen Elternverbands teils offen, teils als überrumpelte Bürger getarnt. Auf die Frage, wen sie hier eigentlich verträten - denn die Eltern der Schüler tragen die Verabredung ebenso begeistert mit wie die Jugendlichen - sagte die TBB-Sprecherin Eren Ünsal, "es geht gar nicht um Regelungen an einzelnen Schulen, sondern um das, was dahintersteht. Wir wollen politisieren."
Andere Repräsentanten der Migranten sind da weiter. Der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya, sagte, er befürworte die Abmachung, solange sie freiwillig sei. "Das ist Demokratie, und wenn man so auch noch besser Deutsch lernt, kann ich das nur begrüßen", sagte er der FAS. Sprache bedeute schließlich Kompetenz.
Jeder vierte türkische Jugendliche in Berlin verläßt die Schule ohne Abschluß, und mindestens jeder vierte ist arbeitslos. Drogenhandel und Gewaltverbrechen sind oft die Folgen dieses sprachlichen Paralleluniversums.
"Diese Generation der 17- und 18jährigen Migrantenkinder", so Gerhard Schmid, Oberschulrat in Kreuzberg, "wird man mit gar keiner Maßnahme mehr erreichen. Das ist eine verlorene Generation. Durch Hartz IV hat man diese Situation noch alimentiert: Sie haben jetzt noch mehr Geld in der Tasche und noch weniger Grund, sich selbst um Integration zu bemühen." Zwei Jahrzehnte verfehlter Integrationspolitik - das schreibt Schmid, der außerdem schulpolitischer Sprecher der Berliner CDU ist, sowohl der Union als auch Rot-Grün zu. "Als wir in Berlin regiert haben, ist da auch nichts unternommen worden. Wir hatten ja auch Angst, als rechtsradikal verschrien zu werden. Aber wir lernen vielleicht schneller dazu, weil wir weniger Tabus haben." In spätestens zehn Jahren, so glaubt Schmid, werden 50 Prozent der Jugendlichen in deutschen Stadtkernen ausländischer Herkunft sein. Es liegt auf der Hand, daß die Schule hier der Hoffnungsanker ist.
Für seine Arbeit erhält der TTB Gelder von der EU, vom Berliner Senat und dem Bund. Kenan Kolat, sein hauptamtlicher Geschäftsführer, hat nach einem 16jährigen Studium der Schiffstechnik unmittelbar sozialarbeiterische Tätigkeiten aufgenommen; seit 1984 bekleidet er diverse "Vorstandsposten" in verschiedenen Verbänden.
Der Vorsitzende des Zentralverbands der Muslime in Deutschland, Nadeem Elyas, ist dagegen, mit "Sprachterror" und "Zwangsgermanisierung" schweres Geschütz aufzufahren. Elyas sagt: "Die deutsche Sprache muß im Mittelpunkt des muslimischen Lebens stehen, dazu gehört auch der Schulalltag." Er bittet aber um Verständnis für manche Interessenvertreter: "Die Diskussion um den Muslim-Fragebogen in Baden-Württemberg", so Elyas, "hat das Klima vergiftet. Das können dann viele nicht mehr trennen."
Die Deutschen suchen, spät genug, nach Wegen, die Integration der Zuwanderer zu fördern, und manche Interessenvertretungen fühlen sich von den Zumutungen diskriminiert. Manche stellen ihre Klientel sogar als potentielle Opfer dar, deren Sensibilitäten die Deutschen schon aufgrund ihrer Geschichte fürchten müßten. So schrieb die Journalistin Katajun Amirpur in der "Tageszeitung" zum Thema Zwangsehen: "Ein Land, das sechs Millionen Juden umgebracht hat, taugt nicht zum Oberlehrer in Sachen Toleranz."
Aber ganz so leicht lassen sich die Behörden mit diesem Knüppel nicht mehr einschüchtern. Immer mehr Bundesländer fördern - und fordern.
Als eines der ersten Länder hat Hamburg die Sprachförderung als den zentralen Schlüssel zur Integration begriffen und mit der Einführung eines Sprachtests früh einen Maßstab für andere Länder gesetzt (Hessen). Im Jahr 2002 wurde eine sogenannte Sprach- und Entwicklungserhebung im Schulgesetz verankert. Sie sieht vor, daß die Eltern jedes Kindes im Alter von viereinhalb Jahren von der jeweiligen Schule angeschrieben und mit dem Kind vorgeladen werden. Je nach Entwicklungsgrad des Kindes werden dann verschiedene Förderungsprogramme entwickelt, damit die Kinder zur Einschulung über ein einheitliches Maß an Deutschkenntnissen verfügen. Mit diesem Test, so der Sprecher der Hamburger Bildungsbehörde, Alexander Luckow, erreiche man mit dieser Maßnahme rund 97 Prozent der Kinder, in Hamburg sind das rund 13 000 bis 14 000 Kinder. In Einzelfällen, in denen die Eltern der Kinder dem Vorstellungstermin nicht nachgekommen sind, seien Busgelder verhängt worden. Ab dem nächsten Schuljahr wird die Teilnahme an den Förderungsmaßnahmen verschärft, indem die Schule verpflichtende Sprachkurse verhängen kann. Dieser Nachhilfeunterreicht umfaßt vier Stunden nachmittäglichen Deutschunterricht pro Woche und wird von der Stadt finanziert. "Je früher wir die Sprachförderung bei ausländischen Kindern ansetzen, desto größer ist die Chance, einen gravierenden Bildungsrückstand aufzuholen beziehungsweise gar nicht erst entstehen zu lassen", so der Sprecher weiter.
In nordrhein-westfälischen Großstädten wie Dortmund, wo traditionell viele Einwanderer leben, hat die schwarz-gelbe Landesregierung beschlossen, was inzwischen allgemein als unverzichtbar angesehen wird: frühkindlichen Sprachunterricht. Nach dem neuen Schulgesetz, das dieses Jahr verabschiedet werden soll, müssen sich Vierjährige künftig einem Sprachtest unterziehen. Bei Defiziten sind sie zur Teilnahme an einem Deutschkursus bis zur Einschulung verpflichtet. "Da sollte man die Eltern gleich mitnehmen", meint Michael Schulten - was in Berlin seit einiger Zeit mit sehr erfolgreichen "Mütterkursen" erreicht wird. Mütter von Migrantenkindern können, während die Kinder in der Schule sind, gemeinsam Deutsch lernen. Bisher ist allerdings nur sehr wenig Geld für diese Maßnahme übrig: in Kreuzberg gerade einmal eine Stelle.
Die Landesregierung in NRW will ab diesem Jahr flächendeckend Kindergärten zu "Familienzentren" ausbauen. Die Anlaufstelle soll etwa Kinderbetreuung, -förderung Familienberatung und Tagesmuttervermittlung anbieten. Die federführenden Landesminister Barbara Sommer (Schule) und Armin Laschet (Integration, Familie), beide CDU, halten darüber hinaus eine Deutschpflicht auf Schulhöfen für hilfreich.
Das Land Baden-Württemberg verweist auf eine über 30jährige Erfahrung in der Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund und mangelnden Kenntnissen der deutschen Sprache. "Ein System von Förder- beziehungsweise Vorbereitungsklassen oder Kursen ermöglicht auch ,Seiteneinsteigern" in Grund- und Hauptschulen eine intensive Sprachförderung", heißt es im Stuttgarter Kultusministerium. Im laufenden Schuljahr seien für eingerichtete Förder- und Vorbereitungsklassen und Kurse rund 14 000 Deputatswochenstunden vorgesehen. Kinder werden im Südwesten bereits im Kindergarten sprachlich gefördert.
Eine Deutschpflicht auf dem Schulhof strebt die CDU/FDP-Landesregierung nicht an, derartige Regelungen seien "nicht beabsichtigt", heißt es.
In Stuttgart spielt Integration eine größere Rolle als anderswo. In der Stadt mit einer 22prozentigen Ausländerquote ist das Engagement groß. Viele Bürger, nicht zuletzt viele Migranten, tragen dazu bei, daß Integration nicht nur durch Staat und Stadt organisiert werden muß. Sie wird im Ländle nicht als gutes Werk oder Zeichen von politischer Korrektheit begriffen. Man orientiert sich vielmehr am Nutzen.
Mitarbeit: Daniel Sturm, Kristian Frigelj, Eva Eusterhuis, Nicole Dolif und Gisela Kirschstein
Artikel erschienen am Mo, 30. Januar 2006
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