Vor siebzig Jahren: Der Börsencrash von 1929
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Donnerstag, 24. Oktober 1929 (schwarzer Donnerstag)
Vorsorglich hatte die Polizei die Straßen um den Finanzdistrikt an der Wall Street abgesperrt. Nervöse und überarbeitete Wertpapierhändler – sie hatten die Nacht durchgearbeitet, um den Rückstand der Verkaufswelle des Vortages aufzuholen – fingen ihre Arbeit frühzeitig an. Nachdem um zehn Uhr der Eröffnungsgong das Geschehen einleitete, wechselten in der ersten halben Stunde 1,6 Millionen Aktien ihren Besitzer. Der Trend war noch ungewiss. Doch dann setzte plötzlich eine hektische Verkaufswelle ein. »Um halb zwölf hatte sich der Markt einer blinden, schrankenlosen Furcht ergeben. Hysterische Wertpapierhändler nahmen Zuflucht zu nackter Gewalt und stießen und boxten Kollegen aus dem Weg, um in dem zunehmenden Chaos ein paar Handvoll Papiere an den Mann bringen zu können. Die Talfahrt der Börse nahm kein Ende. Mehrmals brach der Handel wegen Überbelastung zusammen und musste unterbrochen werden. Bis ein Uhr Mittags hatten sich 11,25 Milliarden Dollar in Luft aufgelöst. Nachmittags stieg der Kurs wieder etwas: Eine Gruppe von einflussreichen Bankiers hatte einen Pool gebildet und auf dem Markt interveniert. Sie glaubten so den Kursrutsch stoppen zu können, was ihnen auch teilweise gelang. Der Freitag verlief ruhig – alle waren erschöpft. Am Montag gab es nochmals eine wuchtige Talfahrt, die erhoffte »konzertierte Unterstützungsaktion« der Bankiers blieb diesmal aus. Monetäre Buchungswerte von 14 Milliarden Dollars – fast dreimal soviel wie der Wert des in den USA umlaufenden Geldes – verschwanden in einem schwarzen Loch. (1. Anmerkungen finden Sie in der Printausgabe)
Dann kam Dienstag der 29. Oktober (schwarzer Dienstag). Bis zum Mittag waren 8350000 Aktien abgestoßen worden. Tausende von Menschen waren ruiniert. Witwen, die ihre geringen Ersparnisse eingesetzt hatten, Millionäre die nun hoch verschuldet waren. Die Zeit der Depression begann.
Wie es dazu kam Amerika hatte während den Zwanzigerjahre einen einmaligen Boom erlebt. Von 1919 bis 1929 hatte sich die industrielle Produktion fast verdoppelt. Knappe fünf Millionen Autos wurden 1929 in Detroit gebaut. Neue Fernstraßen, Wolkenkratzer, moderne Wohnsiedlungen in den Vorstädten, Elektrizitätswerke etc. – alles war von einer Wachstumswelle ergriffen. Leider auch die Arbeitslosigkeit, denn die Produktivitätszunahme kam eher durch die Anwendung von Maschinen und weniger durch den Einsatz der Arbeitskräfte zustande. Im Sommer 1921 begann eine mehrjährige Börsenhausse, die nur von kleinen Rückschlägen unterbrochen wurde. Das Federal Reserve Board versorgte die Wirtschaft großzügig mit Geld – bis sie 1928 den Rediskontsatz anhob, weil ihr die Spekulationswelle nicht mehr geheuer war. Doch es war zu spät und traf vor allem die verschuldeten Farmer und Kleingewerbe. Gegen Ende 1928 kam der Motor ins Stottern, die Kurse wurden labiler, und am 26. März 1929 kam der erste massive Kurseinbruch, der zu einem ersten Jahrestief führte und allen einen Schrecken in die Glieder fahren ließ. Nun begann ein Gesundbeten des Marktes. Politiker, angesehene Industrielle, Bankiers, alle versuchten Optimismus zu verbreiten und auf die gesunden Fundamentaldaten des Marktes hinzuweisen. Es gelang weitgehend, bis am 3. September, als der Dow-Jones-Index seinen bis dahin absoluten Höhepunkt erreichte. Am 6. September veröffentlichte die New York Times ein düstere Prophezeiung von einem Wirschaftswissenschaftler und Hellseher aus Massachusetts mit Namen Roger Babson. Er sagt nun schon zum dritten Jahr einen Zusammenbruch der Börse voraus und beschrieb sehr genau alles dasjenige, was in den folgenden Wochen auch tatsächlich passieren würde. Seine Prophezeiung erfüllte sich selbst. Die Menschen gerieten in Panik und die Kurse stürzten. Nun begann ein Auf und Ab mit immer neuen Verkaufswellen, bis dann Ende Oktober jene schwarze Woche kam, die alles bisher Bekannte übertraf. Die Kurse hörten erst am 13. November auf zu fallen. Die Gesamtverluste aller amerikanischer Börsen belief sich auf annähernd 50 Milliarden Dollar.
Die Folgen In immer neuen Erklärungen versuchte der damalige amerikanische Präsident Herbert Hoover seinen Landsleuten Mut zu machen: »Ich bin überzeugt, dass wir nunmehr das Schlimmste überstanden haben und uns mit vereinten Bemühungen bald erholen werden …« (1. Mai 1930). Doch das Schlimmste sollte erst noch kommen.
Das Land rutschte immer tiefer in die Rezession. Die Preise für Rohstoffe fielen, viele Farmer konnten ihre Schulden nicht zurückbezahlen und waren Bankrott. Die Zahl der Arbeitslosen nahm zu. Familien von Arbeitern ohne Einkommen wurden in den Armenküchen notdürftig abgespeist. Die Regierung verknappte das Geld. Die Krise ergriff die gesamte Weltwirtschaft. In Großbritannien stieg die Zahl der Arbeitslosen auf 2 Millionen, in Deutschland (das dazu noch immer unter dem Joch des unseligen Vertrags von Versailles litt) war es besonders schlimm: 6 Millionen Menschen waren ohne Arbeit und im Jahre 1932 waren es gar 40 % aller Erwerbsfähigen. Die Vorschläge der braunen Demagogen, das von den Alliierten aufgebürdete Joch endlich abzustreifen, und dem internationalen Kapital Paroli zu bieten, traf zunehmend auf offene Ohren. Ohne die Ereignisse an der Wall Street mit ihren katastrophalen Folgen wäre Hitler mit Sicherheit nicht an die Macht gekommen.
Bernhard Steiner |