Sehr geehrter ......
ich beziehe mich auf Ihre Anfrage vom 23. Oktober 2019 zum Handel mit Aktien der Wirecard AG.
Sie sprechen darin insbesondere einen Artikel der Financial Times zur Wirecard AG vom 15. Oktober 2019 an, nach dessen Veröffentlichung unmittelbar ein Kursrückgang der Wirecard-Aktien um ca. 23 % erfolgt sei, sowie die Veröffentlichung der Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien der Wirecard AG durch den Bundesanzeiger. Sie bitten die Bundesregierung hinsichtlich des Verdachts auf Marktmanipulation eine Untersuchung anzustellen. Sie bitten ebenfalls, den Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft München als auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu erfragen. Sie fragen, weshalb die BaFin bei dem Kurssturz nicht eingegriffen und den Handel ausgesetzt hat.
Wie Ihnen die BaFin mit E-Mail vom 23. Oktober 2019 bereits mitgeteilt hat, prüft sie den von Ihnen angesprochenen Sachverhalt hinsichtlich möglicher nach Artikel 15 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (EU-Marktmissbrauchsverordnung, MAR) verbotener Marktmanipulationen. Es gehört nicht zu den Befugnissen der Bundesregierung, derlei Untersuchungen anzustellen.
Anfragen zu möglichen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren müssen an die zuständige Staatsanwaltschaft gerichtet werden. Ein Einwirken auf bzw. Anfragen bei Staatsanwaltschaften durch die Bundesregierung wäre nicht mit der im Grundgesetz verankerten Gewaltenteilung vereinbar.
Im Hinblick auf Ihren Hinweis hinsichtlich einer Handelsaussetzung teile ich Ihnen mit, dass die BaFin als zuständige Behörde nur unter strengen Voraussetzungen im Ausnahmefall den Handel mit einzelnen oder mehreren Finanzinstrumenten vorübergehend untersagen oder die Aussetzung des Handels in einzelnen oder mehreren Finanzinstrumenten an Märkten, an denen Finanzinstrumente gehandelt werden, anordnen kann. Diese Voraussetzungen sind insbesondere in § 6 Absatz 2 Satz 4 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) sowie § 14 Absatz 1 WpHG niedergelegt. Die BaFin nimmt ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr. Ich bitte um Verständnis, dass ich Sie aufgrund meiner gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten gemäß § 21 WpHG sowie meiner beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht gemäß § 67 Bundesbeamtengesetz (BBG) über den Verlauf und das Ergebnis der Tätigkeit der BaFin in diesem Zusammenhang nicht unterrichten kann.
Ergänzend möchte ich Ihnen mitteilen, dass eine Kursaussetzung auch von den deutschen Börsen nach § 25 Börsengesetz (BörsG) in eigener Zuständigkeit vorgenommen werden kann. Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aussetzung vor, wird von den zuständigen Stellen eine Aussetzung je nach Sachlage veranlasst.
Hinsichtlich Ihrer Anregung zu dem unterschiedlichen Transparenzsystem im Hinblick auf die Melde- bzw. Offenlegungsschwelle sowie dem System der Netto-Leerverkaufspositionen möchte ich Ihnen zunächst die geltenden gesetzlichen Bestimmungen der europäischen Leerverkaufsregulierung - geregelt in der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps (EU-LeerverkaufsVO) - kurz erläutern. Die Leerverkaufsregulierung beruht im Wesentlichen auf zwei Säulen: Verbotsregelungen für ungedeckte Leerverkäufe in Aktien und bestimmten anderen Titeln (Artikel 12 ff. EU-LeerverkaufsVO) sowie Transparenzpflichten für Netto-Leerverkaufspositionen für Aktien und bestimmten anderen Titeln (Artikel 5 ff. EU-LeerverkaufsVO).
Für Netto-Leerverkaufspositionen von Aktien ist ein Zweistufenmodell, bestehend aus einer Meldeschwelle in Höhe von 0,2 % ausschließlich an die zuständige Behörde und einer Offenlegungsschwelle in Höhe von 0,5 %, bei der neben der Meldung an die Behörde zusätzlich auch eine Veröffentlichung der Netto-Leerverkaufsposition im Bundesanzeiger vorgenommen wird, eingeführt worden. Für dieses Zweistufenmodell hat sich der europäische Gesetzgeber bewusst entschieden und verschiedene Interessen miteinander abgewogen:
Ab einer Schwelle von 0,2 % sollen die Aufsichtsbehörden einschlägige Positionen aktiv überwachen und überprüfen können, ob Leerverkäufe systemische Risiken verursachen, marktmissbräuchlich eingesetzt werden oder zu Marktstörungen führen können. Erst wenn die höher angesetzte Offenlegungsschwelle von 0,5 % erreicht ist, sollen die aggregierten Positionen dem Markt offengelegt werden, sodass auch die anderen Marktteilnehmer Informationen über einzelne signifikante Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien erhalten. Letzteres beruht auf der Erwartung höherer Effizienz und Fairness für die Mehrheit der Marktteilnehmer. Da allerdings die Transparenzpflichten auch die Handelsstrategien von Anlegern betreffen, die bei einer vollständigen Transparenz einen effizienten Preisfindungsprozess erschweren können, sollen geringere Positionen nicht den Marktteilnehmern, sondern nur den zuständigen Aufsichtsbehörden zu den vorstehend erläuterten Zwecken zur Verfügung stehen. Eine Änderung dieses Melde- und Transparenzsystems obläge allein dem europäischen Gesetzgeber.
Bei den Netto-Leerverkaufspositionen wiederum handelt es sich nicht um die Darstellung einer einzelnen Transaktion, sondern um das gesamte negative ökonomische Interesse des Meldepflichtigen am jeweiligen Emittenten, in dessen Berechnung die Aktie und auch weitere sich darauf beziehende Finanzinstrumente einzubeziehen sind, die im Falle eines Kurs- oder Wertrückgangs bzw. einer Kurs- oder Wertsteigerung der Aktie einen finanziellen Vorteil verschaffen.
In Bezug auf den von Ihnen erwähnten Hinweis auf eine erhöhte Leerverkaufsquote (gemeint wohl auf Twitter „short interest“) durch Herrn Dusaniwsky, S 3 Partners LLC, ist zu beachten, dass die Berechnung von Netto-Leerverkaufspositionen, wie dargestellt, eine spezielle Grundlage hat, die von dem Short Interest zu unterscheiden ist. Short Interest ist ein Messwert, dessen Berechnungsgrundlage und Ergebnis bereits je nach Datenbereitsteller differieren kann, und dessen Definition mithin nicht komplett einheitlich ist. Im Grundsatz bezeichnet der Begriff Short Interest eine Kennzahl, die näherungsweise den Short-Bestand an der Aktie abbilden soll. Dieser Begriff hat seinen Ursprung jedoch nicht in der EU-LeerverkaufsVO und ist somit auch nicht zwingend mit den Netto-Leerverkaufspositionen vergleichbar.
Für weitere detaillierte Informationen zu dem Themenkomplex Leerverkäufe verweise ich auf die BaFin FAQs (abrufbar unter www.bafin.de>Aufsicht>BoersenMaerkte>Transparenz> Leerverkaeufe>Transparenzregelung), insbesondere ab Frage 17 ff.
Hinweis: Für das Bundesministerium der Finanzen ist es ein sehr wichtiges Anliegen, Ihre Privatsphäre und Ihre persönlichen Daten (nachfolgend „personenbezogene Daten“ genannt) zu schützen. Über den datenschutzkonformen Umgang mit den von Ihnen übermittelten personenbezogenen Daten finden Sie weitere Erläuterungen auf der Webseite des BMF unter folgendem Link:
https://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/...utz/datenschutz.html
Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag
Ihr Bürgerreferat ________________________ Referat L C 4 Bürgerangelegenheiten Bundesministerium der Finanzen Wilhelmstraße 97, 10117 Berlin Telefon: 030-18682-3300 Fax: 030-18682-3260 E-Mail: buergerreferat@bmf.bund.de Internet: www.bundesfinanzministerium |