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§ 06.12.2011 Lehman-Pleite Ende einer sündteuren Odyssee Von Marc Pitzke, New YorkDPA Insolvenz von Lehman Brothers (am 15. September 2008): "Es gab Alternativen"
Die dramatischste Pleite der Finanzgeschichte findet jetzt ein schlichtes Ende: Mit einem simplen Gerichtsbeschluss wird die US-Investmentbank Lehman Brothers zu Grabe getragen. Ihr Zusammenbruch erschütterte 2008 die Welt - die Lehren daraus wurden schnell vergessen. Harvey Miller ist der König der Konkurse. Der Finanzanwalt aus der legendären New Yorker Großkanzlei Weil, Gotshal & Manges verdiente bei Amerikas berüchtigsten Insolvenzfällen mit: General Motors , Delphi , Texaco, Delta Airlines , Continental Airlines , Pacific Gas & Electric, Global Crossing , Drexel Burnham Lambert. Er gilt als der Beste seines Metiers. Millers derzeitiger Klient aber stellt alle in den Schatten, was Prominenz, Konkursmasse und globale Reichweite angeht: Lehman Brothers. Als Chefanwalt steuert Miller, 78, die 2008 kollabierte US-Investmentbank durch das Insolvenzverfahren, das sich seit inzwischen mehr als drei Jahren hinquält. Nun aber naht endlich dessen Schlussakt: An diesem Dienstag, 1183 Tage nach dem offiziellen Todestag Lehmans, soll das Konkursgericht Manhattan den endgültigen Umstrukturierungsplan absegnen. Dazu hatten die Gläubiger zuvor einer Abfindungssumme von kollektiv 65 Milliarden Dollar zugestimmt. Für Miller endet damit der profilierteste Auftrag seiner Karriere - ein Auftrag, dessen Notwendigkeit er jedoch selbst stets in Frage stellte. "Ich finde nicht, dass die Regierung das Richtige getan hat", sagte er Bloomberg TV noch kürzlich über Washingtons Entscheidung, Lehman lieber kaputtgehen zu lassen, als es mit staatlichen Finanzspritzen zu retten. "Es gab Alternativen." Stattdessen habe die Mega-Pleite eine weltweite Vertrauenskrise ausgelöst: "Da verschwanden Billionen Dollar." In der Tat findet somit jetzt eine sündhaft teure Odyssee ihr Ende: Lehman war die größte und kostspieligste Insolvenz der Geschichte. Allein die Konkursmasse betrug 639 Milliarden Dollar. Doch die dramatischen Ereignisse vom September 2008 scheinen längst zu Geschichte erstarrt, verewigt in Büchern, Artikeln, sogar Kinofilmen. Die damalige Finanzkrise wird derweil bereits in den Schatten gestellt von der nächsten, noch viel größeren Gefahr, der Euro-Krise. Die erreichte am Montag eine neue Eskalation: Da drohte der Rating-Riese Standard & Poor's, die Kreditwürdigkeit von 15 europäischen Staaten herabzustufen, darunter Deutschland. Die US-Finanzmarktreform ist kleingeschrumpft und totgeredet Trotzdem wirken auch die Folgen des Lehman-Debakels bis heute nach. Während der Fall die deutschen Gerichte wohl noch eine ganze Zeit lang weiter beschäftigen wird, ist das US-Insolvenzverfahren vorerst ausgestanden, doch das Ende bringt eine deprimierenden Einsicht wieder zum Bewusstsein: Die Wall Street sollte nach 2008 zur Besserung gezwungen werden - die guten Vorsätze sind gescheitert. Vor allem die große US-Finanzmarktreform, die die Lehren aus Lehman umsetzen sollte, ist eingedampft, kleingeschrumpft und totgeredet. Zu verdanken ist das vornehmlich den Republikanern, der Wall-Street-Lobby, einem schwachen Präsidenten und den strategisch platzierten Wahlspenden der Finanzinstitute. "Dodd-Frank", das nach den Demokraten Chris Dodd und Barney Frank getaufte Gesetzpaket zur Bändigung der Finanzmärkte, ist im laufenden Wahlkampf zum Schimpfwort mutiert. Alle republikanischen Kandidaten wollen es wieder annullieren. Dodd stieg 2010 frustriert aus dem Politgeschäft aus, Frank verkündete vergangene Woche seinen Rückzug. Die Helden von 2008 sind die Opfer dieser Tage. Schlimmer noch: Selbst in ihrer reinen, von Präsident Barack Obama avisierten Form hätte die Reform die Konsequenzen aus den wahren Ursachen der Lehman-Pleite nicht gezogen - nämlich die richtige Antwort auf die Frage zu geben, wann eine Bank zu groß ist, um scheitern zu dürfen ("too big to fail") und staatliche Stütze braucht. Die meisten Banken, die die Krise überlebt haben, sind heute größere Kraken als vorher, da sie inzwischen die kaputten Rivalen schluckten. Regulation ist im derzeitigen Wahlkampfklima das größte Tabu Das einzige, was das wieder aufhalten könnte, wäre selbstbewusste Regulierung. Doch so etwas ist im derzeitigen Wahlkampfklima das größte Tabu: Da geht alles reflexartig nur darum, den Einfluss der Buhmänner in Washington sogar noch zu verkleinern und der Wall Street im Gegenzug wieder ganz freien Lauf zu lassen. Schon stecken die meisten Banker wieder nette Jahresend-Boni ein. Zwar sind die Wall-Street-Profite und Barauszahlungen niedriger als vor 2008, und Goldman Sachs , Citibank und Bank of America streichen Zehntausende Stellen. Dafür gewähren viele ihren Top-Mitarbeitern neuerdings günstige Aktienoptionen, die in ein paar Jahren enorm an Wert gewinnen dürften. "Es ist eine bescheidene Bonussaison", sagte der Yale-Finanzprofessor Jonathan Macey der "New York Times", "aber letzten Endes könnte das manche zu Multimilliardären machen." Was die Entsorgung des Lehman-Überbleibsel nun natürlich mit bitterster Ironie würzt. Dienstag ist wahrscheinlich der letzte Gerichtstermin des Falls mit dem Aktenzeichen 08-13555 am U.S. Bankruptcy Court, Southern District of New York. Ende November hatten die Gläubiger den Zahlungsplan abgesegnet, der ihnen weniger als ein Fünftel der ursprünglichen Verlustsumme zuspricht. Es ist der dritte Anlauf, nachdem die ersten Pläne gescheitert waren. Der Segen von Richter James Peck ist diesmal aber wohl nur noch eine Formalität. 1,4 Milliarden Dollar kostete allein die Abwicklung Drei Jahre hat es gedauert - das ist schneller als erwartet. "Damals dachten die Leute, dass dies ein Alptraum werden würde", erinnert sich der Juraprofessor Robert Miller im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters an die Sorgen von 2008. "Eine dreijährige Insolvenz ist kein Alptraum." Vor allem nicht für deren Profiteure. Allein im Oktober strichen die an der Insolvenz beteiligten Anwälte, Notare und Berater fast 40 Millionen Dollar an Gebühren ein. Insgesamt wurden seit Beginn der Prozedur 1,4 Milliarden Gebühren-Dollar ausgezahlt. Der Löwenanteil, rund eine halbe Milliarde Dollar, ging an die Sanierungsfirma Alvarez & Marsal (A&M), dessen Mitbegründer Bryan Marsal als Vorstandschef des Lehman-Rests fungierte. Nicht weit dahinter kommt Harvey Millers Top-Kanzlei Weil, mit mehr als 350 Millionen Dollar Gebühren, davon allein 15 Millionen Dollar im Oktober. Für den Konkurskönig also zahlte sich dieser ungeliebte Job zumindest prächtig aus.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,801964,00.html |