Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen: Was einst als sarkastischer Kommentar über schlampige Zeitgenossen gemeint war, kann man künftig wörtlich nehmen. Desktop-Suchsysteme erleichtern das Leben und liegen im Trend, und wie immer hat Google die Nase vorn. Was nicht bedeutet, dass der PC-Schnüffler keine Gefahren birgt.
Seit einem halben Jahrzehnt bietet sich auf dem Markt der Such-Software und -Dienstleistungen das immer gleiche Bild: Google dominiert und alle anderen hecheln hinterher. Vor allem die in schönster Regelmäßigkeit veröffentlichten Dienste aus den Google-Labs sorgen immer wieder für Unruhe: Vom Newsgoogle, der endlich vor Augen führt, in was für einem Maße Nachrichten heute geklont werden, über Gmail, das sich selbst indexierende Mega-Postfach für Sammler und Datenableger bis hin zum neuesten Produkt - der Desktop-Suche "GDS".
Die ist eigentlich absolut nichts Neues.
Desktop-Suchprogramme kann man kaufen (z.B. Copernic Desktop Search, The Sleuthhound). Gute Browser-basierte Lösungen gab es dagegen seit einiger Zeit nicht mehr kostenlos.
In den Neunzigern gehörte es zum Geschäftsmodell der Searchengine-Entwickler, ihre Technologien auch für den Gebrauch in Firmennetzen und auf Einzel-PCs zu vermarkten. Digital beispielsweise verschenkte den Suchdienst Altavista an Privatanwender, um sie mit dem Virus der Faulheit anzufixen: Wer einmal erlebt hat, wie wenig Ordnung man auf einem PC noch halten muss, wenn dessen Festplatte im Volltext indexiert ist, will nie wieder aufräumen - und wünscht sich im Arbeitsleben ähnliches.
Denn während die Windows-Suche zwar Datei- und Ordnernamen abgreift, Volltexte aber nur in majestätischer Langsamkeit durchsucht, erfasst die tiefe Desktopsuche wirklich alles: Schnell (und glücklicherweise) findet sich da der versehentlich im Ordner "Urlaubsbilder 1996" abgelegte Kaufvertrag über 17 Kilo Legosteine mit dem aussagekräftigen Dateinamen "hdwjdsk.doc" oder (zwecks Löschung) die alten Liebesbriefe an die letzte Lebensgefährtin, von denen deren Nachfolgerin ja nichts ahnt.
Die Nutzanwendungen sind also schier unerschöpflich, zumal Google bei Textdateien nicht Halt macht: GDS erfasst auch alle Mails im Outlook-Ordner, die Konversationen über den AOL Instant Messenger, natürlich Excel- und Powerpoint-Dokumente sowie alles, was sich im Cache des Internet Explorers findet. Weitere Dateiformate sollen folgen.
Neugier und das Gedächnis des Desktop-Durchwühlers sind also groß. Mitgeschnitten werden nun auch Dinge, die sich bisher gnädig versendeten, sichtbar gemacht werden auch Dinge, die Windows bisher nur heimlich sammelte.
So läuft der Google
Im Vergleich zu früheren Desktop-Searchengines erledigt Google seine Aufgabe zudem schnell und unauffällig. Auch Google gibt jedoch an, dass die Indexierung - je nach Größe der Datenbestände - etliche Stunden in Anspruch nehmen könnte.
In der Realität aber sieht das anders aus: Einen "normalen" PC katalogisiert Google in Null-komma-nix und nutzt dazu die "Idle"-Zeiten des Prozessors - sprich: die Zeiten, in denen der Nutzer nichts tut. Google empfiehlt die Installation des Programmes "vor der Mittagspause".
Was dann an neuen Daten hinzukommt, erfasst Google "live" in Echtzeit. Die Arbeitsgeschwindigkeit des Rechners soll das nicht beeinträchtigen - und zu spüren ist es wirklich nicht. Allerdings knabbert GDS an der Festplatte: 500 MB für den Index will das Programm schon haben. Der Zugriff auf GDS läuft in der Regel über die Taskbar von Windows 2000 oder XP, andere Programmversionen werden nicht bedient. Das liegt daran, dass Google höchst clever auf bereits vorhandene, aber in der Regel nicht genutzte Indexierungsmöglichkeiten unter diesen Windowsversionen zugreift.
Das Programm selbst kommt in Gestalt der altbekannten und vertrauten Google-Suchmaske daher - "default" leider nur für den Internet Explorer, dessen Verzeichnisstruktur es auch auf Cache-Inhalte absucht. Die Unterstützung anderer Browser ist dagegen lückenhaft.
Wer sich darauf einlässt, kann sich das Denken teilweise abgewöhnen: Wo man was abgelegt hat, in welcher Quelle noch einmal diese Martina Mustermann zitiert wurde und wo das Gerücht von der gescheiterten Bewerbung des Abteilungsleiters herkam, braucht man sich nicht mehr zu merken. Marissa Mayer von Google beschreibt die Desktop-Suche als das "fotografische Gedächtnis" des PC. Die Beschreibung passt.
Bequem, aber nicht unproblematisch
Wohl dem, der sich sowas wünscht. Tugendhaft der Mitarbeiter, der nie per AIM über seinen Chef, den alten Choleriker, ablästert; sich niemals auf Seiten verirrt, die nicht direkt zum dienstlichen Rechercheauftrag gehören; während der Arbeitszeit weder Blogs pflegt noch private Scherzmails austauscht noch sich - natürlich rein interessehalber - auf dem Arbeitsmarkt umsieht.
Im Gegensatz zu früheren Desktop-Searchengines wie beispielsweise Altavista besitzt Google aber zumindest eine eingebaute Bremse: Die Indexierung erfasst nur Dateien, auf die der User von dem Rechner aus zugriff, auf dem die Desktop-Suche installiert ist. Unmöglich bleibt damit der Zugriff auf die Liebesbriefe des Chefs, auf Personalakten oder der externe Zugriff auf das, was ein Mitarbeiter so alles unerlaubt treibt (dafür gibt es allerdings genügend andere Programme).
Wirklich bequem und effizient ist die Google Desktop-Suche auf reinen Privatrechnern. Google versichert, keinen Internet-Zugriff auf den Index, in dem alle Volltextinhalte in komprimierter Form erfasst sind, erlangen zu können - selbst wenn das beispielsweise von einer Staatsanwaltschaft verlangt würde.
Problematisch ist das Programm aber überall da, wo an einem Rechner wechselnde Personen arbeiten, und das ist heute in vielen Büros Standard. Passworte hin oder her, was auf einem Rechner gespeichert oder auch nur bearbeitet wurde, das indexiert Google auch.
Und zwar bis hinein in Netzlaufwerke. Zwar "spidert" und erfasst die Desktopsuche nichts, was außerhalb des eigenen Arbeitsbereiches läge. Dokumente in einem Netzwerk aber, auf die von einem mit der Desktop-Suche ausgerüsteten Rechner zugegriffen wurde, werden erfasst.
Das ist kein Grund, solche Werkzeuge grundsätzlich nicht zu benutzen - aber wissen sollte man es.
Zumal es im Trend liegt: Wie immer, wenn er eine Idee als gut begreift, hechelt auch der Betriebssystem-Entwickler Microsoft den Entwicklern von Google hinterher und verspricht, ähnliches bald anbieten zu können (nur wie üblich angeblich besser). Für die nächste Windows-Version Longhorn ist bereits eine eingebaute Desktop-Suche angekündigt. Das Volltext-Indexieren von Festplatteninhalten dürfte also schnell zu einem Standard werden. Entsprechend einfach wird es künftig, einen Rechner nach "Beweisen" - wofür auch immer - zu durchsuchen. Lästermäuler, seid wachsam.
Image: Neugier soll man befriedigen, nicht zeigen
Aufpassen muss aber auch Google. Die seit kurzem börsennotierte Firma sonnte sich in den letzten Jahren im Image des jungen, lockeren und kreativen Unternehmens, das unendlich viele Dinge weit besser machte als die Konkurrenz. Seine hemdsärmlige Art, Märkte aufzurollen, machte das Start-up zu einer Art sympathischen David unter den IT-Goliaths - doch so etwas ist höchst vergänglich: Auch Bill Gates war einmal der kleine Geek mit den großen Turnschuhen, ein Robin Hood, der gegen einen Sheriff von Nottingham namens IBM angetreten war.
Irgendwann aber war "Winzigweich" groß geworden, mächtig und undurchschaubar. Diverse "phone home"-Funktionen von Windows schürten das Misstrauen. In der öffentlichen Wahrnehmung zerbröselte das gute Image schneller, als die Aktienkurse stiegen. Auch bei Google beginnen bereits Reflexe zu greifen, die auf ein wachsendes Misstrauen gegenüber der Wühl-, Such- und Findelust des Unternehmens hindeuten. Der Betatest des Gmail-Dienstes etwa wurde dahingehend hinterfragt, ob das Durchsuchen privater Post, um den Postfachinhaber mit "passgenauer" Werbung zu versorgen, mit Werten wie Briefgeheimnis und Datenschutz zu vereinbaren wäre - und was mit den offenbar automatisch generierten Profilen denn noch alles angestellt werden könnte.
Mit der Desktop-Suche setzt sich Google ähnlichen Bedenken aus, obwohl das auf einfache Weise hätte vermieden werden können. Warum etwa bindet Google die Desktop-Suche nicht an ein passwortgeschütztes Nutzerprofil? Warum bedient GDS nur den Internet-Explorer? Warum ist nicht zu sehen, welche Verzeichnisse und Laufwerke das Programm indexiert? Und auf der suchtechnischen Seite: Warum kann man Suchanfragen nicht besser definieren und einschränken (siehe "Erweiterte Suche" beim Web-Google)?
Vielleicht wird das alles ja noch was, schließlich ist GDS bisher nicht mehr als eine Betaversion. Richtig Spaß machen dürfte sie schon jetzt allen, die dem Unternehmen Google vertrauen. Misstrauischere Naturen und die EDV-Chefs von Firmen dürften dagegen abwarten, ob Google noch eine "transparentere", konfigurierbare Version folgen lässt. Wenn nicht, werden das andere tun. |