Silicon-Valley-Investor: Die Woche der langen Messer Von Otmar Weber, Menlo Park
Jetzt werden die Quartalsberichte der meisten Hightech-Firmen vorgelegt – es gibt Überraschungen.
Ergebnisse, Ergebnisse und noch mehr Quartalsergebnisse prasseln seit über zwei Wochen auf Börsianer und Anleger nieder. Mehr als die Hälfte der Ergebnisparade ist schon mit Pauken und Trompeten an uns vorbeidefiliert. Technologiewerte bestimmen das Bild mit überwiegend höheren Gewinnen, Kurssteigerungen bleiben jedoch aus. Am meisten überraschen Halbleiter-Titel. Die Gewinne der Firmen aus dieser Sparte liegen um satte 163 Prozent höher als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres. Das sind 30 Prozent mehr, als alle erwartet haben.
Intel legt mit 80 Prozent mehr Gewinn vor, Texas Instruments schafft 50 Prozent mehr, Kommunikationschip-Hersteller Broadcom kann mehr als verdoppeln. Dennoch, Anleger entscheiden sich für Gewinnmitnahmen. Seit Beginn der Berichtsaison fällt der Index für Halbleiter-Aktien (SOX) in nur fünf Tagen um 15 Prozent. Tauchen die ersten Vorboten einer zur Neige gehenden Sommer-Rally auf?
In der vergangenen Woche schoben IBM und Yahoo den Markt an. In dieser Woche sollten Impulse von Schwergewichten wie E-Bay, Amazon, Compaq oder JDS Uniphase kommen. "Glasfaserkönig" JDS Uniphase kann nach Analystenprognosen eine Ergebnissteigerung um 100 Prozent oder 0,12 $ pro Aktie erreichen. Allerdings schoss der Wert vergangene Woche innerhalb von vier Tagen um 32 Prozent in die Höhe. Der Grund: Die Firma ist in den erlauchten Kreis der S&P 500 aufgenommen wurde.
Ausnahmsweise hat noch nicht einmal Alan Greenspan die Stimmung vermiest, als er in seinem Rechenschaftsbericht vor dem amerikanischen Kongress am vergangenen Donnerstag eine Verlangsamung der amerikanischen Wirtschaft bestätigte. Er sprach keine Warnungen aus. Vermutlich, weil der Gedanke, dass die Inflationsgefahr nicht so groß ist, wie er ursprünglich annahm, ihn zu besänftigen scheint. Gute Ergebnisse vorausgesetzt, so hoffen viele Analysten, sollten den Markt in dieser Woche schrittweise nach oben tragen.
Trotzdem bleibt die Nasdaq ein Minenfeld für Unternehmen und Anleger. Nicht nur verpasste Ergebnisse, sondern auch starke Umsatzzahlen und hohe Bewertungen führen zu Kurs-Explosionen. Jüngstes Opfer ist der Software Anbieter Macromedia, der mit seinen Internet-Software-Produkten Flash und Dreamweaver höchst erfolgreich ist. Der Titel überstieg die Quartalsprognose um 5 Cent. Das in San Francisco ansässige Unternehmen vervielfachte sein Ergebnis im ersten Quartal (endete am 30.Juni) auf 12 Mio. $ oder 21 Cent pro Aktie von 1,73 Mio. $ oder 3 Cent pro Aktie im Vorjahr. Der Titel ist in den vergangenen drei Monaten um mehr als 80 Prozent gestiegen und wurde wegen der hohen Bewertung von Star-Analyst Hany Nada auf "Buy" nach einem "Strong Buy" zuvor herabgestuft. Daraufhin verlor Macromedia mehr als ein Viertel seines Wertes.
Bei Priceline.com ist die Situation ähnlich. Das Online-Auktionshaus, bei dem Kunden den Preis angeben können, den sie zu zahlen bereit sind, berichtet 352 Mio. $ Umsatz für das zweite Quartal, nach 111 Mio. $ im Vorjahr und 313 Mio. $ im Vorquartal. Den Verlust konnte der Online-Händler nach 10 Cent pro Aktie auf 1 Cent herunterdrücken. Die Kundenzahl stieg um eine Million auf 6,3 Millionen.
Der neue Service "Priceline für Benzin" hat eingeschlagen: Bereits nach den ersten Wochen fließen etwa 80.000 Liter pro Stunde in die Tanks von 150.000 Kunden bei 30.000 US-Tankstellen. Noch vor 14 Tagen wäre dieses Ergebnis mit drei bis acht Prozent Kursanstieg belohnt worden. Anleger hatten erwartet, dass Priceline ähnlich wie Yahoo mit Superergebnissen auftrumpft. Was geliefert wurde, reichte nicht, Investoren schickten die Aktie auf ein neues Jahrestief.
War die Euphorie, die Yahoo mit seinem Quartalsergebnis vor zwei Wochen erzeugt hat, eine "Bullenfalle"? Fällt die junge Rally ins gefürchtete Sommerloch? Leicht möglich. Anleger haben sich nach dem zurückliegenden Börsenkrach noch nicht wieder berappelt. Gewiss: Die Kasinomentalität, in der die Aktienperformance völlig losgelöst von einer Bewertungsrealität betrachtet wird, kehrte mit der "Yahoo-Auferstehung" am 11. Juli für einige Tage wieder zurück. Yahoo legte in nur sieben Tagen 35 Prozent zu, Ariba in nur drei Tagen 45 Prozent und Commerce One in vier Tagen 79 Prozent. Letztgenannter Wert erhöhte seine Marktkapitalisierung um 4,8 Mrd. $. Eine stolze Marke.
Aber erinnern wir uns. Es ist gerade drei Monate her, als nach dem Nasdaq-Tief vom 14. April die Rückbesinnung auf Ertragsstärke bei Internet-Titeln begann. Erst jetzt, mit Bekanntgabe der Quartalsergebnisse, scheinen sich viele Anleger zu entsinnen, dass Aktien ihre Bewertung auch verdienen müssen.
Noch gibt es Argumente für einen weiteren Aufstieg des Nasdaq: Getrieben von Top-Werten wie Cisco, Sun Microsystems, IBM und JDS Uniphase. Das Handelsvolumen steigt, es fließt wieder Geld in Technologiewerte. Andererseits haben viele Highflyer wie Dell, Xilinx, Altera, Apple, Siebel Systems oder Commerce One in den vergangenen Tagen die Rally wieder beendet und den Rückzug angetreten.
Die dritte Woche der Quartalsberichtsphase, in der wir uns jetzt befinden, kann die Entscheidung bringen. Sollte die Nasdaq wirklich zu neuen Höhen aufsteigen und die Spieler ihre Verluste in wenigen Monaten wettmachen können, lebt die Idee vom Gelddruckplatz Nasdaq schnell wieder auf. Ein darauf folgender Crash tut dann erst richtig weh.
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